Man muss nicht cool sein beim Abschied. Es dürfen Tränen fließen, und man soll ruhig lange dem Vergangenen winken. Und dann mit dem Abschiedsmut ins Neue gehen. Und dem Segen wünschen, was ich hinter mir lasse.
Man muss nicht cool sein beim Abschied. Es dürfen Tränen fließen, und man soll ruhig lange dem Vergangenen winken. Und dann mit dem Abschiedsmut ins Neue gehen. Und dem Segen wünschen, was ich hinter mir lasse.
Abschied und Neubeginn sind die großen Wendepunkte im Leben des Einzelnen oder einer Institution. Pfarrerin Ines Charlotte Knoll spricht bei den „Theologischen Kursen“ zu diesem Thema.
Ich lebe meine ganze Theologie als eine Theologie des Trostes“, sagt Pfarrerin Ines Charlotte Knoll am Ende unseres Gespräches in den Amts-Räumen der Lutherischen Stadtkirche in der Dorotheergasse (Wien 1). Und genau dieser Trost klingt auch bei ihren Antworten auf die Fragen nach Abschied und Neubeginn durch. Pfarrerin Knoll ist weithin für ihre Predigten und für ihre Kolumnen bekannt.
Die vielfach engagierte Pfarrerin ringt mit den Worten, sie hält inne, wägt ab. Immer schwingt dann in den Antworten auch ein Stück Hoffnung mit, eben der Trost.
Viele von uns tun sich schwer, Abschied zu nehmen, Dinge abzuschließen, Verantwortung zum rechten Zeitpunkt aus der Hand zu geben, loszulassen. Warum?
Ines Knoll: Ich glaube, dass der Abschied sehr viel mit Wehmut zu tun hat, mit dem Schmerz des Loslassens. Den Moment des Abschiednehmens erfahre ich oft als ein von außen Gegebenes, über das ich keine Entscheidungsbefugnis habe. Selbst wenn ich es entscheiden kann, kommt zum Abschied immer die Wehmut.
Dieser Schmerz des Abschieds hat etwas zu tun mit den Seins-Wehen, in denen wir vielleicht liegen. Dass eben dabei auch die Angst mitschwingt, die Geburt des Neuen. Also Wehmut und Wehe-Mut, weil im Prozess des Abschieds sich auch Neues vorbereitet.
Das Rückwärts-Gewandte ist das Betrauern, dass ich loslassen muss. Da kommt dieser Wehe-Mut herein. Ich weiß, nun muss ich ein anderer werden.
Dieser schmerzhafte Prozess kann ungeheuer fruchtbar sein, wie es uns die ganze Passions- und Ostergeschichte erzählt.
Was ist dann das Geheimnis des gelungenen Abschieds?
Ines Knoll: Der gelungene Abschied ist, dazu zu stehen, die Trauer zuzulassen. Es schmerzt mich, ja ich bin traurig, dass ich etwas aufgeben muss oder dass auch ich aufgegeben werde, weil ich mit der Rolle verbunden bin, dieses oder jenes zu erfüllen. Da kommt die Frage dazu: Wie kann das ohne mich gehen? Ich muss dann aber erkennen: Es geht auch ohne mich. Und es geht vielleicht sogar noch viel besser ohne mich.
Der gelungene Abschied ist, all diese Prozesse zuzulassen. Wenn ich keinen Schmerz über den Abschied empfinde, dann war es auch nicht wichtig. Man muss nicht cool sein beim Abschied. Es dürfen Tränen fließen, und man soll ruhig lange dem Vergangenen winken. Und dann mit dem Abschiedsmut ins Neue gehen. Und dem Segen wünschen, was ich hinter mir lasse.
Können Bibel und Literatur auch etwas Tröstliches sein?
Ines Knoll: Die Literatur verdankt sich dem Schöpfungswort. Diesem anfänglichen Wort Gottes, der sprach: Es werde. Darauf bezieht sich der Prolog des Johannesevangeliums: Im Anfang war das Wort. Diesem Logos verdankt sich das dichterische Wort. So gibt es im Wort die wunderbare Übereinkunft der verdichteten Sprache in der Literatur mit dem biblischen Wort aus demselben Ursprung heraus.
Es ist dieser Wiedererkennungseffekt, etwa in den Psalmen oder in manchen Erzählungen der Bibel: Das geht ja mir genauso, ich hätte mich genauso gefühlt, ich hätte genauso gezweifelt oder gehofft. Wie etwa im Buch Jona oder in den Gleichnissen Jesu.
In der Literatur kann ich mich wiedererkennen, in dem, was der Dichter, die Dichterin schreibt. Manches reicht in seiner Tiefe an religiöse Sprache heran, etwa Texte von Hermann Hesse.
Auf einen Abschied folgt oft ein Neubeginn. Welche Chancen bietet ein Aufbruch?
Ines Knoll: Die Chance, als Mensch beim Neuanfang ein unbeschriebenes Blatt zu sein. Er kann sich neu entwerfen. Und er kann noch einmal, all das bedenkend, was er oder sie früher einmal gemacht haben, in dem Neuen auch einen neuen Sinn stiften. Der mir und dem Vergangenen nicht unbedingt widerspricht, ich muss nicht das Rad meines Lebens neu erfinden. Heute ist die Biographie des Menschen so gestückelt, das finde ich überhaupt nicht gut und sinnvoll. Da bin ich recht konservativ. Denn ich finde, wir brauchen viel Beständigkeit in unserem Leben. Und klarerweise auch innovative Momente. In diesem Neuen kann ich dann auch Sinn stiften.
„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben“, heißt es im Hesse-Gedicht „Stufen“. Was ist der „Zauber“ des Anfangs?
Ines Knoll: Das ist der große Motivationsschub, bei dem ich Ja sage. Ja, das will ich, das mache ich, das wird mir gelingen. Es ist ein großes Heureka (Griechisch: „Ich habe es gefunden“) in dem, was ich tue.
Im Zauber des Anfangs ist keine Frage, sondern eine herrliche Selbstverständlichkeit. Glaube ist Mut zum Sein, sagt Paul Tillich. Dieser Anfangs-Mut ist ungebrochen da, er hat im besten Sinn etwas Naives, Unmittelbares.
Welche biblischen Bilder thematisieren den Abschied, welche den Neuanfang?
Ines Knoll: Ich finde die Abschiedsreden Jesu im Johannesevangelium (Kapitel 13 bis 17) wunderbar. Ich finde das so herrlich, dass Jesus sagt: „Ich lasse euch einen Tröster hier.“ Das rührt mich immer zu Tränen. Das ist für mich das Stärkste an der Abschiedsrede, dieser Zuspruch im Abschied. Wir sind nicht allein, wir sind immer schon in unserer Brüchigkeit getröstet. Das gilt ewig, was da gesagt ist.
Die zweite Bibelstelle finde ich bei Jeremia, Kapitel 54: „Einen kleinen Augenblick habe ich euch verlassen. Mit großer Barmherzigkeit will ich euch umfangen.“
Und die dritte Bibelstelle steht im ersten Korintherbrief, Kapitel 15: „Siehe, ich sage euch ein Geheimnis. Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden.“ Das ist unglaublich. Und tröstlich zugleich.
Pfarrerin Dr. Ines Charlotte Knoll,
Evangelische Kirche Augsburger Bekenntnis,
lautet das Semester-Thema der „Theologischen Kurse“. Anmeldung, Info: 01/ 51552-3708 oder www.theologischekurse.at
17.5.2017
15-17.30 Uhr: „Bedingungslose Gnade und Rechtfertigung. Die Liebe Gottes muss konkret werden“, mit em. Univ.-Prof. Ottmar Fuchs, Universität Tübingen.
18.30-21 Uhr: „Sakramente: Immer gratis, nie umsonst?“, mit em. Univ.-Prof. Ottmar Fuchs.
19.5.2017
16-20 Uhr: „Jedem Abschied wohnt ein Zauber inne … Vom Reifen und Neuanfangen“, mit Pfarrerin Ines Charlotte Knoll, Lutherische Stadtkirche Wien.
„Umbrüche und Aufbrüche in der Bibel“, mit Univ.-Prof. Ludger Schwienhorst-Schönberger, Uni Wien.
„Die Kunst des Loslassens“, mit Univ.-Prof. i.R. Dr. Günther Pöltner, Universität Wien.
Im Herbst 2017 starten die „Theologischen Kurse“ eine neue Bildungsoffensive: Sie eröffnen die „Akademie am Dom – Katholische Akademie Wien“ und führen damit die Arbeit der bisherigen „Wiener Katholischen Akademie“ am Standort Stephansplatz fort.
Zugleich geht es um eine Intensivierung des bisher unter „THEMA“ bekannten Angebots öffentlicher Vorträge. Die bewährte Fokussierung auf Jahresthemen wird beibehalten: 17/18 bietet „Wege aus der Angst“, Vorträge renommierter Theologinnen und Theologen sowie interdisziplinäre Veranstaltungen – im Wintersemester 17/18 mit Beiträgen aus Philosophie, Psychiatrie, Rechtswissenschaften, Musik- und Sprachwissenschaften. Auch das Angebot in Kunst & Kultur wird erweitert, u. a. mit „Dom Museum Wien Backstage“ zu den dortigen Sonderausstellungen. Eine eigene Programmschiene für Junge Erwachsene „U35“ stellt brisante Themen wie „Schöpfung und Evolution“ oder „Religion und Gewalt“ zur Diskussion.
Bei der Veranstaltung „Jedem Abschied wohnt ein Zauber inne“ am 19. Mai spricht Kardinal Schönborn über „Katholische Akademie im Wandel“, zugleich wird das „Reifen und Neuanfangen“ literarisch, biblisch und existenziell beleuchtet.
Die Eröffnung der Akademie am Dom am 6. Oktober wird unter dem Titel „Christentum als Bildungsreligion“ stehen. Die Akademie am Dom lädt ein, sich mit aktuellen theologischen und gesellschaftlichen Fragen zu befassen. Die Verbindung von Wissenschaftlichkeit und Lebens- wie Glaubensrelevanz wird ein Markenzeichen ihres Programms sein.
Erhard Lesacher,
Leiter der „Theologischen Kurse“
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