Dass ihre Trauer bereits beendet ist, oder jemals enden wird, kann Michaela Stocker nicht behaupten, aber: „Meine große Liebe Felix will bestimmt auch jetzt noch, dass es mir gut geht. Ich höre noch immer seine Stimme flüstern: Bleib fröhlich.“
Dass ihre Trauer bereits beendet ist, oder jemals enden wird, kann Michaela Stocker nicht behaupten, aber: „Meine große Liebe Felix will bestimmt auch jetzt noch, dass es mir gut geht. Ich höre noch immer seine Stimme flüstern: Bleib fröhlich.“
Für viele ist die Fastenzeit eine Periode des Verzichtens. Sie ist ein großes "Mehr" für meine Seele, ist Michaela Stocker aus der Pfarre Stadlau überzeugt.
Ihrer Lebensgeschichte in der Sendereihe "Passionswege" auf Radio Klassik Stephansdom.
Ich freue mich, wenn ich nächste Woche nach Hause komme“, das sind die letzten Worte, an die sich Michaela Stocker erinnern kann. Es sind die Worte ihrer Mutter Emilie. Michaela ist damals sechs Jahre alt und in der ersten Klasse Volksschule. Die Mutter verstirbt eine Woche später an Brustkrebs.
Geblieben sind ihre fünf Jahre ältere Schwester Verena und Papa Johannes.
Michaela ist am 5. März 1952 in Wiesbaden auf die Welt gekommen, die Landeshauptstadt von Hessen.
Vater Johannes ist streng und überfordert mit der Situation. Er selbst ist 1900 geboren, hat beide Weltkriege überlebt und war in russischer Gefangenschaft. Wöchentlich schleppt er die Töchter zum Friedhof mit. Dort erwartet sie ein Grab ohne Grabstein, zeitlich begrenzt auf 30 Jahre.
Der stetige Besuch und der damit verbundene Schmerz ist der Beginn eines Traumas für Michaela. Die katholische Familie gehört im evangelischen Deutschland zu einer Minderheit.
Vater Johannes ist statistischer Büroangestellter. Die Geschwister gehen bereits ins Realgymnasium. Bei schlechten Noten straft sie der Vater mit Liebesentzug. Schwester Verena wird sogar vom Vater geschlagen. Das Vergehen: ein gekaufter Augenbrauenstift.
Trotzdem weiß Michaela, dass ihr Vater ein guter Mensch und nur überfordert ist. An guten Tagen spielt er Klavier und singt mit den Töchtern. Michaela darf sogar manchmal in seinem Bett schlafen.
Ohne dass es die Kinder jemals bemerkt haben, hat Vater Johannes ein Alkoholproblem und stirbt plötzlich an Leberzirrhose. Michaela, 13, und Verena, 17, sind nun Vollwaisen.
Bei der Beerdigung des Vaters werden die Geschwister gezwungen, ins Leichenschauhaus mitzugehen. Michaela muss sich von ihrem Vater beim offenen Sarg verabschieden. Ein weiteres Trauma.
Die Schwestern werden zu einer Tante verfrachtet, die sich als Taufpatin verantwortlich fühlt. Schwester Verena heiratet bald und zieht aus. Michaela ist bereits 16 und beginnt eine Physiklehre.
Mit 18 fährt sie gemeinsam mit einer Freundin ins ehemalige Jugoslawien auf Urlaub. Dort lernt sie einen gewissen Josef aus Wien kennen und verliebt sich. Michaela übersiedelt nach Wien und heiratet mit 21 Jahren ihren Josef, „im Nachhinein bin ich meiner Tante sehr dankbar. Wir hatten es alle nicht leicht“.
Michaela bekommt zwei Töchter, Tina und Alice, „eine schöne Zeit, die beiden sind wie Zwillinge aufgewachsen“. Die Mutter arbeitet in Teilzeit als Bankangestellte und Josef in einer Druckerei.
Die Jahre vergehen in der Genossenschaftswohnung im 14. Bezirk. Eines Tages bekommt Michaela um 14.30 Uhr einen Anruf, sie müsse sofort in den Kindergarten kommen. Tochter Tina ist fünf Jahre alt und Alice sechs. Alice ist gestolpert, mit dem Kehlkopf auf die Tischkante gefallen und innerhalb von Minuten erstickt. Für Michaela ist das der schwärzeste Tag ihres Lebens.
Michaela hat bis dahin keine Beerdigung mehr besucht, aber zu dieser ist sie hingegangen. Nach zwei Jahren kommt Sohn Daniel auf die Welt. Die Eltern Josef und Michaela haben sich nach dem Tod der Tochter auseinandergelebt, „ich habe oft das Gefühl, dass ich vieles alleine ertragen musste.“ Nach 20 Jahren Ehe kommt Josef eines Tages nach Hause und will die Familie wegen einer anderen Frau verlassen. Michaela kämpft um ihre Ehe, doch vergebens.
Als die Familie in die Brüche geht, verstirbt Schwester Verena, ebenso wie Jahre davor die Mutter an Brustkrebs. „Ich hätte sie gebraucht, um über meinen Mann hinwegzukommen – und meinen Mann um den Tod meiner Schwester zu verkraften.“
Eine Woche, nachdem sie verlassen wurde, ist Michaela wieder regelmäßig in die Kirche gegangen. Geborgenheit hat sie in der Pfarre Penzing-St. Jakob gefunden.
1995 findet Michaela einen neuen Partner, Felix. Sie ziehen in ein Haus im 22. Wiener Gemeindebezirk. Felix ist ebenfalls katholisch und beide genießen gemeinsame Sonntage in der Pfarre Stadlau. Felix ist der Traummann für Michaela.
Sie muss erst lernen, dass es jemanden gibt, der sie so annimmt wie sie ist. „Auch wenn ich ihn gekränkt habe, hat er mir die Hand gereicht und gesagt: Wir gehören zusammen, du bist gut wie du bist.“ Michaela ist sich sicher, das ist die große Liebe. Seine stoische Ruhe gibt ihr Kraft und meist hat er mit folgenden Worten seine Sätze so beendet: „Bleib fröhlich.“
Im März 2014 greift sich Felix immer wieder an die Wange. Michaela lässt nicht locker und schaut ihm in den Rachen. Irgendetwas auf der Zunge gefällt ihr nicht. Felix geht zum Arzt, dieser schickt ihn sofort ins AKH. Diagnose Krebs.
Die Ärzte operieren und sagen: „Machen Sie sich keine Sorgen. Es ist nur ein kleines Krebserl.“ Doch ein Tumor hat sich bei den Lymphknoten versteckt. Es folgen Chemotherapie und Bestrahlung. Ohne Erfolg, Felix stirbt.
Oft entfernen sich die Menschen von Gott nach nur einem solchen Schicksalsschlag. Michaela Stocker nicht. Sie selbst gibt zu: „Aber jetzt brauche ich ihn zehnmal mehr als je zuvor. Ich kann nicht weiter fallen als in Gottes Hand und das gibt mir Geborgenheit.“
Michaela Stocker dankt vor allem der Pfarre Stadlau. Hier hat sie großen Rückhalt bekommen. Zudem hat Michaela Stocker professionelle Hilfe in der Kontaktstelle Trauer der Caritas aufgesucht.
Nach drei Jahren gehört sie zu den Trauer-Oldies und hilft manchmal auch anderen Menschen bei der Bewältigung ihres Verlustes. Dass ihre Trauer bereits beendet ist, oder jemals enden wird, kann Michaela Stocker nicht behaupten, aber: „Meine große Liebe Felix will bestimmt auch jetzt noch, dass es mir gut geht. Ich höre noch immer seine Stimme flüstern: Bleib fröhlich.“
Familie Stocker: Schwester Verena, Mutter Emilie, Vater Johannes, Michaela.
„Bleib fröhlich“. Die Sendung von Georg Gatnar hören Sie am Samstag, 16. März 2019, von 19 - 20 Uhr.
DaCapo am Mittwoch, 20. März 2019, von 19 - 20 Uhr.
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