Rasch in Rage geraten konnte der Verfasser des Hohelieds der Liebe (1 Kor 13). Doch er war überzeugt: Die Liebe hört nie auf.
Rasch in Rage geraten konnte der Verfasser des Hohelieds der Liebe (1 Kor 13). Doch er war überzeugt: Die Liebe hört nie auf.
Wer hält zu wem? Rasch in Rage konnte Paulus geraten, wenn er sinnlosen Streitereien begegnete, oder gar einer Verhetzung der Menschen.
"Gebt Acht auf diese Hunde, gebt Acht auf die falschen Lehrer, gebt Acht auf die Verschnittenen!" (Phil 3,2). "Ihr unvernünftigen Galater, wer hat euch verblendet (oder: verhext)?" (Gal 3,1). – Paulus war nicht der Sanftmütige, der mit einer Engelsgeduld alle Irrwege seiner Gemeinden ertrug. Er war vielmehr ein ausgesprochen emotionaler Mensch, der sich für seine Ideale restlos einsetzte. Eines dieser wichtigen Ideale war das gesetzesfreie Evangelium. Das bedeutet für nichtjüdische Christen, auch ohne Beschneidung und ohne die Einhaltung jüdischer Speisevorschriften und anderer Ritualgebote authentisch Jünger Jesu sein zu können.
Einen anderen Grund, in Rage zu kommen, bot ihm die Entstehung von zerstrittenen Parteien in der Gemeinde von Korinth: "Seid alle einmütig und duldet keine Spaltungen unter euch ... Es wurde mir nämlich ... von den Leuten der Chloë berichtet, dass es Zank und Streit unter euch gibt. Ich meine damit, dass jeder von euch etwas anderes sagt: Ich halte zu Paulus – ich zu Apollos – ich zu Kephas – ich zu Christus. Ist denn Christus zerteilt? Wurde etwa Paulus für euch gekreuzigt?" (1 Kor 1,10-13).
Den Spaltungen stellt der Apostel ein wunderschönes Idealbild gegenüber: das Bild vom Leib und den vielen Gliedern (1 Kor 12,12-30). So wie jeder Körperteil seine einmalige Aufgabe im menschlichen Leib besitzt, so sind auch christliche Geschwister dazu berufen, "einträchtig füreinander zu sorgen" (V. 25). Das eindrucksvolle Bild christlicher Solidarität gipfelt in der Aussage: "Wenn ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit; wenn ein Glied geehrt wird, freuen sich alle anderen mit ihm" (V. 26). Diese Gedanken könnte Paulus schon vom griechischen Philosophen Plato übernommen haben, der in ähnlicher Weise den Staat mit einem menschlichen Körper vergleicht (Plato, Der Staat 462c-d). Doch der Apostel prägt das Bild durch ein spezifisch christliches Motiv: "Ihr aber seid der Leib Christi, und jeder Einzelne ist ein Glied an ihm" (V. 27).
Treibende Kraft in dieser miteinander teilenden und mitfühlenden Gemeinschaft ist der Heilige Geist, der Geist Gottes, der Geist Christi, der Geist der Liebe. Er schenkt jeder und jedem unterschiedliche Charismen, Gnadengaben, Fähigkeiten. Diese benennt Paulus ganz konkret. Es sind nicht immer außergewöhnliche Talente (prophetische Rede, Heilungsgaben, Wunderkräfte, Weisheit), sondern auch Alltägliches: die Gabe des Dienens, des Lehrens, des Tröstens, des Ermahnens, des Teilens (Röm 12,7f).
Doch alle diese Gaben werden übertroffen von der Fähigkeit, einander zu lieben (vgl. 1 Kor 13, das "Hohelied der Liebe"). Das ganze Gesetz ist nach Paulus in dem einen Wort des Buches Levitikus (19,18) zusammengefasst. "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!" (Gal 5,14; vgl. Röm 13,9). Auch das Gebot der Feindesliebe illustriert der Apostel durch ein Zitat aus dem Alten Testament: "Wenn dein Feind Hunger hat, gib ihm zu essen, wenn er Durst hat, gib ihm zu trinken" (Spr 25,21; vgl. Röm 12,20). Liebe ist also nicht nur eine Sache der Emotionen, sondern auch konkrete Hilfestellung für Menschen in Not.
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