Deutscher Theologe und Buchautor wendet sich in "Langer Nacht der Kirchen" in Wien gegen Waffenlieferungen, Aufrüstung und die Logik der Macht.
Ein mit Waffen und auf Schlachtfeldern erkämpfter Friede ist keiner im Sinne Jesu, der sich laut dem Neuen Testament mit den Trostworten "Meinen Frieden gebe ich euch" (Joh14) an seine Jünger wandte. Was gerade in der Ukraine geschieht, ist nach den Worten des deutschen Theologen, Psychotherapeuten und Buchautors Eugen Drewermann Ausdruck einer Machtlogik, die sich im Lauf der Geschichte immer wieder als fatal herausstellte.
Der NATO und den darin dominierenden USA mit ihrer "America first"-Politik wies Drewermann in seinem Vortrag am Freitagabend in der Wiener Donaucitykirche mindestens ebenso viel Schuld zu wie Russland. Der jetzige Krieg und das zu verurteilende Agieren Putins hätten mit Rücksichtnahme auf die Sicherheitsinteressen Russlands verhindert werden können, sagte der fast 82-Jährige in seiner bekannt geschliffenen Rhetorik im Rahmen der "Langen Nacht der Kirche". Österreich habe - anders als die NATO-Erweiterung im Westen und Süden Russlands - vor dem Staatsvertrag vorgezeigt, wie auch einer Sowjetunion unter Stalin Zugeständnisse abzuringen waren: mit der Zusicherung militärischer Neutralität.
Mit der jetzt allenthalben beschlossenen Aufrüstung und weiteren Ausdehnung der NATO dagegen ist nach Überzeugung des Theologen kein dauerhafter Friede zu erzielen. Das sei ein Friede, der "herbeigezwungen" werden soll und letztlich "auf einem großem Friedhof" mit Tausenden Opfern gründe. Diese Reaktion des Westens folge allein einer Aufrüstungsspirale, die aus Angst vor der Bedrohung durch den Feind nach immer besseren, wirksameren Waffen giere. Für Drewermann ein "Wahnsinn der Paranoia".
Der langjährige Friedensaktivist schlug einen weiten historischen Bogen, um die Untauglichkeit dieser Strategie, Frieden durch Unterwerfung zu schaffen, zu belegen. Damit werde Böses nicht besiegt, "sondern wir nehmen es in unser Herz auf", warnte er vor jeder Entmenschlichung des Feindes. Mit der Bergpredigt und Jesu Aufforderung "Leistet dem Bösen keinen Widerstand" könne man keine Politik machen, heiße es. Dagegen Drewermann: Nur damit könne Politik menschlich sein.
Ein Ausweg aus kriegerischen Konflikten wie dem jetzigen in der Ukraine sei nur möglich, wenn nicht der Feind, sondern die Angst besiegt werde. Es gelte auch beim anderen die Angst hinter dessen Handeln zu verstehen und sie zu berücksichtigen. Es gebe ein zu Unrecht erfolgtes Zuschlagen, so Drewermann. Aber wer zurückschlägt, verhindere beim Aggressor die mögliche Einsicht in die Falschheit seines Tuns, ja, dieser fühle sich in seinem Zuschlagen durch gewaltsamen Widerstand geradezu bestätigt.
Das kirchlich verfasste Christentum sei 312 mit der Schlacht an der Milvischen Brücke, als Konstantin unter dem Zeichen des Kreuzes seinen Rivalen Maxentius besiegte, von Jesu Friedensverständnis abgerückt. Die Kriegsherren der Geschichte seien als "Große" verehrt worden, erinnerte Drewermann an Alexander, Karl, Napoleon; Jesus dagegen habe für so ausgeübte Macht nichts übrig gehabt: "Wer unter euch groß sein will, sei der Diener aller", lautete seine Vorgabe. "Böses nicht bekämpfen, sondern es überlieben" - so formuliert der Theologe die jesuanische Friedensbotschaft.
Eugen Drewermann ist als suspendierter katholischer Priester 2005 aus der Kirche ausgetreten. Er zählte davor zu den umstrittensten Theologen, ihm wurde 1991 vom Paderborner Erzbischof Lehrerlaubnis entzogen. Konfliktthemen mit dem kirchlichen Lehramt waren seine symbolische Deutung zentraler Glaubensinhalte wie Auferstehung, Himmelfahrt oder Wunder. Anstoß erregte auch seine Kritik an Zölibat und Klerikerideal.
Als prominentes Mitglied der deutschen Friedensbewegung tritt Drewermann bis heute regelmäßig als Redner auf Demonstrationen in Erscheinung und wirbt in seinen Vorträgen für ein friedliches Zusammenleben sowie eine gewaltfreie Völkerverständigung. Zuletzt geriet er als Erstunterzeichner des "Neuen Krefelder Appells", der vor einer kapitalistischen Weltverschwörung warnt, ins Gerede. Als Grund nannte Drewermann, er halte die NATO "für eine große Gefahr". Menschen, die für den Frieden sind, "stehen mir immer nahe, gleich welcher Couleur", rechtfertigte sich der Theologe. So habe es auch Jesus gehalten, er "dachte nicht politisch", sondern habe versucht, die Menschen in ihrer Not zu Gott zurückzuführen.