Der 57-jährige Manfred Meusburger (unten Mitte) im Kreis des Teams der Bergrettung in Lech.
Der 57-jährige Manfred Meusburger (unten Mitte) im Kreis des Teams der Bergrettung in Lech.
Im Skigebiet von Lech wurden vor Kurzem vier deutsche Skifahrer von einer Lawine verschüttet. Alle vier wurden tot geborgen. Der Leiter der Bergrettung Lech spricht im Interview über den riskanten Einsatz und über die Berufung, ein Bergretter zu sein.
In den vergangenen Tagen und Wochen herrschte in weiten Teilen Österreichs ein komplettes Schneechaos. Zahlreiche Ortschaften waren tagelang eingeschneit und von der Außenwelt abgeschnitten. Die gewaltigen Schneemassen in haben zahlreiche Verletzte und sieben Todesopfer gefordert.
Die Helfer wurden dabei an ihre körperlichen Grenzen gebracht. Teilweise unter Einsatz ihres eigenen Lebens versuchten sie unermüdlich zu helfen und Leben zu retten. Und dort, wo es nichts mehr zu retten gab, die Opfer zu bergen.
Einer dieser Helfer ist Bergretter Manfred Meusburger, der in Lech am Arlberg mit seinem Team vier junge Männer nur noch tot aus einer Lawine bergen konnte.
Was geht in einem vor, wenn man Menschen nur noch tot bergen kann?
Jeder verarbeitet das anders. Wir treffen uns immer nach dem Einsatz – meistens noch am selben Tag – zu einer Abschlussbesprechung. Da geht es nicht nur darum, ob die technische Abwicklung gepasst hat, sondern wir fragen auch: „Wie geht es euch?“, „Möchte jemand reden?“ Das kommt natürlich bei solchen Extremsituationen immer wieder mal vor.
Wir alle im Team stehen für Gespräche bereit und wir haben auch das Glück, dass einer unserer Bergretter Mitglied im Kriseninterventionsteam ist. Er ist daher geschult und erfahren und steht für Einzelgespräche bereit.
Wie verarbeiten Sie es persönlich?
Ich selbst kann ganz gut damit umgehen. Aber auch mir hilft es, wenn ich in meinem engsten Freundeskreis darüber reden kann. Ich habe sehr gute Freunde, die dann für mich da sind und zuhören.
Sie sind regelmäßig mit Extremsituationen konfrontiert. Gewöhnt man sich daran?
Ja schon. Das sind Dinge, die man vorher trainiert hat. Das hilft. Man fokussiert sich in Extremsituationen voll und ganz auf die Arbeit und ruft das ab, was man trainiert hat.
Trotzdem ist jeder Einsatz natürlich anders und man muss sich jedes Mal wieder neu auf Situationen einstellen. Wenn man im Einsatz ist, macht man sich in erster Linie Gedanken, wo könnte die Person sein? Ist es sicher genug für die Mannschaft, ist also das Risiko vertretbar?
Kurz gesagt: Man versucht möglichst alle Informationen zusammenzuführen, um dann alles abzuwägen und die Suche zu starten.
Sie tragen als Obmann der Bergrettung Verantwortung für Ihr Team. Gleichzeitig zählt bei einem Rettungseinsatz oft jede Sekunde. Wie gehen Sie mit dieser Verantwortung um?
Die eigene Sicherheit und die des Rettungsteams hat natürlich immer höchste Priorität. Deswegen entscheide ich nie alleine, sondern wir sind immer ein ganzes Einsatzleiterteam.
Das heißt, dass die Entscheidungen immer von einem ganzen Team getroffen werden, nachdem sich jeder ein Bild über die Gesamtlage gemacht hat und wir uns gut beraten haben.
Sind Sie selbst bei Rettungseinsätzen mit dabei oder koordinieren Sie von der Ferne?
Wir sind so organisiert, dass die Einsatzleitung immer auch mit vor Ort ist – also direkt am Unglücksort. Um dort dann einfach auch die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Das würde von der Ferne nicht gehen.
Was gibt Ihnen Kraft, diesen Beruf als Bergretter zu machen?
Ich freue mich über jeden schönen Tag, über einen schönen Sonnenaufgang, über ein Tier, das ich beobachte. Ich liebe die Natur. Einen Beruf zu haben, wo ich viel in der Natur bin, gibt mir sehr viel Kraft. Und auch die Tatsache, dass ich einen sehr guten Freundeskreis habe, stärkt mich.
Und dazu kommt, dass es ja ganz viele Einsätze gibt, wo es positiv ausgeht, wo man Menschenleben retten kann. Das sind unglaublich schöne Eindrücke, wenn man einfach weiß, man konnte jemanden retten. In solchen Momenten ist dann auch eine unglaubliche Euphorie im gesamten Team – etwas unglaublich Schönes!
Ein Beispiel, das Sie besonders in Erinnerung haben?
Ja! 2017 zu Weihnachten, am 25. Dezember, haben wir einen 16-jährigen Burschen gerettet, der sich alleine auf Skitour begeben hatte. Er hatte sich verirrt und wir haben ihn mitten in der Nacht aus einem sehr schwierigen Gelände geholt.
Das war eine sehr aufwändige Bergung und in so einer Situation kommen dann definitiv beim einen oder anderen im Team die Freudentränen. Da schließe ich mich nicht aus.
Warum sind Sie Bergretter geworden? Haben Sie schon als Kind gesagt, das ist mein Berufswunsch?
Nein. Das hat sich halt so ergeben. Ich komme aus dem Bregenzer Wald und bin als Skilehrer und Bergführer nach Lech gekommen. Dabei habe ich natürlich die Arbeit der Bergrettung hautnah miterlebt und viele Bergretter kennengelernt.
Und irgendwann wurde ich dann gefragt, ob ich nicht selbst Mitglied werden wollte. Da habe ich sofort und instinktiv gesagt: „Ja selbstverständlich.“ Seitdem bin ich mit dabei.
Retten Sie Leben auch mit einem christlichen Anspruch?
Das ist eine interessante Frage, denn der Glaube spielt in meinem Leben eigentlich keine Rolle. Aber dieser christliche Gedanke, mich für andere einzusetzen, ist bei mir sicher trotzdem vorhanden. Ich bin überzeugt davon, dass man anderen einfach helfen soll und muss, wenn man die Möglichkeit dazu hat.
Haben Sie nie eine Situation erlebt, in der Sie gemerkt haben, dass Gott vielleicht doch mit am Werk ist?
Bei meinen Einsätzen merke ich schon manchmal, dass einige Menschen wirklich ein unfassbares Glück haben, wenn sie in den extremsten Situationen wie durch ein Wunder überleben.
Man könnte so etwas wahrscheinlich schon auf Gott zurückführen oder sagen, da war ein Schutzengel mit an Bord, oder eine Art schützende Hand. Also ja: Vielleicht gibt es das wirklich und wahrscheinlich steckt da nicht nur Zufall dahinter.
Aber ich persönlich stelle mir die Frage ehrlich gesagt nicht, sondern versuche einfach nur zu helfen, weil ich überzeugt davon bin, dass das selbstverständlich sein sollte.
Freuen Sie sich über Wertschätzung? Für viele Österreicher sind Sie ja Helden …
Niemand von uns will ein Held sein. Unsere Absicht und vor allem unsere Motivation kommen sicher nicht daher, dass wir irgendeine Dankbarkeit oder großartige Wertschätzung erfahren wollen.
Wir möchten einfach nur helfen und Leben retten, wenn wir die Möglichkeit dazu haben. Das ist unser Antrieb.
Kritische Stimmen fragen, warum jemand überhaupt die gesicherte Piste verlässt, wenn es so gefährlich ist, wie in den vergangenen Tagen. Ist das nicht grob fahrlässig?
Grundsätzlich ist es nicht die Aufgabe der Bergrettung, das Verhalten von Wintersportlern zu beurteilen oder gar zu verurteilen. Wir alle machen Fehler und wir können nur hoffen, dass sie niemals tragisch ausgehen.
Gerade in den letzten Tagen sind wir immer wieder mit dieser Frage konfrontiert und erst gestern habe ich zum Beispiel eine E-Mail von einer Frau beantwortet, die möchte, dass wir uns als Bergretter klarer positionieren und sagen, dass es Leichtsinn ist, der zu solchen tragischen Unfällen führt.
Darauf habe ich geantwortet, dass wir verpflichtet sind zu helfen, ohne Wenn und Aber. Und ich stelle mir schon auch die Frage, wie es wohl den Angehörigen in so einem Fall geht und was sie wohl durchmachen. Wenn sie neben dem großen Verlust eines geliebten Menschen auch noch den Vorwurf hören würden, dass dieser fahrlässig gehandelt habe und quasi selbst schuld sei. Sowas würde ich nie sagen.
Manfred Meusburger
- ist seit 20 Jahren Bergretter
- ist gleichzeitig aktiver Skilehrer und Skiführer
- ist seit 9 Jahren Obmann der Bergrettung in Lech (in Vorarlberg)
- Nicht verheiratet, hat zwei Söhne im Alter von 30 und 29 Jahren
Ist Bergretter weil…
„Ich draußen sein kann in der Natur. Und von Zeit zu Zeit kann ich mit einem ganz tollen Team anderen Menschen helfen.“
Hobbies, Interessen…
Reisen, vor allem Trekkingreisen. Lieblingsziele sind Patagonien in Südamerika, Bhutan und Nordindien
Leben ist…
jeden Ta zu nutzen und ihn als Geschenk zu sehen. Und jeden Tag das Beste draus zu machen.
Sonntag ist…
aufgrund meiner Arbeit in den Bergen ein Tag wie jeder andere. Während viele Menschen frei haben, läuft der Sonntag bei mir in der Regel ab wie ein Wochentag.
Glaube ist…
Ich bezeichne mich selbst nicht als gläubigen Menschen. Ich respektiere und freue mich aber persönlich ganz aufrichtig für jeden Einzelnen, der glaubt. Weil ich überzeugt davon bin, dass der Glaube im Leben viel Positives bewirken kann.
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