Petra Trieb: „Ich lege nicht Wert auf Materielles. Bis auf mein Cochlea-Implantat – das brauche ich zum Leben.“
Petra Trieb: „Ich lege nicht Wert auf Materielles. Bis auf mein Cochlea-Implantat – das brauche ich zum Leben.“
Wie fühlt es sich an, wenn die Welt plötzlich verstummt? Wenn Musik, Autolärm oder die Stimme der Kinder nicht mehr gehört werden können? Petra Trieb weiß, wie sich das anfühlt. Von einem Tag auf den nächsten hat sie ihr Gehör verloren.
Petra Trieb ist dreizehn Jahre alt, eine aufgeweckte Jugendliche, die gerne Musik hört, lacht, mit ihren Freundinnen spaßt. Eines Tages kippt sie in der Schule vom Stuhl – eine Pneumokokken-Infektion greift ihr Leben an.
Die Gehirnhautentzündung wird zu lange nicht erkannt. Das Mädchen fällt ins Koma, erwacht erst Wochen später im Krankenhaus – und kann nicht mehr hören.
„Das war schrecklich“, sagt Petra. „Stellen Sie sich vor, Sie kommen in einen Raum mit vielen Menschen und niemand redet mit ihnen. Ich habe mich so gefühlt, wie wenn ich außen stehe und das Leben zieht an mir vorbei.“
Was folgt, ist die schwierigste Zeit ihres Lebens: „Ich habe mir Geräusche eingebildet. Habe einen Tinnitus bekommen, habe immer das Gleiche gehört. Ich dachte, ich drehe durch. Psychisch war das eine große Belastung.“
Petra Trieb ist mit ihrem Erlebten nicht alleine. Von 1000 Neugeborenen kommen in Österreich ein bis zwei gehörlos zur Welt. Auch rund die Hälfte aller Menschen ab 65 hört schlecht oder gar nicht.
Ärzte am Wiener AKH machen die junge Frau auf Cochlea-Implantate aufmerksam. Die elektrischen Geräte kommen dann zum Einsatz, wenn Hörgeräte nicht mehr helfen.
Sie bestehen aus zwei Teilen: Einem Audioprozessor, der außen hinter dem Ohr getragen wird, und einem Implantat, das direkt unter die Haut eingepflanzt wird. Durch elektrische Impulse stimuliert das Implantat Nervenfasern der Hörschnecke und umgeht dabei genau jene Teile des Innenohrs, die nicht mehr funktionieren. So lernt das Gehirn wieder hören.
Petra erinnert sich an jenen Moment, als ihre beiden Implantate, eines am rechten, das andere am linken Ohr, eingeschalten wurden: „Ich saß in einem Zimmer, hinter mir meine Mutter, vor mir ein Mann, der die Lautstärke meines Implantats einstellte. Draußen war Baulärm, und – ich konnte ihn hören! Es war sehr emotional. Meine Mutter sagte etwas, und ich habe ihre Stimme erkannt.“
40 Jahre ist es her, dass einem Menschen erstmals ein solches Cochlea-Implantat eingesetzt wurde: Es war im Dezember 1977 an der HNO-Klinik des Wiener AKH.
Das Gerät dazu hat ein österreichisches Ehepaar entwickelt, Ingeborg Hochmayr-Desoyer und Erwin Hochmair. Ihre Firma MED-EL in Innsbruck ist mittlerweile weltweit führend bei Hörimplantaten. In Österreich werden jährlich rund 500 Hörimplantate eingesetzt.
Die heute 33-jährige Petra Trieb kann sich ein Leben ohne Implantat nicht mehr vorstellen. „Für mich war klar, ich mache alles, damit ich wieder hören kann“, sagt sie. „Ich wollte wieder Kinder lachen, spielen, weinen hören – auch wenn das Weinen nicht unbedingt schön anzuhören ist, aber es gehört genauso dazu.“ Ein Jahr nach dem Einsetzen der Hörgeräte beginnt sie eine Lehre und wird Bürokauffrau. Berufsbegleitend macht Petra Trieb die Reifeprüfung nach.
Lernt Petra Trieb jemanden kennen, verrät sie meist nicht, dass sie gehörlos ist: „Behinderung ist immer eine Einschränkung. Ich wollte so gesehen werden, wie ich bin, was ich kann, was ich mache.“ Auch in der Arbeit erzählt sie anfangs nicht von ihren Cochlea-Implantaten. „Außer sie haben etwas unter den Haaren hervorblitzen gesehen oder ich musste die Akkus der Geräte wechseln, dann kamen manchmal Fragen. Dann habe ich meist so nebenbei gesagt, ich bin gehörlos.“
Bei vielen war die Verwunderung groß: „Was? Das haben wir ja gar nicht bemerkt? Echt wahr? Wie kannst du gehörlos sein, du sprichst ja ganz normal?“, erinnert sich Petra Trieb an die Reaktionen.
Auch als sie einen Mann kennenlernt und sich verliebt, erzählt sie ihm anfangs nichts von ihrer eigentlichen Gehörlosigkeit. „Ich will nicht in eine Schublade gesteckt werden, wo vorne drauf „gehörlos“ oder „behindert“ steht.“
Heute ist sie mit dem Mann verheiratet, hat zwei Söhne – und kann das Lachen ihrer Liebsten tatsächlich hören.
„Wenn ich sage, dass ich gehörlos bin, werde ich oft als behindert abgestempelt. Das ärgert mich. Ich möchte am Leben teilhaben und so gesehen werden, wie ich bin“, sagt Petra Trieb (am Bild zu sehen mit ihrem Mann und den beiden Söhnen).
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