Das Reich Jesu ist nicht von dieser Welt, aber es zeigt sich in dieser Welt. Wo Güte und Geduld, Mitgefühl und Mitleid, Gerechtigkeit und Ehrlichkeit herrschen, da ist Jesus gegenwärtig, der König am Kreuz.
Das Reich Jesu ist nicht von dieser Welt, aber es zeigt sich in dieser Welt. Wo Güte und Geduld, Mitgefühl und Mitleid, Gerechtigkeit und Ehrlichkeit herrschen, da ist Jesus gegenwärtig, der König am Kreuz.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium vom 21. November 2021.
Eine meiner beliebtesten Kreuzesdarstellungen ist das Kruzifix von San Damiano in Assisi. Es stammt aus dem 12. Jahrhundert und wird bis heute in Assisi und in der ganzen Welt verehrt. Berühmt wurde es vor allem durch den heiligen Franziskus. Als er einmal vor diesem Kreuz betete, hörte er, wie Jesus zu ihm sagte: „Franziskus, geh und baue mein Haus wieder auf, das, wie du siehst, ganz und gar in Verfall gerät.“
Franziskus nahm diesen Auftrag wörtlich und begann mit seinen eigenen Händen das Kirchlein von San Damiano in Assisi wieder herzurichten. Später verstand er, dass dies nicht nur die Einladung war, diese kleine Kirche zu reparieren. Die Kirche als Ganze war in einem elenden Zustand. Franziskus sollte mit seiner schnell wachsenden Bewegung dazu beitragen, dass es zu einer tiefgreifenden Erneuerung der Kirche kam. Sie ging aus von einer Neubesinnung auf das Evangelium, auf das, was Jesus ursprünglich wollte. Durch Franziskus wurde es wieder lebendig und für viele sichtbar.
Doch kommen wir zurück zum Kreuz von San Damiano. Überraschend ist die Art, wie Jesus dargestellt wird. Christus ist als der Gekreuzigte zu sehen, doch nicht als der Leidende. Zwar sind die Nägel an Händen und Füßen sichtbar, aber sein Leib ist nicht qualvoll von Schmerzen gewunden. Jesus hat die Augen weit geöffnet und seine ausgebreiteten Arme sind wie eine große Einladung. Seine ganze Haltung wirkt königlich, als wollte der Künstler das Wort Jesu an Pilatus ins Bild setzen: „Du sagst es, ich bin ein König.“
Heute ist der Christkönigssonntag, der letzte des Kirchenjahres. Nächsten Sontag beginnt bereits der Advent, die vorweihnachtliche Zeit. Für mich ist das Assisi-Kreuz ein starker Ausdruck für was, wie Jesus über sein Königtum spricht: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ Das sagt Jesus zu Pilatus, dem Statthalter des mächtigsten Herrschers der damaligen Welt, dem römischen Kaiser. Das Christkönigsfest wurde erst 1925 von Papst Pius XI. eingeführt, in einer Zeit, in der überall totalitäre Mächte die Herrschaft übernahmen, im Faschismus, im Kommunismus, im Nationalsozialismus. Sie alle versprachen das Paradies auf Erden, brachten aber unermessliches Leid, Blut und Tränen.
Vom Königtum Jesu heißt es heute in der Liturgie, es sei „das Reich der Wahrheit und des Lebens, das Reich der Heiligkeit und der Gnade, das Reich der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens.“ Wo gibt es auf dieser Welt ein solches Reich? Wird es das jemals geben? Hat es Jesus geschafft, ein solches Rech auf Erden zu errichten?
Ich war mit 16 Jahren das erste Mal in Assisi. Der Eindruck ist mir unvergesslich, auch sechzig Jahre später. Ich hatte das Gefühl, die Gegenwart des heiligen Franziskus zu spüren. Sein Geist war immer noch lebendig: Frieden, Einfachheit, Schönheit. Heute kann ich sagen: Etwas vom Reich Jesu war hier greifbar. Und diese Erfahrung habe ich seither oft und oft gemacht, an vielen Orten, mit vielen Menschen. Das Reich Jesu ist nicht von dieser Welt, aber es zeigt sich in dieser Welt. Wo Güte und Geduld, Mitgefühl und Mitleid, Gerechtigkeit und Ehrlichkeit herrschen, da ist Jesus gegenwärtig, der König am Kreuz.
Da ging Pilatus wieder in das Prätorium hinein, ließ Jesus rufen und fragte ihn: Bist du der König der Juden? Jesus antwortete: Sagst du das von dir aus oder haben es dir andere über mich gesagt? Pilatus entgegnete: Bin ich denn ein Jude? Dein Volk und die Hohepriester haben dich an mich ausgeliefert. Was hast du getan?
Jesus antwortete: Mein Königtum ist nicht von dieser Welt. Wenn mein Königtum von dieser Welt wäre, würden meine Leute kämpfen, damit ich den Juden nicht ausgeliefert würde. Nun aber ist mein Königtum nicht von hier. Da sagte Pilatus zu ihm: Also bist du doch ein König?
Jesus antwortete: Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme. Johannes 18,33-37