Gemeinsames Priestertum – Fülle des Christseins
Gemeinsames Priestertum – Fülle des Christseins
Über Geschwisterlichkeit, Menschen- und Christenwürde und das priesterliche Dienstamt
In der Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils – Lumen gentium 32 – heißt es: „Eines ist also das auserwählte Volk Gottes: ‚Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe‘ (Eph 4,5); gemeinsam die Würde der Glieder aus ihrer Wiedergeburt in Christus, gemeinsam die Gnade der Kindschaft, gemeinsam die Berufung zur Vollkommenheit ... und ungeteilt die Liebe ...
Es ist also in Christus keine Ungleichheit aufgrund von Rasse und Volkszugehörigkeit, sozialer Stellung oder Geschlecht; denn ‚es gilt nicht mehr Jude und Grieche, nicht Sklave und Freier, nicht Mann und Frau; denn alle seid ihr einer in Christus Jesus‘ (Gal 3,28; vgl. Kol 3,11) ... alle [sind] zur Heiligkeit berufen … Wenn auch einige nach Gottes Willen als ... Hirten für die anderen bestellt sind, so waltet doch unter allen eine wahre Gleichheit in der allen Gläubigen gemeinsamen Würde und Tätigkeit zum Aufbau des Leibes Christi." Ganz ähnlich schon Papst Leo der Große († 461): „In der Einheit des Glaubens und der Taufe genießen wir unterschiedslos Gleichheit und gemeinsame Würde."
Das Konzil hat eine geschwisterliche Kirche vor Augen. Eine Kirche, in der alle, gleich welcher Stellung, einander ebenbürtig aus der Taufe ein und dieselbe Würde besitzen. Und auch das Tun und das Engagement jeder und jedes einzelnen in der Kirche und für sie sind von gleichem Wert! Im Kirchenrecht von 1917 noch waren die Kleriker die allein legitimen Träger des kirchlichen Handelns, und von den Rechten aller übrigen war darin nur ganz vereinzelt die Rede. Es wurde 1983 durch einen neuen, am Geist des Konzils sich orientierenden Kodex abgelöst.
Das Konzil hat ausdrücklich im Sinne Menschenwürde aller gedacht und gesprochen – ein Denken, wie es sich (durchaus auch aus christlichen Wuzeln) in der Neuzeit, insbesondere seit der „Aufklärung“, bis hin zur Charta der Vereinten Nationen 1948, entfaltet hatte. Eindringlich haben uns nochmals die letzten Jahre gelehrt, wie gebieterisch und grundlegend die Menschenrechte zur „Charta“ (im Grunde zuerst) der Kirche gehören. Sie wäre sonst nicht die Kirche Jesu! Menschenwürde und Christenwürde korrespondieren zutiefst; sie inspirieren, helfen und stützen einander und müssen dies immer lebendig tun. Durch sein klares Eintreten für Gleichheit, Würde und Wert aller in Person und Handeln verändert das Konzil die „Landschaft“ der Kirche. Denn der Geist Gottes selbst erneuert unaufhaltsam nicht nur das Antlitz der Erde (Psalm 104,30), sondern auch das Antlitz der Kirche. Und nur so, an Menschenwürde und -recht orientiert, kann unsere gemeinsame Würde aus der Taufe, kann unser Christsein in Alltag und Feier königlich-priesterlich sein!
Ein Leserbrief im „Sonntag“ vom 18. 9. 2013 bietet Gelegenheit, ein verbreitetes Bedenken zu zerstreuen. Das Priestertum aller in Jesus im Neuen Testament geht der Reformation lange voraus. Die Katholische Kirche sieht bis heute keinen Widerspruch darin, den Eucharistievorsitz dem ordinierten Amtsträger vorzubehalten, also diese Ausübung des einen Priestertums der Kirche, samt der Verwaltung der übrigen Sakramente, an die Ordination und somit an den Leitungsdienst der Kirche zu binden.
Als „priesterliches Dienstamt“, so das Konzil, ist der Presbyterat dem Hirtenamt zugehörig und ist von Jesus der Kirche als Hilfe für ihre Leitung, ihren Weg und ihren Aufbau gegeben. Sein amtsspezifischer priesterlicher Charakter ist in der „priesterlichen Gemeinschaft“, die die ganze Kirche ist (Lumen gentium 11), begründet und in sie eingebunden. Es besteht kein Konkurrenzverhältnis unter den verschiedenen Ausprägungen des einen gemeinsamen christlichen Priestertums.
P. Dr. Elmar Mitterstieler SJ
P. Dr. Elmar Mitterstieler SJ, Autor des Buches „Das wunderbare Licht, in dem wir leben. Gleichheit, Würde und Priestertum aller in der Kirche“.