Gott kennt viele Wege, um das Herz der Menschen zu berühren.
Gott kennt viele Wege, um das Herz der Menschen zu berühren.
Interview mit Bischof Joachim Wanke über Neu-Evangelisierung und Kirche als Missionskirche.
Angesichts der Glaubensverdunstung in Europa: Wie kann in Deutschland (natürlich auch in Österreich) den Menschen wieder ein Zugang zu Gott eröffnet werden? Was ist dabei die oberste Priorität?
Wanke: Zunächst gilt grundsätzlich: Der Gottesglaube ist nicht machbar. Er ist ein Geschenk, so ähnlich wie eine Freundschaft geschenkt, nicht gemacht wird.
Ob man so einfach von einer „Glaubensverdunstung in Europa“ sprechen kann? In gewisser Hinsicht durchaus, wenn man an eine vor allem traditionsgebundene Frömmigkeit denkt.
Aber sind z. B. jene Schriftsteller, die oftmals in ihren Werken mit ihrer religiös-kirchlichen Erziehung hart ins Gericht gehen, keine Gottsucher? Sie hocken wie der Zöllner Zachäus in den Bäumen, um Jesus zu sehen. Und sie können ihn so schlecht in unseren kirchlichen Milieus entdecken.
War Hiob, der an Gott kritische Fragen richtete, etwa nicht gläubig? Der christliche Glaube an Gott ist im Wandel, aber er schwindet nicht.
Vielleicht macht Europa derzeit eine Glaubenskrise epochalen Ausmaßes durch. Ist das eigentlich nach dem schrecklichen 20. Jahrhundert verwunderlich?
Wovon das Evangelium spricht, was es von uns fordert, was es verheißt: Das wird gegenwärtig neu entdeckt und – so hoffe ich – tiefer begriffen.
Gott kennt viele Wege, um das Herz der Menschen zu berühren. Er ist ohne uns nicht hilflos.
Aber an uns liegt es, das Evangelium unseres Herrn auf den Leuchter zu stellen – persönlich und gemeinschaftlich. Priorität hat: Bei mir selbst anfangen.
In Deutschland ist viel von der „Zeit zur Aussaat“ die Rede. Wie agiert eine Kirche als Missionskirche?
Wanke: Indem die Kirche nahe bei den Menschen ist und deren Ängste und Sorgen, aber auch Freuden und Hoffnungen teilt. Seelsorge lebt von einer Grundsympathie mit den Menschen. Zudem ist Kirche gut beraten, wenn sie bescheiden auftritt. Sie kann und soll Wegbegleiterin der Menschen sein. Wir können aus der Geschichte der Seelsorge lernen, wie das geht.
Die Kirche, von der ich hier rede, sind nicht allein Bischöfe und Priester. Diese haben ihren spezifischen Dienst an der Zurüstung der „Heiligen“ (nach Paulus sind das wir alle). Jeder kann auf seine Weise ein Zeuge des Evangeliums sein. Es gibt viele Möglichkeiten, hie und da durchblicken zu lassen, aus welchen Quellen man lebt, übrigens auch als suchender und fragender Christ.
Lex credendi – Lex orandi (das Gesetz des Glaubens ist das Gesetz des Betens): Wie können alle im Volk Gottes ihre liturgische und spirituelle Kompetenz vertiefen?
Wanke: Es gilt, eine Frömmigkeit einzuüben, die dem heutigen Leben standhält, also die Gottesgegenwart festzuhalten gerade dort, wo es sehr weltlich zugeht. Es gilt, religiöse Erbauung zu unterscheiden von dem, was Paulus als Mitte christlicher Frömmigkeit bezeichnet: „sich selbst als lebendiges und heiliges Opfer darzubringen, das Gott gefällt“ (Röm 12,1).
Eine Mitfeier der Eucharistie, die in mir nicht die Selbstsucht mindert, bleibt ohne Frucht. Nicht liturgische Ästhetik bringt uns Gott näher, sondern die Erfüllung seines Willens. Und keiner soll sagen, er wüsste nicht, was Gott von ihm will.
Es gibt einen „Megatrend“ Spiritualität, es gibt eine wachsende Sehnsucht nach dem Heiligen in der Gesellschaft: Wo und wie kann die Kirche da andocken? Was haben wir als Kirche schon?
Wanke: Der sogenannte Megatrend Spiritualität mag Ausdruck einer Suchbewegung sein, aber oft ist er auch nur Selbstsuche. Man vergesse nicht, dass viele sich diesen „Trend“ nicht leisten können. Sie haben andere Sorgen.
Jesus war im Umfeld seiner Zeit und ihren Frömmigkeitsformen die Umkehr vom eigenen Ich zu Gott und seiner Verheißung wichtig. Hilft uns eine spirituelle Erfahrung, Gott, den Vater unseres Herrn Jesus Christus, zu entdecken?
Was wir haben, ist die Heilige Schrift, die Feier der Sakramente, das Leben der Heiligen. Und wir haben den „inwendigen Lehrer“, den Heiligen Geist mit seinen Gaben, besonders jener der Unterscheidung der Geister.
Was braucht ein Katholik/eine Katholikin von morgen?
Wanke: Der Christ von morgen braucht im Blick auf seinen Glauben demütiges Selbstbewusstsein (weil das Wichtigste uns schon geschenkt ist), liebenswürdiges Profil (weil religiöse Talibane selber Gott spielen wollen) und gelassenes Engagement (weil die Kirche mehr ist als ein Menschenwerk).