Es ist eine große Kunst, den richtigen Moment zu finden. Das gilt für alle Lebensbereiche. Wann ist es Zeit zu reden, wann zu schweigen? Wann zu handeln, wann zuzuwarten?
Es ist eine große Kunst, den richtigen Moment zu finden. Das gilt für alle Lebensbereiche. Wann ist es Zeit zu reden, wann zu schweigen? Wann zu handeln, wann zuzuwarten?
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium vom 5. Dezember 2021.
Wie weiß man, wann es Zeit ist? Das ist eine der schwierigsten und wichtigsten Fragen im Leben. Wann ist es Zeit, etwas Neues zu beginnen? Eine berufliche Veränderung zu wagen, eine Partnerschaft einzugehen (oder zu beenden), eine praktische Entscheidung zu treffen, im Kleinen wie im Großen?
Es ist eine große Kunst, den richtigen Moment zu finden. Das gilt für alle Lebensbereiche. Wann ist es Zeit zu reden, wann zu schweigen? Wann zu handeln, wann zuzuwarten? Oft müssen wir zugeben, dass es Glückssache war, den rechten Moment gefunden zu haben. Und es ist leicht, die anderen zu kritisieren, wenn es nicht so recht gelingt. Zur Zeit wird in unserer Gesellschaft uferlos kritisiert im Zusammenhang der Coronakrise. Wurde zu lange gewartet? Zu wenig oder zu viel geimpft? Zu viel oder viel zu wenig geöffnet? Wer bedenkt, wie schwer es im eigenen Leben ist, immer den richtigen Moment zu finden, sollte vorsichtig sein, andere zu kritisieren.
Heute, an diesem zweiten Adventsonntag, bewegt mich eine Frage: Wie wusste Jesus, wann es für ihn die rechte Zeit war, sein Leben radikal zu ändern und seine Mission zu beginnen? Wir nehmen das irgendwie für selbstverständlich, dass Jesus alles ganz genau wusste, was er in seinem Leben zu tun hatte. Er war ja Gottes Sohn, und so musste ihm das alles klar sein, was uns gewöhnlichen Menschen oft so schwer zu erkennen ist. Aber Jesus war auch ganz Mensch, und als solcher ist er uns das große Vorbild, an dem wir uns orientieren können.
Der Evangelist Lukas sagt: „Jesus war, als er zum ersten Mal öffentlich auftrat, etwa dreißig Jahre alt.“ Bis dahin hatte er ein unauffälliges Leben in Nazareth geführt. Mit dreißig Jahren war man damals schon ein Mensch in fortgeschrittenem Alter. Die Lebenserwartung lag zur Zeit Jesu weit unter der heutigen. Warum hat Jesus so lange gewartet, um öffentlich aufzutreten? Wie kam es dazu, dass er recht plötzlich sein Leben völlig änderte? Wie hat er den für ihn richtigen Zeitpunkt erkannt? Es bleibt letztlich sein ganz persönliches Geheimnis, was in seinem Innersten vorging, als er Beruf und Familie und sein vertrautes Leben aufgab und der wurde, den wir als den Jesus der Evangelien kennen.
Der Schritt Jesu in die Öffentlichkeit hat offensichtlich mit dem zu tun, was der sorgfältige Historiker, der Lukas war, heute berichtet. An einem ganz bestimmten Moment der Weltgeschichte geschah etwas, das das Leben des Johannes grundlegend veränderte. Dank der genauen Angaben des Lukas lässt sich dieses Ereignis auf das Jahr 28 unserer Zeitrechnung datieren: „Da erging in der Wüste das Wort Gottes an Johannes, den Sohn des Zacharias.“ Von da an begann Johannes „überall die Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden“ zu verkünden. Hat dieser Ruf auch in Jesus etwas ausgelöst, wie er es in vielen Menschen damals tat?
Sicher ist, dass Jesus sich zu einem bestimmten Zeitpunkt aufmachte und unter den vielen Menschen von Johannes die Taufe im Jordan erbat. Die Stimme dieses Rufers in der Wüste dürfte Jesus gezeigt haben, dass seine Stunde gekommen war. Noch einmal: Was dabei im Herzen Jesu vor sich ging, bleibt sein Geheimnis. Aber für die uns alle betreffende Frage, wie wir den rechten Zeitpunkt erkennen können, ist Jesu Weg das große Vorbild. Dafür gibt es innere und äußere Wegweiser. Das Wichtigste ist das Hören auf die innere Stimme. Das Gespür für sie kann sich entwickeln, es kann auch verkümmern. „Folge deinem Herzen!“ Doch was sagt mir wirklich mein Herz? Was sind nur meine Phantasien? Was ist bloß das Echo auf die Mode, den Zeitgeist, die Trends, die uns beeinflussen? Deshalb brauchen wir auch die äußeren Wegweiser, allen voran das, was die Weisheit der Bibel, des Wortes Gottes uns sagen kann. Hoffentlich finden wir im Advent die Zeit für ein solches Hören. Orientierung braucht es heute mehr denn je.
Es war im fünfzehnten Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius; Pontius Pilatus war Statthalter von Judäa, Herodes Tetrarch von Galiläa, sein Bruder Philippus Tetrarch von Ituräa und der Trachonitis, Lysanias Tetrarch von Abilene; Hohepriester waren Hannas und Kajaphas. Da erging in der Wüste das Wort Gottes an Johannes, den Sohn des Zacharias. Und er zog in die Gegend am Jordan und verkündete dort überall die Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden, wie im Buch der Reden des Propheten Jesaja geschrieben steht: Stimme eines Rufers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn! Macht gerade seine Straßen! Jede Schlucht soll aufgefüllt und jeder Berg und Hügel abgetragen werden. Was krumm ist, soll gerade, was uneben ist, soll zum ebenen Weg werden. Und alle Menschen werden das Heil Gottes schauen. Lukas 3,1-6,