Glaube und Kreativität bilden einen gangbaren und oft erfolgreichen Weg zur Verarbeitung von negativen Erlebnissen und zur Selbstentfaltung.
Glaube und Kreativität bilden einen gangbaren und oft erfolgreichen Weg zur Verarbeitung von negativen Erlebnissen und zur Selbstentfaltung.
Mit 21 Jahren suchtkrank, drogenabhängig und kriminell. Martina hat genug. Sie will weg von der Nadel, raus aus der Sucht. Das Schweizer Haus Hadersdorf in Wien hilft, aus der Abhängigkeit auszubrechen.
Wie eingerahmt sitzt Martina, 31 Jahre, in einer lichtdurchfluteten kleinen Kammer – ihrem Arbeitsplatz. Seit Jahresbeginn ist sie eine Portierin im evangelischen Schweizer Haus Hadersdorf. „Davor war ich, mit Unterbrechung, auf stationärer Basis hier im Haus“. Dort wurde Martina – alle Klienten-Namen wurden geändert – mit einem strukturierten Tagesablauf, Arbeitsangeboten und mit ihrer Kreativität konfrontiert.
Martina ist überzeugt, ihr Glaube an sich selbst und an Gott „hat die Therapie nachhaltig beeinflusst“. Das, und die Fähigkeit zu einem selbstbestimmten Leben „sind wichtig, um aus der Sucht raus zu kommen“, sagt Martina, während sie aus dem Fenster zum schmiedeeisernen Eingangstor der Therapiestation blickt.
Seit Beginn des Jahres arbeitet die zweifache Mutter als Portierin in dieser Einrichtung für Suchttherapie. Akribisch notiert sie jeden, der das Areal betritt und wieder verlässt. Martinas Leben vor der Drogentherapie: familiärer Missbrauch, Kriminalität, zwei aus dem Drogenmissbrauch resultierende Haftaufenthalte, die Diagnose HIV-positiv, bis hin zu zwei Herzstillständen. „Meistens habe ich meine Gefühle vollkommen unterdrückt“, sagt Martina.
Max, 26, über seine Suchterkrankung: „Depressionen. Selbsthass. Selbstzweifel. Das ist ein riesiger Kampf.“ Er ist einer von 50 stationär betreuten jungen Menschen in dem vor 20 Jahren eröffneten Haus für Drogentherapie.
Mit den Händen formen, schnitzen und pflanzen. Tongefäße in einem Ofen brennen, Gemüsebeete anlegen, Einrichtungsgegenstände in einer Holzwerkstatt produzieren und öffentlich verkaufen. Ein hauseigener Seerosen-Teich wird derzeit im Außenbereich der Therapiestation errichtet. „Als Therapieansatz stärkt handwerkliches Arbeiten das Selbstwertgefühl“, sagt Martina.
Auf dem 5.500 Quadratmeter großen Areal der Therapiestation gibt es einen Teich, einen in liebevoller Kleinarbeit gepflegten Garten, einen Musiksaal und eine Kapelle.
„Ohne Glauben kann man nicht durch das Leben gehen. Der Glaube kann durch eine Religion bestimmt sein oder individuell. Egal, hier im Schweizer Haus leben und arbeiten wir alle zusammen“, stellt Xander, 25, fest. Er ist stationärer Klient.
Religiös-kulturelle Bräuche zu verwirklichen, wie eine individuelle Nahrungsmittelzubereitung zu Fastenzeiten, ist im Schweizer Haus möglich.
Eine Kreativwerkstatt fördert die künstlerische Entfaltung.
Die hauseigene Zeitschrift „Hadersdorfer Therapiekurier“ wird in Zusammenarbeit mit Klienten erstellt. „Die kreative Beschäftigung während der Therapie dient zur Verarbeitung des Erlebten und zur Selbstentfaltung“, sagt Claudia Bienert, Abteilungsleiterin für Öffentlichkeitsarbeit und Marketing im Schweizer Haus.
Als Zeichen des gegenseitigen Respekts und der Anerkennung der geleisteten Arbeit ist es für die Betroffenen möglich, „sich ein wenig Taschengeld zu verdienen“, betont Martina. Das Therapieangebot des Schweizer Hauses kennt sie aus eigener Erfahrung. Es umfasst Behandlung und Rehabilitation bei Alkoholproblemen, stationäre und ambulante Therapie bei Drogenabhängigkeit sowie Einzel- und Gruppentherapie.
Schwerpunkte: psychotherapeutische, klinisch-psychologische und gesundheits-psychologische Behandlungen. Substitutionstherapie, um von der Sucht los zu kommen, wird begleitend angeboten.
„Wir verfolgen das Ziel, durch medizinisch-psychiatrische Behandlung und sozialarbeiterische Begleitung Menschen auf ihrem Weg zu einem suchtstabilen, selbstbestimmten Leben zu unterstützen“, sagt Alexander
Amesmann, Arzt für Allgemein-medizin und therapeutischer Leiter im stationären Bereich im Schweizer Haus.
Für einen Therapieplatz, also für einen möglichen Weg zur Rehabilitation, müssen bestimmte Voraussetzungen vorliegen. Bei mehr als der Hälfte der Betroffenen im Schweizer Haus ist es eine direkte Weisung durch das Gericht. „Neben einer diagnostizierten Suchterkrankung muss es zu einer Kostenübernahme durch die Justiz oder durch die Sucht- und Drogenkoordination Wien kommen“, sagt der therapeutische Leiter Alexander Amesmann.
Sind alle Auflagen erfüllt, nehmen dennoch nicht alle Betroffenen die Möglichkeit einer Suchttherapie in Anspruch. „Viele werden rückfällig. Der kalte körperliche Entzug in der Haft ist kurzfristig, der psychische Entzug hier ist schlimmer. Du musst dich hier wirklich mit dir auseinandersetzen“, sagt Martina, „Hoffnungslosigkeit, Schuldgefühle und Zweifel zeigen sich bei jedem Abhängigen“, fügt sie hinzu.
Martina ist dankbar für die Chance, Teil des Schweizer Hauses zu sein. „Hier bin ich durch die viele Arbeit erschöpft, aber glücklich. Der Glaube an mich und die tägliche Routine haben mich gestärkt. Die Arbeit gibt mir Hoffnung.“ Ihr Job als Portierin verleiht Martina Selbstbewusstsein. Hinter dem scheinbar rauen Umgangston zwischen ihr und den zu behandelnden Menschen steckt viel Verständnis und Zuneigung: „Auch wenn es aussichtslos scheint, ist es das nicht. Es gibt immer jemanden, der dir zuhört. Du darfst dich nie aufgeben. Nie aufgeben!“, sagt Martina mit Nachdruck. Ihre Motivation: Das Leben bewusster wahrzunehmen, Kleinigkeiten schätzen zu lernen und sich zu freuen, „wieder einen weiteren Tag geschafft zu haben“.
Durch Arbeit an sich und die Bereitschaft, ihr Leben selbst zu gestalten, gelingt es Martina an ihre Stärken zu glauben. Sie ist weg von der Nadel. Raus aus der Abhängigkeit. Ihr Wunsch für die Zukunft: „Ein ganz normales Leben mit meiner Familie. Meine Ziele sind Sicherheit, Stabilität und Geborgenheit.“
Vorerst will Martina weiterhin die ambulante Behandlung durch das Schweizer Haus in Anspruch nehmen. Sich selbst und ihrer Zukunft zuliebe.
Mit den eigenen Händen etwas Kreatives schaffen – im Schweizer Haus Hadersdorf gehört das wie das Handwerken zu den Therapieansätzen.
Das Schweizer Haus Hadersdorf (SHH)
1899 – Das SHH wurde durch die Geschäftsfamilie Gerngross gekauft.
1938 – 1945 Vor der Emigration der Familie Gerngross wurde das SHH dem Hilfswerk der evangelischen Kirchen Schweiz (HEKS) überlassen.
1947 – Heimstätte für Waisen- und Flüchtlingskinder des Hilfswerks.
1971 – Tagungsstätte für Weiterbildung der evangelischen Gemeinden der Diözese Wien.
1998 - Der evangelische Waisenversorgungsverein (EWV) und der Verein Wobes gründen das
Schweizer Haus Hadersdorf (SHH).
Adresse: Mauerbachstrasse 34, 1140 Wien.
Web: shh.at
Anlaufstelle für Betroffene und Angehörige:
Arbeitergasse 4,
1150 Wien.
01 / 967 47 42
Spendenkonto:
IBAN: AT511100002413191401
BIC: BKAUTATWW
die Zeitung der Erzdiözese Wien
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