Vorlesefreitag in der facultas Dombuchhandlung: Jeden ersten Freitag im Monat liest Marianne Hofmann kleinen Zuhörern aus neuen Kinderbüchern vor.
Vorlesefreitag in der facultas Dombuchhandlung: Jeden ersten Freitag im Monat liest Marianne Hofmann kleinen Zuhörern aus neuen Kinderbüchern vor.
Haben Bücher gegenüber Tablets, Smartphones und Computern bei Kindern noch eine Chance? Anlässlich des „Welttag des Buches“ fragen wir Experten, wie man heute Kindern den Weg zum Buch weisen kann und erfahren, warum Vorlesen in jungen Jahren so wichtig ist.
Das Buch hat Konkurrenz. Eine Fahrt in einer Wiener U-Bahn oder Straßenbahn zeigt: Die Mehrheit der Fahrgäste, darunter auch Kinder, schauen auf ein Smartphone oder Tablet. Schon Babys im Kinderwagen wischen eifrig auf Mamas Handy hin- und her.
Haben eigentlich Bücher – vom Buggy-Buch bis zum Erwachsenen-Schmöker – angesichts von Smartphone und Tablet – noch eine Chance? Wir sind der Frage nachgegangen und haben zum „Welttag des Buches“ mit Experten – von der Kinderbuchautorin bis zum Buchhändler – über Bücher und das Lesen gesprochen.
„Heutzutage findet kein Kind allein zum Buch – das Buch hat weit mächtigere und niederschwelligere Konkurrenz bekommen“, sagt etwa die Tiroler Kinderbuchautorin Brigitte Weninger im Gespräch mit dem SONNTAG.
Die ständige Präsenz eines Bildschirms vor Augen versperre Kindern den Weg zum Buch, den sie in früheren Zeiten von selbst gegangen sind, davon ist Weninger überzeugt.
Die Tirolerin engagiert sich seit vielen Jahren in der Förderung der Lese- und Schreibkompetenz („Literacy“) von Kindern.
Auf die Frage, wie man denn Kinder für das Lesen heute noch begeistern kann, meint sie: „Indem man viele Begegnungen mit Büchern ermöglicht. Ganz eminent wichtig ist Vorlesen, vorlesen und vorlesen.“
Mit dem Vorlesen sollten Eltern auch nicht aufhören, wenn ein Kind in die Schule kommt. „Auch durch das Vorlesen von schwierigeren Büchern, bei denen der Erwachsene als Vermittler dient, erfährt ein Kind wie viel Zauber, wie viel Macht, Spannung und Unterhaltung in Büchern steckt“, erklärt Brigitte Weninger.
Studien aus der Leseforschung zeigen, dass Eltern, die ihren Kindern täglich vorlesen, nachhaltig in die Bildungschancen ihrer Kinder investieren. Vorlesen ist die Grundlage für eine gute Lesekompetenz und fördert kognitive Fähigkeiten: der Wortschatz wird vergrößert, die Konzentrationsfähigkeit gesteigert und die Kreativität angeregt.
Zudem lernen Kinder beim Zuhören, sich in andere hineinzuversetzen und entwickeln Empathie, d. h. auch soziale und emotionale Kompetenzen werden gefördert. Zudem wird die Eltern-Kind-Beziehung gestärkt.
Studien der deutschen Stiftung Lesen zeigen auf, dass das Vorlesen ein zentraler Baustein für eine gute ganzheitliche Entwicklung des Kindes ist: Kinder, denen vorgelesen wurde, sind besonders gerne mit anderen zusammen und knüpfen leichter Freundschaften, heißt es.
Ein Freitag-Nachmittag in der Dombuchhandlung auf dem Wiener Stephansplatz: In der Kinderbuch-Abteilung haben es sich Drei- bis Sechsjährige auf Pölstern am Boden gemütlich gemacht. Mit dabei das eine oder andere Kuscheltier. Eltern oder Großeltern sind natürlich auch da und kleinere Geschwisterchen ebenfalls herzlich willkommen. Auf einem Stuhl sitzt Marianne Hofmann und plaudert routiniert mit den Kindern, bevor sie ihnen aus einem neuen Kinderbuch vorliest.
Der „Vorlesefreitag“ der facultas Dombuchhandlung findet einmal im Monat statt und möchte besonders bei Kindergarten- und Volksschulkindern die Freude an Büchern wecken. Herbert Stoiber, Mitarbeiter der Dombuchhandlung, sagt: „Wir wählen neue Bücher aus, die spannende und anregende Geschichten bieten und auch eine gewisse soziale Kompetenz oder Empathie hervorrufen“.
Buchhändler Stoiber sucht die Bücher aus, die Hauptrolle übernimmt „Lese-Omi“ Marianne Hofmann: Seit ihrer Pensionierung als Mitarbeiterin in einer Anwaltskanzlei engagiert sich die Wienerin als Lesepatin an zwei Wiener Volksschulen und liest dort regelmäßig kleinen Gruppen vor.
„Das Vorlesen ist meine große Leidenschaft. Mit Kindern macht es unheimlich viel Freude, weil sie das Vorgelesene aufsaugen wie ein Schwamm“, meint Marianne Hofmann, die eine wunderbare Wiener Omi-Stimme hat.
Besonders Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache profitieren vom Vorgelesen-Bekommen stark und erweitern auf diese Weise ihren Wortschatz. „Viele kennen einfache Begriffe wie ,Moos’ nicht“, schildert Marianne Hofmann, die die unbekannten Wörter im Dialog mit den Kindern erklärt.
Buchhändler Herbert Stoiber betont: „Man kann nicht früh genug beginnen, Kinder an Bücher heranzuführen. Sobald Babys tasten und greifen können, gibt es für sie Stoff- und Badewannenbücher. Sie sind bunt und regen zum Greifen und Fühlen an. Diese können die Kinder sogar in den Mund stecken – die halten was aus“.
Das Vorlesen sei deshalb so wichtig, „weil man damit ein Kopfkino in Gang setzt, das man in Zeiten der Smartphones und Tablets nur mehr optisch vor sich hat. Beim Vorlesen beginnt dieses Bilder-Kino im Kopf der Zuhörer“, sagt Stoiber.
Gerhard Bauer, Leiter der Dombuchhandlung, ergänzt: „Mit dem Vorlesefreitag wollen wir Kindern die Gelegenheit geben, vorbeizukommen, Bücher zu erleben und vorgelesen zu bekommen. Wir wollen Kinder mit dem gedruckten Wort vertraut machen und ihnen Lust darauf machen, selber Bücher anzuschauen, selber lesen zu können.
Im November gibt es einen großen Vorlesetag, der in Wien schon sehr gut angenommen wird, und in ganz Österreich stattfinden soll“. Gerhard Bauers Empfehlung, um Kindern das Lesen schmackhaft zu machen: „Bücher, Bücher, Bücher.
Ich wünsche mir, dass die Eltern viel selber lesen, damit die Kinder schon früh merken, wie herausfordernd, wie schön, wie bereichernd lesen sein kann.“
Kinderbuchautorin Brigitte Weninger betont, dass Kinder eine Antwort darauf brauchen, warum denn Lesen so wichtig ist: „Ein Kind kann allein nicht begreifen, warum es die Mühe des Lernens auf sich nehmen muss. Wozu ist Lesen, Schreiben, sinnerfassend Lesen gut? Sie brauchen ein Warum“.
Sie sagt: „Es ist so wichtig, dass Kinder erkennen, wenn sie gut lesen, schreiben und sich ausdrücken können, dass ihnen dann die Welt offensteht, dass sie einen tollen Beruf haben werden und dass sie selbständig, unabhängig und selbstwirksam tätig sein können.“
Ein gut bezahlter Beruf sei nur erreichbar, wenn man gut lesen, schreiben, sich ausdrücken kann und für sich und für andere einstehen kann. Brigitte Weninger: „Für uns Erwachsene ist dieses Warum so selbstverständlich, dass wir vergessen, es Kindern zu sagen.“
Nicht zuletzt zum „Abenteuer des Lesens“, das die meisten von uns noch selbst entdeckt haben, sollten wir Kinder heute bewusst hinführen. Als Inspiration dazu kann ein Zitat von Astrid Lindgren dienen, die einmal sagte: „Ja, das grenzenloseste aller Abenteuer der Kindheit, das war das Leseabenteuer. Für mich begann es, als ich zum ersten Mal ein eigenes Buch bekam und mich da hineinschnupperte. In diesem Augenblick erwachte mein Lesehunger, und ein besseres Geschenk hat das Leben mir nicht beschert.“
M. Hofmann liest Kindern vor
Marianne Hofmann liest beim Vorlesefreitag = jeden ersten Freitag im Monat
nächste Termine: 10. Mai und 7. Juni 2019, 16 Uhr
Kindern von ca. 3 bis 6 in der facultas Dombuchhandlung aus neuen Kinderbüchern vor.
Herzliche Einladung!
Stephansplatz 5,
1010 Wien;
Eintritt frei.
www.facultas.at/Vorlesefreitag
weitere Informationen zu
E-Mail-Adresse: redaktion@dersonntag.at