Gerhard: Sein Foto zeigen wir auf Wunsch an dieser Stelle nicht. Dafür seine Worte und Gedanken. Was bleibt, wenn ein Mensch geht?
Gerhard: Sein Foto zeigen wir auf Wunsch an dieser Stelle nicht. Dafür seine Worte und Gedanken. Was bleibt, wenn ein Mensch geht?
Gerhard Eineder wird sterben. Er hat Krebs – und lässt sich nicht behandeln. Chemotherapie oder Bestrahlung? Eineder entscheidet sich für Reisen. Das Porträt eines Lebenden.
Gerhard Eineder kennt sein Grab. Vor drei Wochen war er das letzte Mal dort, auf dem Südwestfriedhof in Meidling, wo seine Eltern begraben liegen und Renate, seine Frau. „Manchmal, wenn ich davor stehe, denk ich mir: Ein schönes Quartier bekomm ich als nächstes“, sagt der 72-jährige Wiener. Wehmut überkommt ihn deshalb nicht: „Es ist, wie es ist“, sagt er. „Ich mache mir nichts vor. Der Tag kommt – ich weiß nur nicht wann.“
Begonnen hat alles mit einem Wimmerl. Es wollte einfach nicht weggehen. Als Eineder seine Ärztin aufsucht, schickt sie ihn sofort zur Magnetresonanztomographie. Eine Untersuchung folgt der nächsten. Wochen später die Diagnose: Zungengrundkrebs. Eine Stunde lang hört sich Eineder alle Behandlungsmöglichkeiten an: Operieren, Bestrahlen, Chemo. Er entscheidet sich für Bestrahlung, denkt, zuhause angekommen, nochmal darüber nach – und entscheidet sich dann doch anders: „Nein, das tust du dir nicht an.“
39.906 Menschen haben im Jahr 2015 in Österreich eine Krebsdiagnose bekommen, so die aktuellsten Zahlen. Insgesamt wurden damals hierzulande mehr als 340.000 Krebskranke gezählt. Über 20.000 Menschen sind in diesem Jahr ihrer Krankheit erlegen.
Nach Herz-Kreislaufleiden ist Krebs die zweithäufigste Todesursache. In den kommenden Jahren rechnen Experten damit, dass die Diagnose Krebs weiter zunimmt, denn die Menschen werden immer älter. Aber obwohl die Krebserkrankungen zunehmen, sinkt das Risiko, tatsächlich auch an Krebs zu sterben: Neue Therapiemethoden verlängern das Leben der Patienten – und erhöhen so die Überlebenschancen. Fragt sich nur: Steigt damit auch die Lebensqualität?
Zwei Jahre lang sieht Eineder seiner Frau ohnmächtig beim Sterben zu. Sieht, wie ihr Zustand von Tag zu Tag schlechter wird. Chemotherapie folgt auf Chemotherapie. Doch Renates Dickdarmkrebs weitet sich auf die Leber aus. Bis seine Frau ihrer Krankheit erliegt. „Ich habe gesehen, wie ein Mensch im Spital elendig zugrunde geht, bis man sie nicht wiedererkennt“, sagt Eineder. Das war 1999.
15 Jahre später erkrankt sein Onkel an Zungengrundkrebs. Sechs Monate nach der Diagnose ist der Onkel tot. Der Sohn des Onkels erkrankt kurze Zeit später ebenfalls an Zungengrundkrebs – und stirbt innerhalb von sechs Monaten. Allen Therapieversuchen zum Trotz. Dann erkrankt auch er.
„Meine Tochter hat sich am Anfang schwer getan mit meiner Entscheidung“, sagt Eineder. „Aber ich habe mich so entschieden.“ Gerhard Eineder will sich nicht behandeln lassen.
Stattdessen fährt Eineder durch ganz Europa. Bereist Hamburg, Barcelona, Rom, Südtirol. „Die Ärzte haben zu mir gesagt, fahren Sie fort, schauen Sie sich die Welt an“, sagt Eineder. Die Krankheit hindert ihn nicht daran. „Ich war ein normalaussehender Mensch.“ Im Mai 2017 heiratet seine Tochter, auch da geht es Eineder noch gut. Ein paar Wochen später tauchen erstmals Metastasen auf – direkt außen am Hals.
Gerhard Eineder sitzt während des Interviews im Göttlichen Heiland – mit kurzärmeligem T-Shirt und bunt geblümten Bermudashorts, als wäre er hier auf Urlaub. Reisen lässt seine Krankheit mittlerweile nicht mehr zu. Um seinen Hals trägt er einen dicken, weißen Verband. Die Mullbinden decken die Metastasen ab und fangen Blut und Sekrete auf. Täglich muss der Verband gewechselt werden.
Gegen die Schmerzen bekommt Eineder Medikamente. „20 Tabletten am Tag“, erzählt er. Immer dann, wenn es ihm schlechter geht, die Schmerzen trotz Medikamente zu stark werden, kommt Eineder in den fünften Stock des Krankenhauses, hierher in die Palliativstation „St. Raphael“.
Anders als in herkömmlichen Stationen geht es hier nicht um das „Heilen“, sondern um das „Lindern“, der Schmerzen etwa. Ziel ist, die Lebensqualität der Menschen zu verbessern, damit sie wieder eine Zeitlang nach Hause können, selbstbestimmt leben können.
„Hier wird einem wirklich geholfen“, sagt Eineder. „Der Umgang ist so menschlich hier. Die Mitarbeiter nehmen sich Zeit für dich, gehen auf dich ein, sprechen mit dir. Über alles, was einen bedrückt.“ Dennoch sehnt er sich schon wieder nach seinen eigenen vier Wänden, nach seiner Wohnung in Liesing.
Ob er Angst vor dem Tod hat? „Nein“, sagt Eineder. „Solche Gedanken mach ich mir nicht. Ich bin Realist. Und ein Mensch wie jeder andere. Nur hab ich halt Krebs.“ Die Entscheidung gegen Chemo und Bestrahlung ist für ihn persönlich: „Die beste gewesen.“ Aber, sagt Eineder: „Das muss jeder für sich entscheiden.“
Und erzählt dann von Renate, seiner Frau, und jener Zeit, als sie im Sterben lag: „Diese Woche würde sie nicht überleben, sagten die Ärzte. Vier Wochen später war sie immer noch hier. Eine Bedienerin des Krankenhauses hat eines Tages zu mir gesagt: Im Krankenhaus gibt es einen Priester, er könnte die Letzte Ölung machen. Ich hatte gar nicht daran gedacht.“
Eineder holt den Priester, Renate erhält die Krankensalbung. Die Nacht darauf stirbt sie. „Wie wenn meine Frau darauf gewartet hätte. Seitdem denke ich anders. Ich denke oft, da gibt es etwas. Jeder hat seinen Engel. Seinen Schutzengel. Da darf man nicht mehr so hart argumentieren.“ Gerhard Eineder weiß, dass seine Zeit begrenzt ist und dass er nicht mehr lange zu leben hat. Dreieinhalb Jahre ist es her, dass eine Diagnose sein Leben verändert hat.
Was er sich für sein eigenes Sterben wünscht? „Ich möchte so sterben, dass meine Tochter möglichst keine Schwierigkeiten mit mir hat.“
„Passionswege“ auf radio klassik Stephansdom
Gerhard Eineder hat Krebs – und lässt sich nicht behandeln. Das Porträt eines Lebenden, gestaltet von Gerlinde Petric-Wallner.
Die Hospizbegleiterin Bettina Mantz erzählt in der Sendung, warum wir von Sterbenden viel über das Leben lernen können.
Zu hören am Samstag, 24. März, von 19 - 20 Uhr.
DaCapo am Mittwoch, 18. März, von 19 - 20 Uhr.
Nachhören auf www.radioklassik.at als podcast.
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