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17.10.2019 · Glaube · Lebenszeugnis

„Ich vergebe meinen Entführern und bete für sie“

Tom Uzhunnalil: „Der Herr hat mich gerettet, weil er wollte, dass ich mein Zeugnis ablege.“

Der aus Indien stammende Salesianerpater Tom Uzhunnalil war 557 Tage in der Gewalt von radikalen Islamisten im Jemen. Den Grund, dass er die Gefangenschaft unbeschadet überstanden hat, sieht er in der Kraft des Gebetes: Nicht die eigenen Gebete sind für ihn ausschlaggebend, sondern jene, die weltweit für ihn gesprochen wurden.

 

 

Eineinhalb Jahre – insgesamt 557 Tage – war der indische Salesianerpater Tom Uzhunnalil in Geiselhaft des Islamischen Staates (IS) – an verschiedenen Orten, ohne jeglichen Kontakt zur Außenwelt gefangengehalten.

 

Zum Zeitpunkt seiner Entführung am 4. März 2016 war er bei den Mutter Teresa-Schwestern in Aden im Jemen in einem Altenpflegeheim tätig.


Auf Einladung der Päpstlichen Missionswerke (Missio) war Pater Tom Uzhunnalil nun Gast in Österreich. Uns schildert er, wie die Gefangenschaft verlief und was ihm half, stark zu bleiben und zu überleben.


Wie haben Sie den Tag Ihrer Entführung erlebt?

 

Am Morgen feierten wir in der Kapelle eucharistische Anbetung und ich spendete den fünf Ordensschwestern den eucharistischen Segen. Danach betete ich noch alleine in der Kapelle, die Schwestern waren schon gegangen, um den alten Menschen das Frühstück und die Medikamente vorzubereiten.

 

Um ungefähr 8 Uhr verließ ich die Kapelle, als ich zwei Schüsse vom Haupteingang her hörte. Es wurden, wie ich nachher bemerkte, die zwei Sicherheitsmänner erschossen. Ich sah dann drei Schützen mit automatischen Waffen, einer griff nach meinem Arm. Unerwartet und spontan fielen mir zwei arabische Worte ein: „Ich bin ein Inder.“

 

Sie erschossen danach den Gärtner und einen jungen Hausarbeiter und ich sah einen der Schützen ins hundert Meter entfernte Altenheim gehen. Er brachte nacheinander jeweils zwei Schwestern heraus, vier insgesamt. Dann schoss er ihnen von hinten in den Kopf und sie fielen mit ihrem Gesicht auf den Boden.

 

Aber was geschah mit der fünften Schwester, ich hörte keinen weiteren Schuss. Erst später erfuhr ich, dass sie sich retten konnte.


Was ging in Ihrem Kopf vor?

Das Einzige, was ich in diesem Moment tun konnte, war zu beten: „Herr Jesus, zeige deine Barmherzigkeit gegenüber den Schwestern und jenen, die sie töten.“ Und mein nächster Gedanke war: „Jetzt bin ich dran.“

 

Die bewaffneten Männer fragten mich, ob ich Muslim sein. Ich sagte, ich sei Christ. Ich war zu diesem Zeitpunkt nicht als Priester erkennbar. Einer von ihnen befahl mir, mich in den Laderaum des Autos zu legen. Ein bisschen später öffneten sie die Wagentür erneut und warfen einen metallischen Gegenstand hinein, der in weißem Altartuch gewickelt war. Es war der Tabernakel aus der Altenheim-Kapelle.

 

Sie fuhren mit mir davon, nach einiger Zeit stoppten sie, verbanden mir die Augen und setzten mich in ein anderes Auto.


Was ist dann passiert? Wurden Sie gefoltert? Wie ging es Ihnen psychisch?

 

Die Entführer haben mich ausgezogen und mir meine eigene Kleidung weggenommen. Auch den Rosenkranz durfte ich nicht behalten. Sie gaben mir ein neues Gewand. Ich wurde zunächst verhört, wo herauskam, dass ich Priester bin. Im Laufe der Zeit haben sie Videos mit mir gemacht, fünf oder sechs Mal, in denen ich Papst Franziskus und die indische Regierung um Hilfe bitten musste, in Worten, die sie mir vorgaben.


Sie haben mich nicht physisch gefoltert. Alle meine Zähne und meine Knochen sind in einer guten Verfassung. Dank des Gebetes des Heiligen Vaters, von Katholiken, von Christen, sogar von Hindus und Muslime musste ich nicht Alpträume, einen mentalen Zusammenbruch oder Depressionen erleiden. Obwohl ich all diese schrecklichen Dinge mitansehen musste, konnte ich jede Nacht bis zum Aufstehen gut ausruhen.


Wie können wir uns Ihren Alltag in der Gefangenschaft vorstellen?

 

Jeden Tag betete ich den Engel des Herrn; drei oder vier Rosenkränze; das Vaterunser, Ave Maria und Ehre sei dem Vater für die verstorbenen Schwestern; den Barmherzigkeitsrosenkranz. Ich bat Jesus, mir Brot und Wein zu geben, um auf geistige Weise Heilige Messe feiern zu können. Ohne Messbuch vor mir habe ich alle Worte aus dem Gedächtnis rezitiert. In dieser geistigen Heiligen Kommunion habe ich für alle gebetet.


Auch für Ihre Entführer?

 

Ich konnte auch für meine Entführer beten. Vergebung ist die beste Medizin, die wir haben, und das Gebet, das uns Jesus gegeben hat, ist die mächtigste Waffe gegenüber den Feinden. Bezwinge deinen Feind mit Liebe und Güte, nicht mit Bomben und Kugeln. Dadurch ist es uns möglich, Feinde wieder zu Freunden zu machen.


Einige Menschen waren so gütig zu mir, dass sie mir manchmal sogar Schokolade und Früchte zu essen gaben. Und sie gaben mir regelmäßig heißes Wasser zu trinken, dass ich mich in dem kalten Raum aufwärmen konnte. Das mag alles nur eine kleine Freundlichkeit sein, aber wenn es da nicht ein wenig Güte in ihnen gibt, hätten sie diese Dinge nicht gemacht.


Können Sie den Raum beschreiben, wo Sie untergebracht wurden, gab es ein Fenster?


Ich konnte nichts sehen. Mir waren die ganze Zeit die Augen verbunden. Zunächst waren auch Hände und Füße gefesselt, später nicht mehr. Ich wurde insgesamt fünf- oder sechsmal verlegt. Am letzten Standort blieb ich mehr als ein Jahr. Es war kein Gefängnis, kein Verlies, kein dunkler Raum.

 

Es war für mein Dafürhalten das Familienhaus einer der Männer, die mich im Geheimen gefangen hielten. Ich war der einzige Gefangene.  Ich hörte aus geringer Distanz Stimmen von Frauen und kleinen Kindern.


Was heißt es, ein Jünger Jesu zu sein, mit all seinen Konsequenzen?


Jesus sagt: „Wer immer mir nachfolgen möchte, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ Aber der Herr hat auch gesagt: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen.“

 

Wenn wir Ja zum Auftrag des Herrn sagen, dann gibt er es, dass jeder die Stärke erhält. Die Schwierigkeiten werden nicht verschwinden, aber wir werden imstande sein, durch diese schwierigen Momente hindurch zu gehen.


Was meinen Sie, warum hat man Sie nicht getötet?

 

Es ist für mich nicht einfach. Vier Ordensschwestern und alle zwölf muslimischen Angestellte des Altenheims wurden ermordet. Der Herr hat mich gerettet, weil er wollte, dass ich mein Zeugnis ablege, für den Glauben und für die Kraft des Gebetes. Das ist die Gnade Gottes und meine Mission.

 

Jeder von uns hat eine Mission. Diese kann sehr unterschiedlich sein. Aber immer ist es eine Mission der Menschlichkeit gegenüber unseren Brüdern und Schwestern.


Einen Tag nach Ihrer Befreiung am 12. September 2017 hatten Sie eine Begegnung mit Papst Franziskus. Was hat er zu Ihnen gesagt?


Es ist schwierig, die exakten Worte in Erinnerung zu rufen. Es war ein höchst emotionales Treffen. Ich weinte. Ich habe das nicht erwartet. Ich sagte dem Papst, dass ich in der Gefangenschaft für ihn gebetet habe und dankte ihm für sein Gebet für mich. Ich bat Franziskus, er möge bei der Generalaudienz am Mittwoch allen in meinen Namen danken, die für mich 18 Monate lang gebetet hatten.  

erstellt von: Der SONNTAG / Markus Langer
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Weitere Informationen:

Tom Uzhunnalil


Geboren
1960 in Ramapuram, Bundesstaat Kerala, Indien


Berufung:
1986 legte er seine ewige Profess bei den Salesianern Don Boscos ab. Am 21. Mai 1990 wurde er in Ramapuram zum Priester geweiht.


Mission:
Ab 2010 wirkte Father Tom im Jemen als einziger katholischer Priester und als Vertreter von Bischof Paul Hinder, des Apostolischen Vikars für das Südliche Arabien.

 

Er stand den Missionarinnen der Nächstenliebe (Mutter Teresa-Schwestern) als Hauskaplan zur Verfügung. Nach seiner Freilassung aus der Geiselhaft ist er im indischen Bangalore tätig. Eines ist dem Salesianerpater klar: „Wenn ich gefragt werde, ob ich wieder in den Jemen gehe, bin ich bereit.“

 


Tom Uzhunnalil


Leben ist…
ein Geschenk unseres Herrn. Das bedeutet, es zu lieben, den Herrn zu sehen. Er erwartet von mir, dass ich meine Brüder und Schwestern so liebe wie der Herr selbst mich liebt.

 

Sonntag ist…
der Tag des Herrn. An diesem Tag erinnern wir uns und loben Gott für die Auferstehung Jesu. Sonntag bedeutet, dass Gott uns die Hoffnung für die Zukunft, die Auferstehung, versichert hat. Sein Versprechen, dass wir in den Himmel kommen werden, wird sich erfüllen und er wird uns bei sich aufnehmen.

 

Glaube ist…
die Überzeugung, dass unser Herr Jesus Christus Gott ist und wir in seiner ständigen Liebe stehen. Er möchte, dass wir uns nach ihm ausstrecken.


 

weitere Lebens- und Glaubenszeugnisse:


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Der SONNTAG
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ERZDIÖZESE WIEN
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