31.10.1999, Augsburg: Christian Krause (Lutherischer Weltbund) und Kardinal Cassidy unterzeichen die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“.
31.10.1999, Augsburg: Christian Krause (Lutherischer Weltbund) und Kardinal Cassidy unterzeichen die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“.
Der evangelische Bischof Michael Bünker über die Bedeutung der Heiligen Schrift für Luther, die Wege zur Einheit und den Thesenanschlag.
Wie können Sie die Rechtfertigungslehre einem Katholiken in wenigen Sätzen erklären?
Bischof Bünker: Erfreulicherweise gibt es seit 1999 eine große Übereinstimmung im Verständnis der Rechtfertigungsbotschaft zwischen Evangelischen und Katholiken in der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“.
Da sind sich die Kirchen einig, dass es ganz auf die Gnade Gottes ankommt, dass der Mensch ganz auf Gottes Gnade angewiesen ist.
Eine kurze Erklärung lautet so:
Die Rechtfertigungsbotschaft im christlichen Verständnis geht vom grundsätzlichen bedingungslosen und voraussetzungslosen Ja Gottes zu jedem Menschen aus.
Und dieses Ja, dieses Du bist angenommen, das sich gesagt sein zu lassen, das ist der Glaube.
Deswegen gehören das „Sola gratia“ („Allein aus Gnade“) und das „Sola Fide“ („Allein aus Glauben, durch den Glauben“) zusammen.
Der Glaube ist kein passives An-sich-geschehen-Lassen, sondern immer auch ein aktives Tätig-Sein und eine Folge dieser grundsätzlichen Bejahung.
Luther war ein exegetischer Profi. Was können wir noch heute von seiner Liebe zum Wort Gottes in der Heiligen Schrift lernen?
Bischof Bünker: Es ist auffällig, dass Luther seine Tätigkeit als Professor für Bibelwissenschaft in Wittenberg mit der Psalmenauslegung begonnen hat und immer wieder Psalmenauslegungen in den Vorlesungen durchgeführt hat.
Damit greift er auf, was er durch seine Jahre in der Gemeinschaft der Augustiner-Eremiten im täglichen Gebet sehr intensiv kennengelernt hat.
Seine Bibelfrömmigkeit, seine wissenschaftliche Beschäftigung mit der Bibel hängt immer auch mit dem praktischen Vollzug, mit dem Bibellesen, mit dem Beten der Psalmen und mit der täglichen Auseinandersetzung mit dem Evangelium zusammen.
Es gibt die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Bibel und es gibt auch die persönliche Frömmigkeit im Umgang mit der Heiligen Schrift.
Diese Verbindung – Biblia, das ist die ganze Heilige Schrift, so heißt es bei Luther immer – diese Verbindung zwischen dem historischen Buch der Bibel und zwischen der Heiligen Schrift als der lebendigen Quelle für unseren Glauben, das ist für Luther typisch. Das können wir von ihm auch heute noch lernen.
Was bedeutet es für die Ökumene, dass sich die Wittenberger Reformbewegung zu einer eigenständigen Konfessionskirche entwickelt hat?
Bischof Bünker: Das ist eine Entwicklung, die man heute wohl auch mit Bedauern zur Kenntnis nehmen muss. Weil dies ja niemand der damals Beteiligten beabsichtigte.
Sicher ist, dass Luther bis zum Ende seines Lebens, zwar mit immer weniger Hoffnung auf Umsetzungsmöglichkeit, aber doch daran festgehalten hat, dass seine Reformimpulse für die ganze Kirche gelten sollten.
Er war nie darauf ausgerichtet, eine Sonder-Kirche oder eine neue Kirche zu gründen.
Beide, Martin Luther und Philipp Melanchthon, wollten keine Kirche gründen, sondern sie wollten, wie Luther einmal sagte, unsere liebe alte, eine Kirche reformieren, zum Evangelium zurückführen.
Dass das letztlich nicht gelungen ist, ist eine der offenen Stellen für die Ökumene bis heute.
Warum hat Luther eine große Bedeutung für die ganze Christenheit?
Bischof Bünker: Insofern, weil er uns bis heute herausfordert, sehr konzentriert auf den Grund des Glaubens und auf den Grund der Kirche zu schauen: auf Jesus Christus.
Mein Glaube wird dadurch geweckt, dass es mir geschenkt ist, zu erkennen, dass sich mir in Jesus Christus Gott ganz zuwendet. Die Kirche hat keinen anderen Grund als in dieser Botschaft von Jesus Christus.
Da ist Luther etwas eröffnet worden, was bis heute für alle Kirchen von großer Bedeutung ist.
Wenn Papst Franziskus von „Evangelii gaudium“ spricht, also von der Freude des Evangeliums und am Evangelium, dann kann das jemand, der aus der lutherischen Tradition kommt, sofort und gern unterschreiben.
Worüber muss in der Ökumene noch gesprochen werden, was sind die strittigen Fragen?
Bischof Bünker: Das ist zum einen das Verständnis von Kirche:
In dieser Abfolge liegen die Aufgaben vor uns.
Unsere katholischen Geschwister betonen immer: Erst wenn wir im Hinblick auf das Kirchen- und Amtsverständnis Übereinstimmung gefunden haben, dann kann es eine gemeinsame Eucharistiefeier geben.
Während wir Evangelische sagen, die gemeinsame Eucharistiefeier könnte schon jetzt ein wichtiges Signal sein, dass wir uns auf dem Weg zur Einheit befinden und uns nicht davon abbringen lassen.
Wie gelingt eine ökumenische Feier des Reformations-Gedenkens?
Bischof Bünker: Die Bemühungen zwischen dem Päpstlichen Einheitsrat und dem Lutherischen Weltbund haben hier Maßstäbe gesetzt.
Da geht es immer um drei Schritte:
Der erste ist das Bedauern darüber, dass es letztlich zur Spaltung der westlichen Christenheit gekommen ist.
Wir in Österreich haben immer in großer Dankbarkeit auf den Salzburger Erzbischof Rohracher geblickt, der 1966 erstmals eine Vergebungsbitte hinsichtlich der Vertreibung der Protestanten aus Salzburg ausgesprochen hat.
Das Zweite ist: Wenn man die Reformation zurückführt auf diesen Kern: Wiederentdeckung des Evangeliums, dann ist das etwas, über das sich alle Christinnen und Christen nur freuen können, weil das die Kirche immer braucht.
Auch das Zweite Vatikanische Konzil spricht davon, dass die Kirche der ständigen Reform bedürftig ist, der ständigen Umkehr zu ihrem Grund, zu Jesus Christus, zum Evangelium. Da sind wir uns ganz einig. Und die Freude über dieses wiederentdeckte Evangelium ist sicher auch ein Anlass, miteinander zu feiern.
Und das Dritte ist: Was bedeutet das für die Zukunft? und wie wollen wir unterwegs bleiben auf dem Weg zur Einheit, die uns verheißen ist, die uns geschenkt ist und die zugleich eine Aufgabe ist, die es umzusetzen gilt?
Hat es den Thesenanschlag wirklich gegeben oder waren das sogenannte „Disputationszettel“, die Luther 1517 verschickt hat? Was glauben Sie?
Bischof Bünker: Sie haben Recht. Der Thesenanschlag ist fast so etwas wie eine Glaubens-Frage.
Zeitzeugenberichte über einen Thesenanschlag gibt es nicht. Es gibt allerdings spätere Erinnerungen, Luther hätte diese 95 Thesen nicht nur an seinen zuständigen Bischof geschickt, sondern auch öffentlich an der Tür der Schlosskirche in Wittenberg angeschlagen.
Tatsache ist, dass diese Thesen sehr schnell veröffentlicht wurden und dass sie sich rasend schnell über den ganzen deutschen Sprachraum verbreitet haben.
Von den Erstdrucken gibt es nur mehr ganz wenige Exemplare, eines davon liegt in Wien im Staatsarchiv.
Auch in Wien hat man sehr schnell diese 95 Thesen wahrgenommen, weil etwas in der Luft lag: Luther sprach öffentlich aus, was sich wahrscheinlich viele gedacht haben.
Es waren nicht die ersten Thesen, die sich kritisch mit dem Ablass auseinandergesetzt haben, aber sie waren sehr pointiert und von daher geeignet, rasch dieses Anliegen zu verbreiten.
Hon.-Prof. Dr. Michael Bünker, Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Österreich, Vorsitzender des Evangelischen Oberkirchenrates A.u.H.B. in Österreich.
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Feierstunde für einen Unfall? - Blog von Michael Prüller "über die Beduetung Luthers für die Kirche".
„Wer kann und muss sich rechtfertigen?“ - Martin Luther und seine Aktualität für Katholiken; von Thomas Söding.
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