Wie schön ist es, wenn wir von unseren hohen Podesten heruntersteigen und uns, wie der Sohn Gottes selbst, als Menschen unter die Menschen einreihen. Dann hat Gott Freude an uns. Dann sind wir einfach alle miteinander Kinder Gottes.
Wie schön ist es, wenn wir von unseren hohen Podesten heruntersteigen und uns, wie der Sohn Gottes selbst, als Menschen unter die Menschen einreihen. Dann hat Gott Freude an uns. Dann sind wir einfach alle miteinander Kinder Gottes.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium vom 9. Jänner 2022
Wie oft habe ich Situationen wie diese erlebt: Menschen warten, es bildet sich eine Schlange. Ich komme dazu, stelle mich an, warte, bis ich drankomme. Man erkennt mich. Jemand spricht mich an: Kommen Sie bitte nach vorne, Herr Kardinal, Sie müssen doch nicht warten! Es ist mir peinlich. Nicht immer gelingt es mir abzulehnen. Meist sage ich, dass ich keine Sonderbehandlung wünsche, dass ich gerne mit den anderen warte, usw. Ich gestehe, dass es mir gelegentlich dann doch recht angenehm ist, nicht lange warten zu müssen. Aber wenn ich an der Warteschlange „vorbeigeschleust“ werde, habe ich doch immer ein ungutes Gefühl. Ich schäme mich vor den anderen, die geduldig warten müssen, jetzt noch etwas länger wegen des Privilegs meiner Bevorzugung.
In solchen Momenten kommt mir gelegentlich das heutige Evangelium in den Sinn, und zwar ein kleines Detail, das aber große Bedeutung hat. Über dieses Detail möchte ich weiter nachdenken. Es ist für mich so etwas wie ein Schlüssel zum Leben Jesu, zu seinem Selbstverständnis. Es sagt so viel darüber aus, wie er sich selber und seine Sendung verstanden hat, und auch über das, was wir von ihm lernen können.
Heute ist das Fest der Taufe Jesu. Es schließt den Weihnachtsfestkreis ab. Die Taufe Jesu durch Johannes den Täufer ist das Ende seiner dreißig verborgenen Lebensjahre. Erstmals tritt er ans Licht der Öffentlichkeit. Von da an beginnen die drei Jahre seines Wirkens, die mit seinem Tod und seiner Auferstehung enden. Jesus begibt sich also von Nazareth in Galiläa hinunter an den Jordan. Eine Menschenmenge ist versammelt. Viele stellen sich an, um an die Reihe zu kommen und von Johannes in den Jordan untergetaucht zu werden, als Zeichen der Buße und Umkehr. Jesus reiht sich ein in die lange Schlange der Wartenden.
Es wird berichtet, dass Johannes darüber schockiert war. Der, den er feierlich als den kommenden Retter angekündigt hat, wartet mitten unter den Leuten wie einer von ihnen, wie ein gewöhnlicher Sünder, „zusammen mit dem ganzen Volk“. Johannes versteht erst nicht. Er hat doch von Jesus gesagt: „Es kommt einer, der stärker ist als ich, und ich bin es nicht wert, ihm die Riemen der Sandalen zu lösen. Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen“, ich taufe euch nur mit dem Jordanwasser, als Vorbereitung auf das, was Christus, der Messias Jesus, an euch tun wird.
Dieses kleine Detail, dass Jesus sich ganz normal wie alle anderen anstellt, um auf seine Taufe zu warten, empfinde ich wie eine schmerzliche und zugleich befreiende Botschaft. Nie hat Jesus für sich eine abgehobene Stellung beansprucht, obwohl es niemanden je gegeben hat, der mehr Anspruch darauf gehabt hätte. Immerhin ist Jesus der Sohn Gottes. Immer wieder versuche ich, mir diese Szene vor Augen zu halten. Sie zeigt wie im Vergrößerungsglas den ganzen Sinn des Lebens Jesu: mitten unter den Menschen zu sein, einer von uns, ohne Hervorhebung. Obwohl er ohne Sünde war, stellt er sich in eine Reihe mit uns Sündern. Als er schließlich drankommt, um sich von Johannes taufen zu lassen, „öffnet sich der Himmel“ über ihm, zeigt sich das Herabkommen des Heiligen Geistes „in Gestalt einer Taube“, und Gottes Stimme wird hörbar: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden.“ Wie schön ist es, wenn wir von unseren hohen Podesten heruntersteigen und uns, wie der Sohn Gottes selbst, als Menschen unter die Menschen einreihen. Dann hat Gott Freude an uns. Dann sind wir einfach alle miteinander Kinder Gottes.
Lukas 3,15-16.21-22
Das Volk war voll Erwartung und alle überlegten im Herzen, ob Johannes nicht vielleicht selbst der Christus sei. Doch Johannes gab ihnen allen zur Antwort: Ich taufe euch mit Wasser. Es kommt aber einer, der stärker ist als ich, und ich bin es nicht wert, ihm die Riemen der Sandalen zu lösen. Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen. Es geschah aber, dass sich zusammen mit dem ganzen Volk auch Jesus taufen ließ. Und während er betete, öffnete sich der Himmel und der Heilige Geist kam sichtbar in Gestalt einer Taube auf ihn herab und eine Stimme aus dem Himmel sprach: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden.