„Oans, zwoa, drei gsuffa!“, so lautet das Motto beim Oktoberfest. Von neun Uhr morgens bis 23 Uhr kellnert Stadtpfarrer Schießler täglich auf der Münchner Wiesn. Er macht das im Urlaub.
„Oans, zwoa, drei gsuffa!“, so lautet das Motto beim Oktoberfest. Von neun Uhr morgens bis 23 Uhr kellnert Stadtpfarrer Schießler täglich auf der Münchner Wiesn. Er macht das im Urlaub.
Rainer Maria Schießler ist ein unkonventioneller Seelsorger. Der Münchner Pfarrer arbeitet im „Bobo-Viertel“ der Stadt, ist rund um die Uhr für die Gläubigen erreichbar und schenkt in diesen Wochen beim Oktoberfest auf der Theresienwiese aus.
Für mich ist es immer eine Freude ,nach München zu kommen. Das bayerische kulinarische Lebensgefühl mit Weißbier, Weißwurst und Brezn gefällt mir. Auch einer meiner Lieblingsfußballklubs, die 1860er spielen da. Daher liegt es auf der Hand, für den SONNTAG Pfarrer Rainer Maria Schießler in „Minga“ zu interviewen.
„Kommen’s vorbei, i bin eh do.“ Schon Wochen vorher haben wir uns den Termin ausgemacht und er hält. Seine Pfarre St. Maximilian liegt im Glockenbachviertel bei der Isar.
Es ist keine leichte seelsorgliche Aufgabe hier, denn neben Schwabing ist es eine weitere Fortgehmeile der bayerischen Haupstadt. Aber der 57-jährige Pfarrer kennt keine Begegnungsängste und mischt sich oft auch unter die „Fortgeher“. Daher nimmt er sich Mitte September immer Urlaub, um beim Oktoberfest auf der „Theresienwiese“ Bier auszuschenken.
Unter dem Jahr ist er jederzeit für Gläubige erreichbar, hat sein Handy nie ausgeschaltet. Pfarrer Schießler stammt aus einfachen Verhältnissen, geprägt vom Glauben, schildert er dem SONNTAG.
Der Glaube war zu Hause eine Selbstverständlichkeit. Mein Bruder und ich sind nie aus dem Haus gegangen, ohne dass wir von der Mutter ein Kreuzzeichen auf die Stirn bekommen hätten. Sie hat auch nie einen Laib Brot angeschnitten, ohne ihn zu segnen. In die Kirche gedrängt haben uns die Eltern aber nie.
Trotzdem haben Sie mit zehn Jahren das erste Mal ministriert...
Ja, da habe ich bei der Wandlung aber statt zu läuten, gekotzt. Das sehe ich heute noch vor mir. Das Umfeld hat natürlich zuerst sehr schockiert reagiert. Aber der Pfarrer hat ganz anders reagiert.
Er hat natürlich seine Messe weitermachen müssen. Aber er hat nichts anderes zu tun gehabt, als am Sonntag rauszukriegen, wer der kleine Typ war, der in der Messe herumgekotzt hat.
Dann hat er am Nachmittag bei uns angerufen und gefragt, wie es mir geht und hat gesagt, dass er sehr stolz auf mich ist, weil ich heute der Einzige war, der wirklich alles gegeben hat.
Ich habe diesen Gag nicht verstanden. Aber die Geste, die habe ich schon verstanden. Wieso läuft der mir nach? Warum bin ich dem nicht egal? Damit ist ein Grundbaustein gesetzt worden, den ich erst Jahrzehnte später so richtig verstanden habe. Ich bin dir nicht egal.
Kirche hat da zu sein, um den Menschen genau diese Erfahrung weiterzugeben, dass er dem lieben Gott und den anderen Menschen nicht egal zu sein hat.
Später sind Sie Priester geworden. Wie wichtig sind für Sie in diesem Zusammenhang die Sakramente?
Es gibt nichts Intimeres in der Gottesbegegnung als ein Sakrament. Wenn man alle Sakramente von der Taufe bis zur Krankensalbung betrachtet, ist immer die Berührung dabei. Es ist immer die Hand mit im Spiel.
Und da meine ich jetzt keine magische Kraft, sondern es ist genauso, wie wenn sich zwei Liebende berühren. Ich sag’ immer wieder, dass wir von Liebenden lernen müssen.
Ein Sakrament ist sinnlos gespendet, wenn ich dabei nichts spüre. Ich muss diesen Händedruck, diese Handauflegung spüren, das muss immer in mir da sein. Und derjenige, der das Sakrament empfängt, der muss spüren, dass es durch und durch geht, weil Gott ihn erreichen möchte. Dass muss aber authentisch sein, nicht gespielt.
Aber haben Menschen nicht Angst vor Berührung?
Im Gegenteil. Wir erleben, dass die Leute sagen, der sei so unnahbar. Ich meine, es nicht übertrieben. Ich umarme jetzt nicht die Leute am Friedhof, oder bei jeder Hochzeit die Braut.
Sondern es geht um die Beziehung im sakramentalen Tun. Dass meine Hand zum Beispiel nicht 20 Zentimeter über dem Brautpaar kreist, sondern dass sie sie spüren, dass ich sie auflege. Auch wenn die Braut leise flucht und sagt, jetzt war ich drei Stunden beim Friseur und der macht mir die Frisur kaputt. Das kann ja auch sein, aber sie soll mich spüren. Das ist für mich nur sinnbildlich.
Sakramente spüren heißt, dass eigentlich keiner aus dem Gottesdienst rausgehen soll, der nicht merkt, dass da etwas mit ihm passiert ist. Dass er zu diesen Eingeladenen gehört. Ich gehe nicht in die Kirche, weil ich etwas will oder muss, sondern weil ich etwas brauche.
Warum arbeiten Sie seit zehn Jahren am Oktoberfest als Kellner?
Du holst dir das Bier und in dem Moment, wo du es übernimmst, ist es dein Besitz. Wenn’s dir runterfällt, zahlst du drauf. Du kannst aber auch nicht mit jedem Bier einzeln rennen, deshalb musst du schon mal 14 Maß auf einmal nehmen. Das ist herausfordernd.
Auch dass du mit Leuten umgehen lernst, ist spannend. Du musst von neun Uhr morgens bis 23 Uhr abends lächeln. Zugegeben, das kann ich nicht immer und ich sag dann schon mal: Verschwinde! Du spürst deine körperlichen und mentalen Grenzen.
Das Ganze aber überleben zu können und zu spüren, dass sich die Arbeit nicht nur lohnt, weil man gut verdient. Sondern weil man Menschen erlebt, die das Leben feiern, die freundlich sind und mich mit den Jahren ganz bewusst auf der Wiesn aufsuchen. Das ist schon was Besonderes.
Das erarbeitete Geld spenden Sie?
Ich verdiene ausreichend als Pfarrer. Das wäre ein Witz, wenn ich da im Urlaub, den ich arbeitend auf der Wies’n verbringe, noch Geld dazuverdienen müsste.
Sieben Jahre habe ich für Menschen in der Elfenbeinküste gespendet und seit zwei Jahren für die Flüchtlingshilfe. Damit möchte ich sagen: Ich bin da für euch. Es geht um den symbolischen Akt, Freude zu teilen und weiterzugeben.
Haben Sie ein Patentrezept, damit die Menschen in der Kirche bleiben?
Von mir bekommen alle Leute, die aus der Kirche austreten, ein Schreiben. Da steht nicht drinnen, was du nicht mehr darfst und nicht mehr kannst.
Sondern da steht drinnen, dass es mir wahnsinnig leid täte, wenn du wegen mir aus dieser Kirche ausgetreten bist. Wegen meines Versagens, oder wegen meiner Pfarrei.
Denn überlegen wir einmal, was es überhaupt bedeutet, aus der Kirche auszutreten? Das heißt ja, dass man die eigene Glaubensgeschichte hinter sich lässt.
Ich möchte dass sich die Leute fragen, ob sie eine andere Kirche möchten, eine die anders funktioniert? Dann bin ich sofort dabei! Aber das geht nur, wenn diejenigen das gemeinsam mit mir machen. Indem du jetzt gehst, lässt du mich allein. Und du wirst nie den Tag erwarten können, an dem du eine perfekte, vollendete Kirche triffst. Die wird es nicht geben.
Zwei „Löwen“- Fans im Gespräch: Stefan Hauser besuchte Stadtpfarrer Rainer Maria Schießler in München-St. Maximilian.
»Auftreten statt austreten« – lautet der Appell von Rainer Maria Schießler in seinem Buch. Es ist in der 18. Auflage und über 200.00 mal über den Ladentisch gegangen.
Rainer Maria Schießler
Auftreten statt austreten
Verlag Kösel
ISBN: 978-3-466-371471-1
€ 20,60
Buchempfehlungen der "SONNTAG"-Redaktion:
Warum Pfarrer Schießler ein Fan des Fußballvereins 1860 München ist und wie unkonventionell er Seelsorge in seiner Pfarre betreibt.
Am Freitag, 15. September um 17.30 Uhr auf radio klassik Stephansdom. Wiederholung am 17. September, 17.30 Uhr.
Weitere Lenbenszeugnisse:
Wie ich (wieder) zum Glauben kam
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