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13.02.2020 · Glaube · Fastenzeit & Ostern

Durchkreuzt: Einfach da sein dürfen vor Gott - ein Interview

„Gerade da, wo das Leben durchkreuzt wird, nach Gottes Gegenwart suchen – dann ist der Glaube spannend.“ (Pater Martin Werlen)

Schicksalsschläge werfen oft aus der Bahn. Benediktinerpater Martin Werlen weiß aus eigener Erfahrung, was es bedeutet, wenn einen das Leben vor unerwartete Wendungen stellt.

In der kommenden Fastenserie „Durchkreuzt“ macht Pater Martin Mut, in solchen Situationen nicht zu verzweifeln und er fordert dazu auf, den Glauben neu zu entdecken.

 

 

Mit Beginn der Fastenzeit starten die Kirchenzeitungen wieder eine 7-teilige Fastenserie. Unter dem Titel „Durchkreuzt“ wird heuer P. Martin Werlen, der ehemalige Abt der schweizer Klöster Einsiedeln und Fahr, darin über den gläubigen Umgang mit Schicksalsschlägen und zerbrochenen Lebensplänen schreiben. Wir haben ihn vorweg zum Interview gebeten.


Welche Bedeutung hat es, wenn das Leben durchkreuzt wird?
Pater Martin Werlen: Jedes Menschenleben ist durchkreuzt. Bei keinem von uns läuft das Leben so ab, wie wir uns das vorgestellt haben. Es gibt so viele Beispiele dafür – wenn man etwas Schweres erleidet, wenn man ungerecht behandelt wird, wenn man nicht mehr weiter weiß. Aber wenn ich gerade in durchkreuzten Lebenswegen entdecke, dass Glaube Leben ist und keine Theorie, kein System, keine Dogmatik, dann geht Vieles auf im Wort Gottes, das uns auffängt.

 

Die Benediktinerin Silja Walter hat das so formuliert: Das Wort ist Brot geworden. Ich glaube, in dem Moment, wo wir das erfahren, passiert etwas in uns – selbst in den schwierigsten Momenten.


Gab es auch in Ihrem Leben durchkreuzte Wege und plötzliche Wendungen?

Ein Sportunfall im Jänner 2012 war tatsächlich ein massiver Eingriff in mein Leben, weil mich das genau in dem Bereich getroffen hat, der mir sehr wichtig ist – der Sprache. Beim Badminton-Spielen bin ich gestolpert und mit voller Wucht mit dem Kopf an eine Mauer geschlagen. Das hatte einen Schädelbruch und eine Hirnblutung zur Folge. Ich konnte nicht mehr sprechen und war mehrere Wochen in Spezialkliniken. Man weiß auf einmal, was dieses Durchkreuztsein heißt. Es kommt immer unerwartet. Das macht es auch so schwer, damit umzugehen.


Wie war das für Sie, aus den gewohnten Bahnen gerissen zu werden?  
Ich war verzweifelt. Was die Gebete betrifft, so wusste ich, dass es das Vaterunser und das Jesusgebet gibt und dass sie mir wichtig sind, aber ich hatte keine Chance, die dazugehörigen Worte wiederzufinden. Sie waren nicht mehr da. Gedichte, die ich auswendig konnte, waren weg. Für mich ist es damals ganz wichtig gewesen, diese Not im stillen Gebet vor Gott zu tragen. In dem Moment stellte ich mich und schrie innerlich die Verzweiflung hinaus zu dem, dem ich letztlich vertrauen kann.


Wann ging es wieder bergauf?
Ich erinnerte mich in dieser Zeit daran, dass ich in meinen Vorträgen und Publikationen immer wieder gesagt habe, wie bedeutsam es ist, dass wir in Gottes Gegenwart leben.

 

Dann habe ich plötzlich in einer tieferen Weise gemerkt, dass ich das nun in meiner schwierigen Lage tatsächlich leben soll. Mir ist bewusst geworden, dass ich nichts sagen muss – ich darf einfach da sein in der Situation, in der ich jetzt bin. Das war so entlastend, weil ich mir keine Vorwürfe mehr machte und nicht mehr am Verzweifeln war. Das habe ich als ein Geschenk und eine Vertiefung meines Glaubens erlebt.


Das heißt, Sie haben Ihre gegenwärtige schwierige Situation angenommen ...  
Genau. Es blieb mir ja nichts anderes übrig. Wenn ich mich nur auflehne, dann verzweifle ich, denn ich habe keine Chance, etwas aktiv dagegen zu tun. Aber das Annehmen entlastet und macht es auch wieder möglich, dass neue Kreativität ins Spiel kommt und etwas anderes passiert.

 

Wenn ich verkrampft bin, dann fixiere ich mich so sehr auf das, was jetzt nicht mehr geht und nehme gar nicht wahr, was mir in dieser Situation geschenkt werden könnte.


In diesen Augenblicken ist das oft unbegreiflich, man möchte es unbedingt anders haben und merkt nicht, dass im Annehmen Chancen liegen ...     
Das zeigt auch ein Beispiel eines musikalisch begabten Österreichers, der ein großer Geiger hätte werden können und dessen Karriere nach einem Unfall plötzlich vorbei war. Die meisten würden verzweifeln in dieser Situation oder mittelmäßig bleiben; aber er ist besser geworden – auf einem anderen Gebiet. Franz Welser-Möst wurde Dirigent. Wenn wir uns den Durchkreuzungen stellen, dann kann etwas Großartiges daraus entstehen, das wir uns nie vorgestellt hätten. Der Glaube hilft dabei. 

 
Würden Sie sagen, dass es möglich ist, durch den Glauben aus der Finsternis ans Licht zu kommen?
Ja, aber das ist nicht programmierbar. Diese Erfahrung kann ich letztlich nur geschenkt annehmen. Das denke ich, ist auch ein wichtiges Grundgesetz unseres Glaubens. Loslassen und mich Gott anvertrauen. Solange ich das, was schiefgeht, umklammere, bin ich nicht frei, beschenkt zu werden.    


Wann konnten Sie wieder sprechen?
Einen Monat später kam plötzlich das Jesusgebet wieder – „Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner“. Und ich habe gemerkt, jetzt passiert etwas, ein Prozess. Ich hatte ja nicht mehr damit gerechnet, dass ich wieder fähig sein werde, einen Vortrag zu halten oder etwas zu schreiben. 

 
Wie kam es dazu, dass Sie Mönch geworden sind?
Zufällig habe ich die Benediktsregel in die Hand bekommen, als ich 18 Jahre alt war. Als Organist in einem kleinen Dorf mit 200 Leuten im Kanton Wallis war ich in Vorbereitung der Karwoche und bin zum Pfarrer gegangen. Bei ihm lag gerade die Post auf dem Schreibtisch – darunter ein Buch „Die Benediktsregel, übersetzt und kommentiert von Georg Holzherr, Abt von Einsiedeln“. Von der Schule her wusste ich, dass es dieses Leitbild gibt, aber ich konnte mir nichts darunter vorstellen.

 

Aus Interesse und weil ich neugierig bin, fragte ich den Pfarrer, ob ich das Buch mitnehmen darf. Und so habe ich die Regel des hl. Benedikt von Nursia gelesen, eine Lebensordnung für Mönche. Für mich war klar, das ist mein Weg. Mönch werden war für mich das Entscheidende. Mit Begeisterung verkündete ich dann dem Pfarrer: Ich werde Benediktiner.  


Was hat er darauf gesagt?  
Er hat mir das ausgeredet und gemeint, was da geschrieben steht ist eines und wie sie das leben ist etwas anderes. Er schlug mir vor, zuerst einmal die Mittelschule fertig zu machen, danach könne ich Theologie studieren und wenn ich diesen Weg später wirklich machen wolle, könne ich es dann immer noch tun.

 

Von diesem Tag an las ich regelmäßig in der Benediktsregel. Da ich keine Kontakte zu Klöstern hatte und auch keinen Mönch kannte, habe ich einen Brief an den Abt von Einsiedeln geschrieben. Danach kam es im Mai 1983 zu einem Aufenthalt im Kloster. Ein paar Monate später, am 1. September, bin ich schließlich ins Kloster Einsiedeln eingetreten. 

     
Was ist für Sie das Faszinierende am hl. Benedikt?  
Sehr berührend und treffend finde ich seine Aussage „Wer im Glauben voranschreitet, dem weitet sich das Herz.“ Das ist für mich ein ganz entscheidendes Kriterium, ob der Glaube echt ist oder nicht. Gerade bei meiner Arbeit als Novizenmeister ist das sehr hilfreich.

 

Echter Glaube führt zur Weite des Herzens. Falsche Glaubenswege führen in die Enge. Und mit Enge verbunden ist Angst. Doch auch wenn sich das Herz weitet, heißt das nicht, dass alles leicht geht – in welchen Bereichen auch immer, ob in einem Orden, in der Familie oder im Beruf. Es gibt viele schwierige Situationen, auch Leute, die einem Mühe machen können.

 

Ein geweitetes Herz hilft, dass ich nicht daran zerbreche, sondern immer wieder die Weite in meinem Tun, in meinem Weitergehen geschenkt bekomme. Diese Weite ist für mich auch in den Bergen spürbar.


Sie sind ja in den Bergen aufgewachsen ...  
Ja, in Obergesteln, einem Dorf im Kanton Wallis, auf 1360 Metern in den Alpen gelegen. Ganz in der Nähe ist der Rhônegletscher, wo der Fluss entspringt. In den Bergen zu sein hat mich sehr geprägt. Viel von der Weite des Herzens habe ich auch dort geschenkt bekommen.

 

Die Berge sind für mich ein ganz wichtiges Bild für meinen Glauben. Manche Leute, die ins Gebirge kommen, haben den Eindruck, hier sei es eng. Für mich ist es so, dass die Berge mich hinaufschauen lassen in die Weite. Und wenn man dann von oben ins Tal blickt, schenkt einem das eine Aussicht, die man im Flachland nie erlebt. Am Morgen werde ich übrigens immer geweckt mit dem Lied aus „Elias“ von Felix Mendelssohn Bartholdy – „Hebe deine Augen auf zu den Bergen, von welchen dir Hilfe kommt.“


Haben Sie vor, dieses Jahr in die Berge zu fahren?  
Heuer im Sommer komme ich nach Österreich. Seit vielen Jahrhunderten hat ja unser Kloster Einsiedeln eine Propstei in Vorarlberg – St. Gerold. Ab 16. August werde ich dort neuer Leiter sein. Auf diese Aufgabe freue ich mich sehr. Mir ist es ein großes Anliegen, dass dieser Ort vermehrt eine Reformzelle in der Kirche wird, wo wir den Glauben neu entdecken dürfen in der Situation der Zeit, in der wir heute sind.

 

Wir müssen den Glauben nicht erfinden, aber neu entdecken. In St. Gerold wollen wir die Menschen dazu einladen, die Freude des Evangeliums zu erleben. Was herauskommt, weiß ich nicht. Aber wenn ich das von vornherein schon weiß, dann bewege ich mich in einem System, das ich kontrolliere und nicht im stets überraschenden Glaubensleben.


Sich überraschen lassen, was das Leben bringt, auch wenn es schwer ist ...  
Genau. Gerade da, wo das Leben durchkreuzt wird, nach Gottes Gegenwart suchen – dann ist der Glaube spannend. 

erstellt von: Der SONNTAG / Susanne Huber
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Weitere Informationen:

zur Person:

Pater Martin Werlen lebt seit 1983 als Mönch im schweizerischen Benediktinerkloster Einsiedeln. Der Walliser studierte Philosophie, Theologie und Psychologie in der Schweiz, in den USA und in Italien.

Von 2001 bis 2013 war er Mitglied der Schweizer Bischofskonferenz.

 

Ab 16. August 2020 wird er die Propstei St. Gerold in Vorarlberg leiten, die zum Kloster Einsiedeln gehört.

 

Pater Martin Werlen hat mehrere Bücher geschrieben, die zu Bestsellern geworden sind. Er ist ein gern gehörter und geschätzter Referent in kirchlichen und weltlichen Kreisen und unter @MoenchMartin ein aktiver Nutzer von Twitter.


weitere Informationen zu

 

Der SONNTAG
die Zeitung der Erzdiözese Wien
Stephansplatz 4/VI/DG
1010 Wien
T +43 (1) 512 60 63
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Ein Heiliger, der die Hand reicht – auch anderen Konfessionen und Religionen, wird er doch in der Ostkirche ebenso verehrt wie im Westen.

Papst mahnt: Synodaler Weg braucht mehr innerdeutschen Dialog

Papst Leo XIV. sieht den Reformprozess der deutschen Kirche noch nicht am Ziel. Beim Rückflug aus dem Libanon mahnte er mehr innerdeutschen Dialog an – und warnte vor Machtgefällen, die Stimmen vieler Gläubiger zum Verstummen bringen könnten. Vielfalt in der Synodalität sei kein Bruch, sondern Stärke.

Grünwidl: Kirche und Medien teilen Verantwortung für Wahrheit

Kirche und Medien tragen gemeinsam Verantwortung für Wahrheit, betonte der designierte Wiener Erzbischof Josef Grünwidl bei der Adventbegegnung mit ORF-Mitarbeitern.

Bürgermeister Ludwig: Bibelerzählung von Sturm am See „Anleitung für Politiker“

Herausforderungen mit kühlem Kopf zu meistern und die Nerven nicht wegzuschmeißen, könne man von der Bibel lernen, so der Wiener Bürgermeister bei der „Nacht der Stille“ im Stephansdom.

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