Es gibt noch einen anderen Advent, ein Kommen Jesu, das weder bloß in der Vergangenheit, noch in einer ungewissen fernen Zukunft liegt. Heute, mitten in unserem Alltag, kann das Kommen Jesu aufleuchten.
Es gibt noch einen anderen Advent, ein Kommen Jesu, das weder bloß in der Vergangenheit, noch in einer ungewissen fernen Zukunft liegt. Heute, mitten in unserem Alltag, kann das Kommen Jesu aufleuchten.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium vom 28. November 2021.
Heute beginnt der Advent. Er endet mit dem Weihnachtsfest. Advent heißt Ankunft. Der Advent ist die Zeit der Vorbereitung auf das Fest der Geburt Jesu. Der Weihnachtsmann samt Elch mag mehr und mehr das Christkind verdrängen. Gefeiert wird dennoch das Kind, das in Armut im Stall von Bethlehem geboren wurde. Wenn dann am Heiligen Abend „Stille Nacht, heilige Nacht“ gesungen wird, bleibt kaum jemand unberührt: „Christ, der Retter, ist da!“ Weihnachten hat seinen Glanz, seinen Zauber von dieser heiligen Nacht, in der Jesus geboren wurde. Nicht umsonst ist Weihnachten das beliebteste Fest, auch wenn e soft mit Stress und Spannungen verbunden ist.
Umso überraschender ist es, dass am ersten Adventsonntag die Geburt Jesu mit keinem Wort erwähnt wird. Jesus selber spricht von einem anderen Advent, von seinem Kommen „in einer Wolke, mit großer Kraft und Herrlichkeit“. „Dieser Jesus, der von euch fort in den Himmel aufgenommen wurde, wird ebenso wiederkommen, wie ihr ihn habt zum Himmel hingehen sehen.“ Das war die Botschaft der Engel an die Jünger Jesu, als sie seine „Himmelfahrt“ erlebten. Seit damals gab es in der frühen Kirche die intensive Erwartung, dass Jesus (bald) wiederkommen wird. Jesus selber hat ausdrücklich und ausführlich davon und von dem, was seiner Wiederkunft vorangehen wird, gesprochen. So auch im heutigen Evangelium.
Für die junge Kirche war es ständig „Advent“, Zeit der Erwartung Jesu, aber nicht seiner Geburt in Bethlehem, sondern seines Kommens „mit großer Kraft und Herrlichkeit“. Es lässt sich kaum bezweifeln, dass die ersten Christen vor allem auf diesen „anderen Advent“ ausgerichtet waren. Der Apostel Paulus war offensichtlich davon überzeugt, dass er ihn selber noch erleben werde.
In ihren Gottesdiensten haben die frühen Gemeinden in Jesu Muttersprache, auf Aramäisch, in Sehnsucht gesungen: Maranatha, komm, Herr Jesus! Das Weihnachtsfest hat erst viel später seine Bedeutung bekommen. Die frühen Christen waren ganz ausgerichtet auf das Wiederkommen des Herrn.
Wie geht es uns heute mit diesem einst so heiß ersehnten „anderen Advent“ Jesu? Hat Weihnachten für uns mehr zu bedeuten als nur die Erinnerung an Jesu Geburt vor über 2000 Jahren? Was wurde aus dem Ruf nach seinem Kommen, dem Maranatha?
Ich gestehe, dass ich im Advent an die Weihnachtspost denke, an die Predigtvorbereitung für die Festtage, an Besuche, und sicher auch an die Besinnung auf das Geheimnis der Weihnacht, auf Gottes Menschwerdung. Und natürlich habe ich Freude an den Adventliedern. In ihnen kommt die große Sehnsucht zum Ausdruck, die schon die alten Propheten bewegte, die Hoffnung auf einen Retter, der diese Welt aus ihrer Not befreien wird. „Komm du Heiland aller Welt!“ Sollen wir also wie die frühen Christen auf eine baldige Wiederkehr Christi hoffen und damit auf ein Ende dieser Welt und Zeit, auf die neue Schöpfung, in der Leid und Tod ein Ende haben werden?
Die Antwort auf diese große Frage bietet wiederum der Advent. Denn es gibt noch einen anderen Advent, ein Kommen Jesu, das weder bloß in der Vergangenheit, noch in einer ungewissen fernen Zukunft liegt. Schön kommt dieser Advent im Tischgebet zur Sprache, an das ich seit Kindheit gewohnt bin: „Komm, Herr Jesus, und sei unser Gast und segne, was du uns bescheret hast.“
Heute, mitten in unserem Alltag, kann das Kommen Jesu aufleuchten. Noch ist die Welt so, wie sie ist, mit Freud und Leid, Geburt und Tod. Zu Weihnachten ahnen viele Menschen, dass mit Jesu Geburt Licht ins Dunkel der Welt gekommen ist. Damals, im Stall von Bethlehem, und ebenso heute. Immer kann es Advent werden.
Jesus sagte: Es werden Zeichen sichtbar werden an Sonne, Mond und Sternen und auf der Erde werden die Völker bestürzt und ratlos sein über das Toben und Donnern des Meeres. Die Menschen werden vor Angst vergehen in der Erwartung der Dinge, die über den Erdkreis kommen; denn die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden. Dann wird man den Menschensohn in einer Wolke kommen sehen, mit großer Kraft und Herrlichkeit.
Wenn dies beginnt, dann richtet euch auf und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe. Nehmt euch in Acht, dass Rausch und Trunkenheit und die Sorgen des Alltags euer Herz nicht beschweren und dass jener Tag euch nicht plötzlich überrascht wie eine Falle; denn er wird über alle Bewohner der ganzen Erde hereinbrechen. Wacht und betet allezeit, damit ihr allem, was geschehen wird, entrinnen und vor den Menschensohn hintreten könnt! Lukas 21,25-28.34-36