Am Paulus-Brunnen in Tarsus: Viele Frauen haben beim Gemeindeaufbau mit Paulus zusammengearbeitet.
Am Paulus-Brunnen in Tarsus: Viele Frauen haben beim Gemeindeaufbau mit Paulus zusammengearbeitet.
Frauenfeindlicher Paulus? Die Zahl seiner wichtigen Mitarbeiterinnen spricht dagegen. Eine von ihnen nannte er sogar ”Apostelin“.
”Der Mann wurde nicht für die Frau geschaffen, sondern die Frau für den Mann“ (1 Kor 11,9). Mit diesen und ähnlichen Argumenten begründet Paulus seine Anordnung, dass Frauen im Gottesdienst ihren Kopf verhüllen sollen. ”Die Frauen sollen in der Versammlung schweigen … Wenn sie etwas wissen wollen, dann sollen sie zu Hause ihre Männer fragen“ (1 Kor 14,34f). Diese Sätze sind für viele Frauen heute unüberwindbare Hürden für eine offene Begegnung mit den Briefen des Apostels.
Zur Entkrampfung können Beobachtungen in den übrigen Texten der paulinischen Literatur beitragen: Ein ganz anderes Bild bietet sich nämlich, wenn man beachtet, wie viele Frauen der Apostel als wichtige Mitarbeiterinnen beim Aufbau der Gemeinden nennt. Da ist zunächst eine Junia, die er sogar als Apostelin bezeichnet (Röm 16,7; leider hat sich in die Übersetzungen später der gar nicht existente Männername ”Junias“ eingeschlichen). Weiters ist eine Diakonin namens Phöbe zu erwähnen, die selbst für Paulus zur Patronin wurde (Röm 16,2). Etliche Frauen lobt der Apostel, weil sie ”viel Mühe auf sich genommen haben“ (Röm 16,6.12). Diesen Ausdruck verwendet er auch mehrfach für sein eigenes apostolisches Wirken (1 Kor 15,10; u.a.) und auch für den Einsatz jener, die leitende Funktionen innehatten (1 Thess 5,12). Das Ehepaar Priska und Aquila gehörte wohl zu seinen wichtigsten Mitarbeitern (Röm 16,3; u.a.); ihre Wohnung war Treffpunkt von Hausgemeinden (Röm 16,5; 1 Kor 16,19).
Ganz anders als die eingangs zitierten Sätze klingen Ausführungen des Apostels über die Ehe (1 Kor 7,1-16). Hier legt er großen Wert auf die partnerschaftliche Mitentscheidung der Frauen. – Man fragt sich auch, weshalb Paulus Frauen das Reden in der Gemeinde verbietet und deren prophetisches Sprechen an anderer Stelle im selben Brief ausdrücklich erwähnt (1 Kor 11,4). – Überdies ist zu beachten, dass er mit seinen Ausführungen in Bezug auf das Verhüllen des Kopfes nicht ganz glücklich zu sein scheint, denn in den abschließenden Versen relativiert er seine zuvor getätigten Aussagen (1 Kor 11,11f). Er lässt die Sache letztlich auch offen (V.16).
Dennoch bleibt ein ungeklärter Rest bei der Frage, weshalb der Apostel zumindest eine Neigung zu restriktiven Anordnungen Frauen gegenüber zeigt. Viele Fachleute vertreten die Meinung, das Schweigegebot im ersten Korintherbrief hätte ein Paulusschüler erst später in den Brief eingefügt. Dabei wird an jenen Schüler gedacht, der im Namen des Paulus die beiden Briefe an Timotheus und jenen an Titus (die Pastoralbriefe) verfasst hat. In diesen findet sich nämlich eine ähnliche Weisung (1 Tim 2,12). Etliche Argumente sprechen dafür, letztlich dürfte sich aber doch schon bei Paulus das Problem abzeichnen, dass Menschen ihre Zugehörigkeit zur Kirche einseitig zur sozialen Emanzipation nützen wollten. Nicht das Sein in Christus, sondern soziale Vorteile sind für sie entscheidend. Das hängt gerade mit dem von Paulus vertretenen Grundsatz zusammen: ”Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid ‚einer‘ in Christus Jesus“ (Gal 3,28). Nicht nur Frauen, auch Juden und Sklaven hat Paulus davor gewarnt, ihr Jude- bzw. Sklave-Sein zu verleugnen (vgl. 1 Kor 7,17-24). Damit sind seine Anweisungen an die Frauen aus der damals entstandenen Problematik zu verstehen und nicht zeitlos bindend.
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