Psychische Gewalt beginnt schon mit der kleinsten Unterdrückung, sagt Miriam. (Symbolbild)
Psychische Gewalt beginnt schon mit der kleinsten Unterdrückung, sagt Miriam. (Symbolbild)
Fünf Kinder hat Miriam, mit den drei jüngeren lebt sie seit eineinhalb Jahren in einem Mutter-Kind-Haus der Caritas. Hier fand die Familie ein neues Zuhause nach einer schweren Zeit.
Miriam* möchte ihren Kindern eine Mutter sein. Ihre eigene Mutter hat sie erst mit 17 Jahren kennengelernt, sie ist im Heim aufgewachsen, kurze Zeit lebte sie bei ihrem Vater. „Ich hab’ mein Leben lang versucht, aus diesem verflixten Radl auszubrechen“, sagt die 35-Jährige.
Sie war ein stilles Kind, in der Schule eine Außenseiterin. Nach einem Zusammenbruch verbringt sie längere Zeit im psychiatrischen Krankenhaus, macht Therapien und muss Medikamente nehmen. „Ich glaube, ich war zum Opfer programmiert, ich gehe auf Leute schon so zu, dass man das Gefühl hat, die kann ich fertig machen, die kann sich nicht wehren.“
Mit 20 Jahren bekommt sie ihr erstes Kind. Prekäre Lebensbedingungen treiben die jungen Eheleute auseinander. Mit dem nächsten Mann, einem Spieler, hat sie drei Kinder, auch diese Beziehung zerbricht. Miriam erleidet immer wieder psychische Einbrüche, während sie auf Therapie ist, werden die Kinder vom Jugendamt fremduntergebracht. „Ich hab’ leider sehr viel versäumt beim Großwerden der Kinder. Ich hoffe, es gelingt mir zumindest bei der Kleinsten, dass ich wirklich alles von der Geburt bis zum Erwachsenenalter erleben darf.“
Die Kleinste ist jetzt vier Jahre alt. Sie stammt aus Miriams letzter Beziehung. Der Mann, eine Internetbekanntschaft, wünscht sich bald ein Kind. Um ihm diesen Wunsch zu erfüllen, setzt Miriam nach und nach ihre Medikamente ab. Je weniger Tabletten sie nimmt, desto mehr erkennt sie, dass es zwischen ihr und ihm nicht gut gehen kann und der Mann alkoholkrank ist. Aber sie hofft, er werde sich für das gemeinsame Kind ändern.
„Am Anfang war er sehr bemüht“, erinnert sich Miriam. Doch dann entwickelt das Kind seinen eigenen Willen und will sich vom Papa nicht mehr füttern lassen. „Das war bei allen meinen Kindern so. Ihn hat es schwerst gekränkt, er hat sich zurückgestoßen gefühlt und seit da ging es steil bergab.“
Der Mann vernachlässigt die Kinder (im Haushalt leben die gemeinsame Tochter und die beiden jüngeren Kinder aus Miriams voriger Beziehung), wenn Miriam nicht zuhause ist, gibt er ihnen nichts zu essen, spät nachts kommt er betrunken und lärmend nachhause.
Nach einer Auseinandersetzung mit einem der Kinder, stellt er sie vor die Wahl: entweder er oder die Kinder. Miriam zögert keinen Augenblick, sie entscheidet sich für ihre Kinder. „Das hat er mir sehr übel genommen.“
„Mit der Trennung begann die richtige Hölle“, sagt Miriam. In der gemeinsamen Wohnung kann sie nicht bleiben. „Ich war mehr als einen Monat mit den Kindern auf der Flucht, immer von einer Person zur anderen, nie länger als drei Tage, sonst wäre es ein Meldevergehen.“ Schließlich ziehen sie und ihre Kinder in ein Mutter-Kind-Haus der Caritas.
Ihr Ex-Partner stalkt sie, bombardiert sie und die Kinder mit SMS, taucht vor dem Kindergarten und der Schule auf. „Ich hatte fürchterliche Angst. Die Kinder haben sich nicht mehr rausgetraut. Bevor sie aus dem Haus gegangen sind, bin ich eine Runde um den Häuserblock gegangen, um zu schauen, ob er oder jemand von seinen Leuten irgendwo steht. Eine Zeitlang hat uns eine gute Bekannte mit dem Auto abgeholt und überall hingebracht. Ich hab’ ihm zugetraut, dass er die Kleine entführt, sie mir aus der Hand reißt und mit ihr abhaut. Das war die größte Angst.“
Es klingt paradox, aber für Miriam wäre es einfacher gewesen, hätte ihr Partner sie geschlagen. Denn körperliche Gewalt lässt sich wesentlich leichter nachweisen als psychische. Betroffenen rät Miriam, sich schon gegen erste Formen dieser Gewalt zu wehren: „Ich finde, psychische Gewalt fängt schon da an, wo der Mann sagt: Du hast um 18 Uhr zu Hause zu sein und mir das Essen auf den Tisch zu stellen. Wo die kleinste Unterdrückung beginnt, da beginnt auch schon die psychische Gewalt.“
Nach einer Gerichtsverhandlung hält der ehemalige Lebensgefährte sich fern, bringt aber eine Klage nach der anderen ein. Trotzdem, nach eineinhalb Jahren im Mutter-Kind-Haus ist eine gewisse Ruhe in die Familie eingekehrt. „Ich schlafe ruhiger“, schmunzelt Miriam. Sicher fühlt sie sich aber nach wie vor nicht. „Ich befürchte, dafür braucht es einen Ortswechsel.“
Seit fünf Jahren lebt Miriam ohne Medikamente. Es gab Zeiten, da nahm sie 25 Tabletten am Tag. An diese Zeiten kann sie sich kaum erinnern. „Mir fehlen ganze Lebensabschnitte.“ Sie hat sich zurück ins Leben gekämpft und sie hat darum gekämpft, ihre Familie zusammenzuhalten. „Ich wollte nicht, dass meine Kinder das erleben müssen, was ich erlebt habe. Auch wenn die Größeren 4 oder 5 Jahre nicht bei mir sein konnten, sollen sie doch wissen, wer ich bin und, dass sie sich auf mich verlassen können.“
Glücklich ist Miriam vor allem dann, wenn ihre Kinder bei ihr sind. „Wenn ich aufstehe und sehe, den Kindern geht es gut, der Herrgott hat sich keines geholt, keiner ist krank, wir haben alle zu essen, jeder bekommt seine Jause, dann ist das Glück.“
Für sich selbst hat Miriam keine Wünsche, aber für ihre Kinder: „Ich wünsche ihnen, dass sie aus dieser Armutsfalle ausbrechen können. Ich versuche alles, dass sie die bestmögliche Ausbildung bekommen, damit sie einmal dementsprechend verdienen können. Ich werde mal mit meiner Mindestpension sterben, aber die Kinder sollen da ausbrechen. Ich versuche, meinen Kindern das zu geben, was mir gefehlt hat. Ob das dann Liebe ist, das kann ich nicht beantworten. Wirkliche Liebe habe ich, glaube ich, nie erleben dürfen.“
*Miriam heißt in Wirklichkeit anders. Sie hat sich diesen Namen für das Interview ausgesucht, wir schützen so ihre Identität.
Radiotipp:
Was Liebe heißt, weiß ich nicht.
Die Sendung von Monika Fischer hören Sie
am Samstag, 30. März, von 19 bis 20 Uhr.
DaCapo am Mittwoch, 3. April, von 19 bis 20 Uhr.
Wohnhäuser für Mütter und Kinder der Caritas Wien
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