Der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker und Kardinal Christoph Schönborn diskutierten bei der "Langen Nacht der Kirchen" in der Wiener Pfarre St. Johann Nepomuk in der Josefstadt.
Der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker und Kardinal Christoph Schönborn diskutierten bei der "Langen Nacht der Kirchen" in der Wiener Pfarre St. Johann Nepomuk in der Josefstadt.
Konfessionellen "Binnenblick" angesichts von Säkularisierung und Christenverfolgung überwinden.
Kardinal Christoph Schönborn und der evangelische Bischof Michael Bünker haben sich für mehr Erkennbarkeit im gesellschaftlichen Einsatz der christlichen Kirchen ausgesprochen. Ein gemeinsames Zeugnis sei angesichts von neonationalistischen Tendenzen, der wachsenden Fremdenfeindlichkeit oder der immer weiter aufgehenden sozialen Schere nötig, sagte Kardinal Schönborn am Freitagabend, 9. Juni 2017 bei einem Gespräch im Rahmen der "Langen Nacht der Kirchen" in der Pfarre St. Johann Nepomuk an der Praterstrasse in der Leopoldstadt. Bei vielen Themen gelte es "das unterscheidend Christliche herauszufinden und miteinander auch dafür einzustehen".
Bischof Bünker wies auf den besonderen Umgang der Ökumene mit Vielfalt hin. Im innerchristlichen Dialog gehe es nicht um das Beschwören einer Einheit, sondern um das Erkennen, dass Unterscheide "uns nicht mehr trennen, sondern auch bereichern können. Wir beginnen neu zu entdecken, was wir aneinander haben und voneinander geschenkt bekommen." Mit diesem Verständnis müssten sich Christen einbringen in die Gesellschaft, die "immer mehr pluralitätsskeptisch und homogenitätssüchtig wird". Oft gelte es dabei jedoch auch die eigenen Kirchenmitglieder zu überzeugen.
Der Klimawandel, aktuelle Hungerkrisen und die Notwendigkeit eines nachhaltigeren Lebensstil sind laut Bünker eine "enorme spirituelle Herausforderung", denn: "Alle haben das Gefühl, das würde bedeuten, dass es mir dann schlechter geht, und bauen deshalb Blockaden auf." Christlicher Glaube könne von Abstiegsängsten bewahren, helfe Unsicherheiten auszuhalten und bringe Erlösung für eine Auffassung des Lebens "als letzte Gelegenheit", welche sich nur an Karriere, Gehalt und Pensionsanspruch orientiere. Der Reformator Martin Luther habe mit seiner Soziallehre wichtige Impulse dafür gegeben, sich keine "Sachzwänge" einreden zu lassen.
Dass ein gemeinsamer Weg der Christen notwendig ist, wird laut den Vertretern der beiden Kirchen durch die Außenwahrnehmung deutlich, die dem Selbstverständnis in vielen Bereichen schon voraus sei. Kardinal Schönborn verwies hier auf die heutigen Christenverfolgungen: "Die Verfolger fragen nicht danach, ob jemand katholisch, evangelisch oder orthodox ist. Für sie sind alle Christen. Es gibt somit eine Ökumene des Zeugnisses und des Martyriums."
Auch die Säkularisierung führe zu dieser Entwicklung, ergänzte Bünker: Jeder vierte evangelische Kirchenaustritt würde hierzulande mit der Nicht-Gleichberechtigung der Frau, der Hierarchie in der kirchlichen Organisation und mit Kritik an einzelnen Bischöfen begründet. Bünker: "Die waren offenkundig der Meinung sie sind in der katholischen Kirche! Wenn wir dann im Gespräch gesagt haben: 'Hallo, ihr seid ja in der anderen Firma!', so sagten sie: 'Ihr seid ja eh alle eins.'" Die Kirchen hätten somit einen "Binnenblick von Differenzen und Unterschieden, die schon mit ein paar Schritte Abstand nicht mehr gesehen werden".
Zentrales Thema der Langen-Nacht-Diskussion war das diesjährige evangelische Jubiläum "500 Jahre Reformation". Bünker sprach von der ersten Jahrhundertfeier im "ökumenischen Zeitalter", zumal die Jubiäen von 1617 bis 1917 stets von massiven gegenseitiger Ablehnung geprägt gewesen seien. "Wir sind jetzt in der glücklichen Situation, dass weder konfessionelle Gegensätze noch politisch oder nationale Instrumentalisierung im Vordergrund stehen", so der evangelische Bischof. Rückblickend müsse man heute einsehen, dass die Trennung auch schlimme Folgen bis hin zur gegenseitigen Vertreibung, Verfolgung und Vernichtung gehabt habe.
Beim nötigen gemeinsamen "Bedenken" müsse man laut Bünker auch Martin Luthers Schattenseiten erwähnen - wie etwa seinen lebenslangen "massiven Antisemitismus", der für die evangelische Kirche angesichts des NS-Holocausts eine "große Belastung" sei. Auch was das Verhältnis des Reformators zum Islam, zum Papsttum oder sein Dämonen- und Teufelsglaube betreffe, gelte: "sehr sympathisch war er nicht. Er war kein moderner Mensch und kein Demokrat", so der evangelische Bischof. Rückblickend seien die Kirchen jedoch "lernfähig - auch wenn es etwas länger dauert".
Auch auf katholischer Seite habe es große Antisemiten und Judenverfolger gegeben, zu denen man auch den heiliggesprochenen Papst Pius V. zählen müsse, bekannte an dieser Stelle der Wiener Erzbischof. Das Erinnern an die Schattenseiten helfe heute dabei, "etwas behutsamer zu sein im Urteil über den Islam". Bei der Kritik an Konflikten zwischen Sunniten und Schiiten etwa dürfe man nicht vergessen, dass auch in der europäischen Geschichte die Christen untereinander lange Zeit Kriege geführt hätten. Steine werfen sei hier nicht angebracht, "denn wir sitzen im Glashaus."
Kardinal Schönborn wies zugleich darauf, dass es bereits seit der Reformation "neben einer Geschichte der Konflikte immer auch eine Geschichte des Dialogs" gegeben habe. Sichtbar geworden sei dies in Menschen, die in der Ökumene Brückenbauer waren, und in "vielen Versuchen des Wiederfindens". Dazu zähle auch der westfälische Friede, bei dem 1648 mit der "Einsicht, dass es nicht so weitergeht", der 30-jährige Krieg beendet worden sei, oder die im 19. Jahrhundert stark gewordene Toleranzidee. "Wo das Evangelium wiederentdeckt wurde, wurde immer auch der Geist der Versöhnung wiederentdeckt", so der Kardinal.
Das Reformationsjubiläum werde hierzulande sehr gut wahrgenommen, freute sich der evangelische Bischof Bünker. Nur drei Prozent der Bevölkerung seien evangelisch, doch werde heuer in etlichen Ausstellungen - u.a. im Salzburger Stift St. Peter oder in den Landesausstellungen von Niederösterreich, Steiermark und Kärnten oder im Wien Museum - auf Luther und seine Zeit verwiesen. Dies sei "nicht selbstverständlich" und zeige, dass die Reformation nicht nur die evangelische Welt, sondern die gesamte Gesellschaft betreffe.
Besonders hob Bünker auch die Würdigung des Gedenkjahres durch die römisch-katholische Kirche hervor. Es sei eine absolute Neuigkeit gewesen, als die katholische Bischofskonferenz vergangenes Jahr die Leitung der evangelischen Kirche in Österreich zu ihrer Herbsttagung eingeladen habe. Der evangelische Bischof sprach von einer "ein- und erstmaligen Begegnung" und von "großartigen Schritten", die von der Allgemeinheit viel zu wenig bemerkt würden. An vorderster Stelle sei zudem Papst Franziskus zu nennen, der den Auftakt des Reformationsjahres in Schweden mitgefeiert und die evangelische Gemeinde Roms besucht habe.
Wichtiger und bleibender Verdienst Martin Luthers sei es neben gewesen, den Blick auf Christus zu richten, betonte Kardinal Schönborn. Bünker sprach von einer "Wiederentdeckung des Evangeliums" durch die Reformation, über welche sich jede christliche Kirche freuen könne.
Als Auftrag an alle Kirchen bezeichnete es der evangelische Bischof, "nachzudenken, wofür uns der liebe Gott gemeinsam im Jahr 2018 haben will. Wofür braucht er uns?" Ziel des Festjahres sei es, "gemeinsam auf Christus zu schauen, zu tun, was er uns sagt, und dabei nicht zaghaft zu sein", so der Bischof, der auf die weiteren Höhepunkte des Jubiläums - darunter das Fest am Wiener Rathausplatz am 30. September und der Festakt im Wiener Musikverein am 24. Oktober - verwies. "Ich lade zudem ein: Schauen sie in die nächste evangelische Pfarrgemeinde - alle machen was", so Bünker.