Weil derjenige, der am Kreuz stirbt, die Gewalt nicht nur erleidet, sondern sterbend seinen Peinigern zu vergeben vermag, löst er die Gewaltspirale auf.
Weil derjenige, der am Kreuz stirbt, die Gewalt nicht nur erleidet, sondern sterbend seinen Peinigern zu vergeben vermag, löst er die Gewaltspirale auf.
Warum „das“ Symbol der Christenheit die Gewalt überwindet: Józef Niewiadomski im Gespräch.
Warum ist das Kreuz heute für viele ein Stolperstein?
Niewiadomski: Das Symbol des Kreuzes repräsentiert Gewalt und deren Überwindung.
Oberflächliche Aufklärer reduzieren es auf die Dimension eines Folterinstruments, regen sich deswegen auf, dass es allgegenwärtig ist. Sie glauben, dass das Kruzifix Gewalt verherrlicht. Weil sie das Kreuz nur durch die Perspektive der Kreuzzüge sehen, weigern sie sich, die Tatsache zur Kenntnis zu nehmen, dass Christi Kreuz Gewalt überwindet.
Aber auch denjenigen, die dies noch zur Kenntnis nehmen, kann das Kreuz zum Stolperstein werden, weil der Weg der Überwindung der Gewalt sie in Rage versetzt.
Es ist ja der Weg der extremen Feindesliebe. Weil derjenige, der am Kreuz stirbt, die Gewalt nicht nur erleidet, sondern sterbend seinen Peinigern zu vergeben vermag, löst er die Gewaltspirale auf.
Sein Tod steht für die Kraft der Vergebung. Vielen Menschen stellt aber der Akt der Vergebung den eigentlichen Stolperstein dar; sie verharren lieber in der Haltung der Vergeltung und der Rache.
Warum wurde Jesus am Kreuz zum wichtigsten Symbol der Christenheit und nicht der Auferstandene?
Niewiadomski: Das Kreuz ist nur wegen der Auferstehung zum zentralen Symbol geworden. Die Auferstehung bestätigt das, was sich am Kreuz ereignet hat; sie führt es weiter und hält es auch lebendig.
Durch die Auferweckung des Sohnes hat ja der himmlische Vater die Hoffnung derjenigen, die auf göttliche Rache gewartet haben, zunichte gemacht. Von dieser Rache erzählt das „Gleichnis von den bösen Winzern“. Am Ostermorgen hat der Vater aber anders gehandelt, als der Weinbergbesitzer im Gleichnis. Er weckte den Gekreuzigten auf, und dieser erschien denjenigen, die ihn verraten haben, mit dem Friedensgruß.
Das Opfer wurde in sein Recht eingesetzt, den Tätern wurde die Schuld vergeben. Deswegen stellt die Auferweckung den Inbegriff der Versöhnung durch die tödliche Sackgasse hindurch dar.
Eine vom Kreuz abgelöste Auferweckung steht in Gefahr, zum isolierten Mirakel der Wiederbelebung zu verkommen. Von solchen Mirakeln ist die Religionsgeschichte voll. Außerdem stellte die Loskoppelung des Gekreuzigten vom Auferweckten die allererste „gnostische“ Gefahr dar: Die Menschen verdrängen gerne die Sackgassen.
Das Kreuz hält fest: Ohne den Weg des Kreuzes gibt es die Auferweckung nicht.
Wie kann die Theologie des Kreuzes so verkündet werden, dass sie annähernd verstanden werden kann?
Niewiadomski: Die „Kreuzigung“ ereignet sich doch am laufenden Band. Von außen her betrachtet gleicht ja die Kreuzigung Jesu jedem Sündenbockphänomen: Jesus stirbt als unschuldiges Opfer der Meute. In seinem Sterben vermag er sich aber aus dieser Position zu befreien, lässt sich nicht durch das äußere Geschick als Opfer definieren.
In der Situation der extremsten Gewalt vermag er etwas anderes zu leben: die Hingabe an seinen Vater. An diesem Punkt der Wandlung eines negativen Geschicks, das nicht mehr verändert werden kann, muss die Kreuzestheologie neu ansetzen.
„Sein Kreuz tragen“ heißt es gemeinhin. Welche Bedeutung hat das Kreuz im Leben der Christen?
Niewiadomski: Die 68-er Generation rebellierte! Der Leidenserfahrung begegnete sie nur mit einer Antwort: Das darf nicht sein! Deswegen tabuisierten die Theologen das Kreuz, die Künstler malten einen Jesus, der sein Kreuz zerbricht. Verweigerung, nicht die Annahme, hieß die Devise.
Und heute: Jung und gesund, können wir vom Konsum nicht genug bekommen. Angesichts der uns treffenden Schläge werden wir nur noch sprachlos. Und auch restlos einsam!
Unsere Großmütter und Großväter wussten, dass es im Leben Situationen gibt, wo nur eine freie Zustimmung zum Geschick dem Menschen eine Kraft geben kann, die größer ist als alle Proteste. Nicht Resignation steht am Ende dieses Weges, sondern eine innere Wandlung.
Eine große Theologin der 68-er Generation sagte auf ihrem Sterbebett, nur der stumme Blick auf den Gekreuzigten habe ihr in den letzten Wochen ihres Lebens das Gefühl der Isolation aufgebrochen.
Univ.-Prof. Dr. Józef Niewiadomski,
Institut für Systematische Theologie, Innsbruck.
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