Als Faustregel kann man formulieren: "Man muss nicht immer alles sagen, was wahr ist. Aber das, was man sagt, muss wahr sein."
Als Faustregel kann man formulieren: "Man muss nicht immer alles sagen, was wahr ist. Aber das, was man sagt, muss wahr sein."
Achtes Gebot. Du wirst nicht gegen deinen Nächsten als lügnerischer Zeuge aussagen.
Ein Kommentar von Lukas Zaminer, Theologische Kurse, Universität Salzburg, Fachbereich Praktische Theologie, Moraltheologie und Spirituelle Theologie.
Das achte Gebot nach Ex 20,16 und Dtn 5,20 ist bestens bekannt als das Lügenverbot. Tatsächlich aber ist hier gar nicht die Lüge im Allgemeinen angesprochen. Im Gegenteil: Im Alten Testament gibt es sogar eine „harmlose“ Lüge: Eine kleine List und eine gewisse Gerissenheit gelten nämlich als „kleine Klugheiten“.
Die Bibel warnt den allzu Gerissenen nur vor möglichen negativen Konsequenzen, also vor der Grube, die man bekanntlich sich selbst gräbt (Koh 10,8; Spr 26,27).
Die biblische Formulierung des achten Gebots bezieht sich vielmehr auf die sehr konkrete Situation einer Gerichtsverhandlung. In biblischer Zeit fand diese Verhandlung vor dem Stadttor statt. Zur Teilnahme waren alle Vollbürger berechtigt, die zugleich die Funktion des Zeugen und des Richters ausübten.
Das Gebot fordert, diese Rolle mit Ernsthaftigkeit wahrzunehmen, wenn es davon spricht, dass man nicht als "Lügenzeuge" auftreten soll. Leistet ein Zeuge einen Meineid, indem er eine falsche Tatsache behauptet, verfälscht er die gerechte Urteilsfindung des Gerichts. Dasselbe gilt auch für den Richter: Verdreht er die Wahrheit, indem er willkürlich Fakten unterdrückt, macht er sich ebenfalls zum Lügenzeugen, der das Urteil manipuliert.
Im antiken Judentum zog eine Verurteilung nicht selten den Verlust von Besitz und Ehre nach sich. Öfter jedoch kam es zur Vollstreckung der Todesstrafe. Das achte Gebot fordert somit einen fairen Prozess mit ordentlicher Beweisführung, um die Tötung eines Unschuldigen zu verhindern.
Im Neuen Testament, z. B. in 1Tim 1,9f, wird das Verbot zum Meineid verallgemeinert und das Lügen prinzipiell verboten. Dahinter steht das Wissen um die Verunsicherung, die von der Verdrehung der Wahrheit ausgeht. Lügen, Leugnen und Täuschen brechen die Treue und trüben das gegenseitige Vertrauen. Sie bewirken, dass man sich zum einen nicht mehr auf den Mitmenschen und auf die Wahrhaftigkeit seiner Worte und Taten, auf seine Aufrichtigkeit, verlassen kann.
Zum anderen richtet üble Nachrede einen nicht wieder gut zu machenden Schaden an. Menschen werden durch Lüge oder Tatsachenverdrehung zu Geächteten und Außenseitern. Das vertrauensvolle Miteinander ist somit empfindlich gestört.
Muss die Lüge aber immer etwas In-sich-Schlechtes sein? Kant schildert folgendes Szenario: Dein Freund wird verfolgt und versteckt sich; du weißt, wo er sich versteckt; der Verfolger fragt dich, wo sich dein Freund befindet. Was antwortest du ihm? Eigentlich muss die Wahrheit gesagt werden. Schaut man jedoch auf die möglichen Konsequenzen dieser Situation, dann ist Lügen sogar angebracht. Dem Freund kann damit vielleicht das Leben gerettet werden. Der Sinn des Lügenverbots ist in diesem Fall indirekt wiederhergestellt.
Nicht nur die Bibel, sondern auch die Tradition der katholischen Kirche hat Lügen immer sehr differenziert interpretiert, nämlich im Sinne der positiven Aufforderung zu einer Wahrheit, die die Realität nicht einfach nur abbildet, sondern der jeweiligen Situation angemessen sein und in ihren Folgen verantwortet werden muss. So gilt beispielsweise auch das Verschweigen mancher Tatsachen als gerechtfertigt.
Als Faustregel könnte man hier formulieren: "Man muss nicht immer alles sagen, was wahr ist. Aber das, was man sagt, muss wahr sein." Solche Sätze können beispielsweise bei der konkreten Frage weiterhelfen, ob man verpflichtet ist, einem Kranken bis in die letzten Details eine tödliche Diagnose mitzuteilen. Besser ist es hier, ihm die Wahrheit wie einen Mantel anzubieten, in den er/sie schlüpfen kann.
Ziel muss also immer sein, die Verantwortung gegenüber einem anderen Menschen und seinem Leben im Blick zu behalten. In Ausnahmefällen, etwa um das Leben eines gefährdeten Menschen zu schützen, darf wie bei Kant sogar zur „Notlüge“ gegriffen werden. Die Toleranzgrenze ist aber dort überschritten, wo zwischen Menschen Argwohn und Misstrauen überhandnehmen. So ist auf niemanden Verlass und ein gutes Auskommen unmöglich. Unterscheidungsfähigkeit und Klugheit erlauben dagegen eine sinnvolle Anwendung des Gebots.
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Die zehn Gebote - eine Einleitung
1. Gebot: Du sollst den Herrn, deinen Gott anbeten und ihm dienen
2. Gebot: Du sollst den Namen Gottes nicht verunehren
3. Gebot: Du sollst den Tag des Herrn heiligen
4. Gebot: Du sollst Vater und Mutter ehren
5. Gebot: Du sollst nicht töten
6. Gebot: Du sollst nicht die Ehe brechen
7. Gebot: Du sollst nicht stehlen
8. Gebot: Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen
9. und 10. Gebot: Begehren
Weiterführende Literatur zu den 10 Geboten |
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