„Nicht durch Werke des Gesetzes, hatte Paulus gelehrt, werde ein Mensch gerechtfertigt, sondern „durch den Glauben an Jesus Christus“ (Gal 2,16).
„Nicht durch Werke des Gesetzes, hatte Paulus gelehrt, werde ein Mensch gerechtfertigt, sondern „durch den Glauben an Jesus Christus“ (Gal 2,16).
Martin Luther und seine Aktualität für Katholiken.
Martin Luther hat vor 500 Jahren die Rechtfertigungslehre für sich neu entdeckt.
„Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“, war die Frage des eifrigen Mönchs, auf die er lange Zeit keine Antwort wusste.
Es war das Studium der Heiligen Schrift, das ihm die Augen öffnete: „Nicht durch Werke des Gesetzes, hatte Paulus gelehrt, werde ein Mensch gerechtfertigt, sondern „durch den Glauben an Jesus Christus“ (Gal 2,16).
„Gerechtfertigt“ heißt: geradegebogen, in Ordnung gebracht, freigesprochen, anerkannt.
Vorausgesetzt ist, was vielen Menschen vor anderen zuzugeben äußerst schwer fällt, wenigstens vor anderen: dass ihr Leben nicht in Ordnung ist, dass sie am liebsten ihr eigener Gott sein wollen.
Tief drinnen im Menschen steckt deshalb der Wunsch der Selbstrechtfertigung: vor anderen gut dazustehen, die eigenen Fehler zu verstecken oder auf mildernde Umstände hinzuweisen und gute Eigenschaften, gute Taten, wenigstens aber guten Vorsätze ins Feld zu führen, die einem helfen, in einem besseren Licht dazustehen.
Paulus sagt: Besonders beliebt sind diese Versuche, wenn es um das Verhältnis zu Gott geht; besonders ausgeprägt sind sie, wenn die Frommen am Zug sind.
Paulus sagt aber auch: Diese Versuche müssen notwendig scheitern. Sie führen zur Selbstentfremdung und bereiten nur neues Unheil um sich.
Die Antwort, die Paulus sucht, ist radikal. Sie geht über moralisches Fehlverhalten weit hinaus; der Apostel analysiert, dass Menschen in der Versuchung stehen, ihr eigenes Menschsein zu verleugnen, weil sie ganz ihren Bedürfnissen leben. Gott wird dann zum willigen Helfer ihrer eigenen Leitvorstellungen.
Hinter den hehrsten Zielen verbirgt sich ein religiös maskierter Egoismus.
Wenn kein Menschen frei von Schuld ist und Sünde eine tödliche Macht ist, muss jeder Mensch gerettet werden.
Nur Gott hat die Kraft, den Tod zu überwinden. Ohne seiner Gnade sind alle verloren; der Tod hätte das letzte Wort.
Paulus sagt aber: Diese Gnade schafft Gerechtigkeit. Sie führt ins Gericht, weil es keine Erlösung ohne Schuldbekenntnis geben kann und ohne eine Verurteilung dessen, was Menschen anderen und Gott schuldig geblieben sind, nach Paulus: die Liebe.
Selbst der härteste Sünder ist und bleibt aber doch Mensch: Gottes Geschöpf, selbst wenn er Gott verhöhnt und unmenschlich handelt.
Es gibt kein Recht auf Gnade; aber Gottes Gerechtigkeit verwandelt Unrecht in Recht: im Kern dadurch, dass die Sünder verwandelt werden – zu Gerechten.
Das ist, was Paulus als Rechtfertigung versteht: eine neue Schöpfung.
Wie kann Menschen diese Gnade der Rechtfertigung zuteil werden?
Paulus sagt: durch den Glauben. Er sagt zugleich: nicht durch Werke des Gesetzes, also das Erfüllen der Gebote, weil das Gesetz zwar sagt, was gut und böse ist, aber nicht die Kraft hat, Menschen zu verändern, so dass sie aus dem Sumpf der Sünde herauskommen.
Luther erkennt seine eigene Situation in der paulinischen Rechtfertigungslehre widergespiegelt.
Er hatte sich nichts vorzuwerfen – aber er war nicht glücklich geworden; er hatte im Gegenteil Angst vor dem gerechten Gott, den er nur als strafenden sich vorstellen konnte.
Luther sieht aber nicht nur sein persönliches Glaubensproblem. Er sieht auch die Korruption der Kirche seiner Zeit.
Das Fass zum Überlaufen bringt eine aggressive Werbung für Ablässe, die Johann Tetzel mit größtem Erfolg gemacht hat.
Geleitet von seiner Paulusexegese, stellt er 95 Thesen auf, die er nicht gegen die Türen der Schlosskirche gehämmert hat, wie sich das 19. Jh. die Szene ausgemalt hat, sondern an den zuständigen Bischof und an seine Kollegen gesandt hat, um eine Diskussion anzuzetteln.
Der Kern: Der Ablass, wie er damals gepredigt wurde, widerspreche der Bibel; er schreibe der Kirche und besonders dem Papst ein Recht zu, das ihm nicht zustehe; er führe zu einer Veräußerlichung des Glaubens, zu einer Abhängigkeit einfacher Menschen von angemaßter Autorität.
Von heute aus betrachtet, waren die Ablassthesen reformkatholisch. Sie hätte eine konstruktive Antwort verdient. Aber an ihr hat es gefehlt.
Luther selbst radikalisiert sich und isoliert sich von der großen Mehrheit der Kirche. Nötig wäre das nicht gewesen.
Heute gibt es charakteristische Unterschiede zwischen evangelischer und katholischer Rechtfertigungslehre.
Aber sie trennen die Kirchen nicht, sondern verbinden sie auf eine spannende Weise.
Am 31. Oktober 1999 ist das in Augsburg mit der Unterzeichnung der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ besiegelt worden.
Es gab, vor allem auf evangelischer Seite, viel Widerspruch. Aber Luther hätte sich gefreut.
Gegen „gute Werke“ kann niemand etwas haben, der bei klarem Verstand ist. Gottes- und Nächstenliebe gehören zusammen.
Aber wer Gutes tut, um vor anderen als gut zu erscheinen, ist ein Heuchler. Jesus hat das in der Bergpredigt gesagt, Paulus hat es an einem empfindlichen Punkt konkretisiert.
Luther hat hier und da überzogen. Aber er hat theologisch Recht, wenn er die Heilshoffnung nicht von guten Taten abhängig macht, sondern umgekehrt die Werke der Liebe als Konsequenz des Glaubens erkennt.
„Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ Unterzeichnet am 31. Oktober 1999 in Augsburg.
zur Person:
Univ.-Prof. Dr. Thomas Söding lehrt Neues Testament an der Ruhr-Universität Bochum.
weitere Artikel:
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