Die Politikerin Hildegard Burjan, Gründerin der Schwesterngemeinschaft der Caritas-Socialis.
Die Politikerin Hildegard Burjan, Gründerin der Schwesterngemeinschaft der Caritas-Socialis.
Die prophetische Vorreiter-Rolle der Politikerin Hildegard Burjan, Gründerin der Schwesterngemeinschaft der Caritas-Socialis. Univ.-Prof. Gisbert Greshake im Gespräch.
Warum ist Hildegard Burjan noch heute eine beeindruckende Gestalt? Was fasziniert Sie an der bald Seligen?
Greshake: Was mich an Hildegard Burjan besonders fasziniert, ist die geradezu prophetische „Vorreiter-Rolle“, die sie in vielfacher Weise gespielt hat: In einer Zeit, in der man weithin die himmelschreienden Ungerechtigkeiten (Kinderarbeit, Lohndumping bei den Heimarbeiterinnen, Ausgrenzung ganzer Menschengruppen…) übersah oder verdrängte, setzte sie Initiativen für eine neue Weise sozialen Engagements, indem sie nicht mehr nur Mildtätigkeit in Einzelfällen übte, sondern strukturelle Hilfe, strukturelle Erneuerung des Sozialwesens urgierte.
Dabei griff sie u.a. zu einem Mittel, das sonst erst 40, 50 Jahre später, in der 68er-Bewegung, üblich wurde, nämlich zum Boykott-Aufruf für Waren, die unter ungerechten Bedingungen hergestellt wurden.
Als eine der ersten im kirchlichen Raum entdeckte sie die globale Verantwortung für die Welt.
Schon zu Anfang ihres sozialen Engagements in Wien sagte sie einmal, dass sie all das tut, „weil ich mich jeden Augenblick irgendwie für das viele Traurige verantwortlich fühle, das auf der Welt geschieht“. Eine für den Anfang des 20. Jahrhunderts wegweisende Aussage!
Auch im innerkirchlichen Bereich nimmt sie spätere Entwicklungen vorweg. Ihre Überlegungen zu einer neuen Gestalt der Schwesternschaft der Caritas Socialis zeigen eine große Nähe zur erst viel später, nämlich 1947 von Pius XII., eröffneten Möglichkeit zu sogenannten Säkularinstituten.
Was sind die geistlichen Quellen, aus denen Hildegard Burjan schöpfte?
Greshake: Die wichtigste geistliche Quelle war für Hildegard Burjan ihr ganz persönlicher Glaube, aus dem heraus sie im Gebet nach Gottes Willen fragte. Zugleich befähigte sie auch der Glaube, im konkreten (sozialen) Tun, in ihren Begegnungen und Lebenssituationen Gottes Ruf zu entdecken.
Darüber hinaus erinnern auch manche Äußerungen und Praxen an ihre jüdische Herkunft. Denn auch wenn es in ihrem Elternhaus keinerlei jüdische Glaubenspraxis gab, wurde sie als Jüdin doch zweifellos mit der „messianischen Idee“ (wenn auch in säkularisierter Form) konfrontiert, einer Idee, die sie dann gewissermaßen in eine christliche Glaubenspraxis übertrug.
„Politisches Engagement gehört zum praktischen Christentum“ (Hildegard Burjan). Engagieren sich genug Katholikinnen und Katholiken in der Politik?
Greshake: Nein, immer noch ist politisches Engagement unter aktiven Katholiken die Ausnahme.
Ich habe oft Theologiestudenten, die als Laien in der Kirche arbeiten wollten, gefragt, warum sie als Ziel einen kirchlichen Beruf (Pastoralassistent u.dgl.) anpeilten.
Immer wieder erhielt ich dann Variationen der Antwort: „Wir wollen uns im Bereich von Glaube und Kirche betätigen!“ Das ist natürlich lobenswert.
Aber das Feld von Glaube und Kirche umfasst eben nicht nur „kirchliche Berufe“. Gegen solche Verengung habe ich oft gefragt: „Warum geht ihr nicht in die Politik, in den diplomatischen Dienst, in Spitzenpositionen der Wirtschaft? Auch dort gilt es, das Evangelium zu leben und die Kirche präsent zu setzen.“
Aber die Appelle blieben meist ungehört ...
Heilige, Selige haben oft ein Patronat, gleichsam einen „Aufgabenbereich“... Wofür könnte die selige Hildegard Burjan künftig „zuständig“ sein?
Greshake: Offen gestanden, halte ich nichts von einer „arbeitsteiligen“ Welt der Heiligen.
Aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass diejenigen, die in Politik und Sozialwesen tätig sind, gern auf die nunmehr selige Hildegard Burjan blicken und sie um Fürbitte anrufen werden, ganz einfach, weil sie ihnen nahe steht.
Em. Universitätsprofessor Dr. Gisbert Greshake
lehrteu. a in Wien Dogmatische Theologie.
Schwesterngemeinschaft der Caritas-Socialis
Weitere Informationen zu "Der Sonntag" die Zeitung der Erzdiözese Wien