Gott ist großzügig und freut sich über jeden, der zum Guten, also zu ihm findet.
Gott ist großzügig und freut sich über jeden, der zum Guten, also zu ihm findet.
Interview mit Dr. Mouhanad Khorchide, Islamwissenschaftler an der Universität Münster über die soziale Dimension des Islam.
Der Islam versteht sich als Religion der Praxis. Wie sieht diese konkret aus?
Khorchide: Der Begriff Glaube (arab.: Iman) kommt im Koran – in Verbindung mit aufrichtigem Handeln – an 49 Stellen vor, so heißt es z. B. in der zweiten Sure, Vers 82: „Diejenigen, die glauben und Aufrichtiges tun, sind wahrlich die Eigentümer des Paradieses, sie verweilen dort ewig“.
Der Prophet Mohammed definierte Glaube folgendermaßen: „Glaube ist, was vom Herzen kommt und seinen Ausdruck im Handeln erhält“. Es kommt im Islam also auf das Handeln in der Gesellschaft an. Religiöse Rituale sind Mittel zur Unterstützung des Menschen, sich und sein Leben regelmäßig zu reflektieren.
Hat der Islam so etwas wie eine Soziallehre?
Khorchide: Die islamische Soziallehre gründet auf mehreren Elementen: Gott hat dem Menschen von seinem Geiste eingehaucht, aufgrunddessen jeder Mensch etwas Göttliches in sich trägt.
Darin begründet sich auch die Würde des Menschen, egal, welchen Glaubens und welcher Weltanschauung. Der Mensch ist von Gott mit Vernunft und Freiheit ausgestattet. Das menschliche Gewissen ist ein Antrieb zum Handeln nach dem Guten.
Die islamische Soziallehre wird also von grundsätzlichen Prinzipien wie Freiheit, Gerechtigkeit, soziale Verantwortlichkeit, Gleichheit und Barmherzigkeit gegenüber der Schöpfung bestimmt.
Auch Gott identifiziert sich mit den Bedürfnissen des Menschen, so heißt es z. B. in Sure 2, Vers 245: „Wer leiht Gott ein Darlehen?“, gemeint ist ein Darlehen an Bedürftige; wer also Gott liebt, drückt diese Liebe in Liebe zu seinen Mitmenschen aus.
Der Prophet Mohammed erzählte: „Im Jenseits wird Gott einen Mann fragen: ‚Ich war krank und du hast mich nicht besucht, ich war hungrig und du hast mir nichts zu essen gegeben, und ich war durstig und du hast mir nichts zu trinken gegeben‘, der Mann wird daraufhin erstaunt fragen: ‚Aber du bist Gott, wie kannst du krank, durstig, oder hungrig sein?!‘, da wird ihm Gott antworten: ‚Am Tag soundso war ein Bekannter von dir krank und du hast ihn nicht besucht, hättest du ihn besucht, hättest du mich bei ihm gefunden, an einem Tag war ein Bekannter von dir hungrig und du hast ihm nichts zum Essen gegeben, und an einem Tag war dein Bekannter durstig und du hast ihm nichts zum Trinken gegeben.“
Wie sieht der Islam die Beziehung zur Vielfalt der Religionen in der Welt?
Khorchide: Der Koran betont, dass die verschiedenen Wege zu Gott gottgewollt sind: „Für jede Glaubensgemeinde haben wir einen Weg vorgesehen, und wenn Gott wollte, hätte er euch zu einer einzigen Gemeinde gemacht“ (Koran 5:48).
Gott beschreibt sich im Koran als der absolut Barmherzige, wer die Barmherzigkeit Gottes jedoch nur für sich selbst beanspruchen will und andere ausschließt, der relativiert wiederum die Barmherzigkeit Gottes. Das ist nicht gottgerecht.
Christentum und Islam verstehen sich als universal. Wie geht der Islam mit diesem Anspruch um?
Khorchide: Es gibt einen Spruch des schiitischen Imams Sadeq: „Wir alle sind Rettungsboote, das Boot meines Großvaters Hussain (Enkel des Propheten Mohammed) ist jedoch das schnellste und geräumigste“.
Es ist legitim, ja wichtig, dass jeder Mensch seine eigene Wahrheit und seinen eigenen Weg für sich findet und dass dieser Weg für ihn der absolut richtige ist.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass er für alle Menschen der einzig richtige ist. Gott ist großzügig und freut sich über jeden, der zum Guten, also zu ihm findet.
Prof. Dr. Mouhanad Khorchide
Leiter des Zentrums für Islamische Theologie, Professor für Islamische Religionspädagogik und Stellv. Direktor des Centrums für religionsbezogene Studien an der
Westfälische Wilhelms Universität Münster