Der Grazer Armenpfarrer Wolfgang Pucher bei einer Aktion gegen Bettelverbote.
Der Grazer Armenpfarrer Wolfgang Pucher bei einer Aktion gegen Bettelverbote.
Bettellobby-Vertreterin zeigt rigide Gesetzgebung gegen Bettelei auf, Alleinerzieherin kritisiert bürokratische Hürden, Sozialreporter wendet sich gegen Polit-Inserate in Blättern mit hetzerischem Duktus.
Auch die "Wohlfühlstadt" Wien, deren Lebensqualität regelmäßig als eine der weltweit besten eingestuft wird, kennt versteckte und offene Armut. Einige Facetten davon wurden in der "Langen Nacht der Kirchen" am 9. Juni 2017 in der Reformierten Stadtkirche aufgezeigt, wo Vertreterinnen der "Bettellobby" und der Initiative "Sichtbar werden" - beide Teil der Armutskonferenz - sowie der "Kurier"-Journalist Uwe Mauch über das Thema "Armut in Wien" diskutierten. Der Tenor: Das soziale Klima wird rauer, die Gesetze gegen das Betteln rigider, die Nächstenliebe im christlich geprägten Österreich bleibt oft sehr lückenhaft.
Der reformierte Pfarrer Harald Kluge flocht in seine Moderation eine bezeichnende Episode ein: In der Straße, wo der Standort seiner Gemeinde liegt, bildete sich ein Verein der "Freunde der Dorotheergasse", die gemeinsame Interessen wie z.B. eine einheitliche Weihnachtsbeleuchtung verfolgt. Die Reformierten wurden um ihre Mitgliedschaft angefragt; anders als viele Geschäftsinhaber, das Jüdische Museum und das Auktionshaus Dorotheum entschied sich die Kirchengemeinde dagegen. Der Grund: Eines der Zielsetzungen des Vereins war eine "bettlerfreie" Gasse - ein Ansinnen, das einer christlichen Gemeinde schlecht anstünde, so Pfarrer Kluge.
Regina Schmid von der im Rahmen der Armutskonferenz entstandenen Bettellobby berichtete von schikanösem Vorgehen der Polizei gegen Bettelnde - so wurde etwa einmal eine Strafe verhängt, weil Bettler den Zugang zu einem Laden erschwert hätten. Als "Tatzeit" wurde jedoch 20.30 Uhr angegeben, als das Geschäft gar nicht geöffnet hatte. Beim Einspruch gegen derlei Anzeigen verzeichne die Bettellobby eine Erfolgsquote von 80 bis 90 Prozent, teilte Schmid mit. Denn grundsätzlich ist Betteln in Österreich als Grundrecht gesetzlich anerkannt. "Gummiparagrafartige" Einschränkungen gebe es freilich bei aggressivem, erwerbsmäßigem oder organisiertem Betteln, so die Sozialarbeiterin.
Wenn etwa Roma-Clans, die in ihrer Heimat auf dem Balkan seit jeher ausgegrenzt würden, hierzulande aus einem Bus steigen und sich an Standorten verteilen, ist dies laut Schmid nur insofern "organisiertes Betteln", als in dieser Volksgruppe der Familienzusammenhalt noch so eng ist, wie dies in Österreich bis vor einigen Generationen noch der Fall war. Die Expertin appellierte, hinter dem "Stigma" Bettler immer auch den Menschen zu sehen. Das lasse Ängste vor der "Bettelmafia" oder auch nur das Unbehagen, beim Shoppen durch sichtbares Elend gestört zu werden, schwinden.
Finanzengpässe und Not kennt auch Anna Femi als Witwe und alleinerziehende Mutter von vier Kindern, wie die nun in der Initiative "Sichtbar werden" Engagierte berichtete. Sie beklagte den beschämenden "Marsch durch die Institutionen", den Bedürftige auf sich nehmen müssten, bevor sie staatliche Unterstützung bekämen. Nicht umsonst werde ein hoher Prozentsatz der zustehenden Sozialleistungen gar nicht in Anspruch genommen. Für Femi ist es eine Schande, dass sich Österreich als elftreichstes Land der Erde so viel Armut "leistet".
Uwe Mauch, Autor des Buches "Die Armen von Wien" mit 13 Sozialreportagen und regelmäßiger "Augustin"-Kolumnist, gab Kostproben aus seinem Buch zum Besten, die zeigten: Österreich hat ein dicht gewobenes soziales Netz - aber nicht für alle. Das polnische Pensionistenpaar, das er in Begleitung der Caritas nächtens auf der Donauinsel kennenlernte, der heimatlos gewordene syrische Musiker oder der im Rollstuhl auf der Friedensbrücke um Hilfe bittende rumänische Rom hätten hierzulande nichts zu lachen. Wenn er von solchen Begegnungen abends nach Hause komme, fühle er - wie Mauch sagte - eine "große Demut", als in Österreich Geborener auf die Butterseite des Lebens gefallen zu sein.
An die Politik in Wien richtete der Journalist ein konkretes Anliegen: nämlich nicht länger teure Inserate in Boulevardblättern mit oftmals hetzerischen Artikeln gegen Arme zu schalten und dafür Steuergeld auszugeben, das viel sinnvoller zur Linderung von Not eingesetzt wäre.
Lange Nacht der Kirchen:
www.langenachtderkirchen.at