Glaube ist auch ein bestimmtes Wissen: Dieses Wissen kann man beispielsweise erwerben durch das Studium der Heiligen Schrift.
Glaube ist auch ein bestimmtes Wissen: Dieses Wissen kann man beispielsweise erwerben durch das Studium der Heiligen Schrift.
Das Christentum setzte von Anfang an auch auf Bildung. Denn Glaube ist nicht nur Meinung, sondern ein bestimmtes Wissen. Thomas Söding, Bibelwissenschaftler in Bochum, über den Umstand, wie man den Glauben „erlernen“ kann.
Bildung ist in aller Munde. Aber was geht in den Köpfen und in den Herzen vor, wenn von Bildung gesprochen wird? Bildung ist nicht schon Kompetenzerwerb und Wissenserweiterung. „In der Bildungsdebatte geht es um das Bild des Menschen und um die Kultur des Sprechens, des Diskutierens und Reflektierens“, sagt der Bochumer Neutestamentler Thomas Söding.
Sein Buch „Das Christentum als Bildungsreligion. Der Impuls des Neuen Testaments“ (Herder-Verlag) richtet sich gegen jede noch so sublime Form des Fundamentalismus.
Es richtet sich ebenso klar gegen eine Position, die Religion aus dem Bildungsdiskurs heraushalten will. Sei es mit Berufung auf die Neutralität des demokratischen Staates oder der akademischen Wissenschaft, sei es mit der Anklage, die Kirche setzte auf die Unfreiheit der Menschen, ihre Bindung an ein Dogma, ihre Einpassung in ein rigides Moralsystem.
Von Anfang an steht das Christentum im Spannungsfeld der Fragen, ob Bildung zum Glauben oder Glaube zur Bildung gehört.
Das Christentum ist gewiss nicht nur eine Religion für die Gebildeten. Aber warum ist es trotzdem eine Religion, die auf Bildung setzt?
Söding: Der Glaube ist nicht nur Meinung, sondern ein bestimmtes Wissen. Dieses Wissen kann man erwerben, z. B. durch das Studium der Heiligen Schrift oder die bewusste Mitfeier der Eucharistie.
Die große Verheißung des Glaubens ist, dass Menschen zu sich selbst finden, wenn sie Gott und zum Nächsten finden. Das ist ein Bildungserlebnis par excellence. Herzensbildung trifft es vielleicht am besten.
Warum ist Bildung theologisch wesentlich und eine Kernaufgabe der Kirche?
Söding: Von Anfang an war es wichtig, dass die Gläubigen wissen, worauf sie ihr Leben gründen, und dass sie auch Zeugnis von dem ablegen können, was ihnen heilig ist. Für die Kirche ist diese Fähigkeit wesentlich. Sie beruht darauf, dass der Glaube von Generation zu Generation weitergegeben wird. Dazu müssen die Menschen sprachfähig werden. Die Formen haben sich im Laufe der Zeit stark verändert. Der Anspruch ist geblieben.
Wer Heilige Schriften hat, will wohl, dass sie auch gelesen und erklärt werden…
Söding:„Wer liest, soll verstehen“, heißt es im Markusevangelium (13,14). Das Verstehen ist aber anspruchsvoll. Es geht nicht in Kenntnissen über den Text und seinen Hintergrund auf (obwohl das nicht schadet).
Das Verstehen beginnt, wo das eigene Leben mit dem Evangelium verknüpft worden. Da beginnen die wahren Fragen nach Wichtig und Unwichtig, Lüge und Wahrheit, Aberglaube und Glaube. Die Bibelwissenschaft, der Religionsunterricht, die Predigt und die Katechese führen genau in diese Prozesse ein. Jedenfalls sollten sie es.
In Ihrem Buch „Das Christentum als Bildungsreligion“ bezeichnen Sie Titus 2,11-14 als „theologischen Schlüsseltext“. Warum?
Söding: Der Abschnitt wird im Weihnachtsgottesdienst gelesen. Sein Kernsatz lautet: Die Gnade erzieht uns. Das ist ungewöhnlich. Denn viele denken, die Gnade Gottes mache unfrei und inaktiv. Das Gegenteil ist der Fall: Sie befreit und aktiviert. Sie zielt auf die volle, die verständige Bejahung der Frohen Botschaft. Das ist eine gute Mitgift für Weihnachten und das ganze Jahr.
Warum ist das Christentum ein Glaube, der zu denken gibt?
Söding: Dass der Glaube das Gegenteil von Wissen sei, ist ein modernes Vorurteil. Tatsächlich hilft die Vernunft dem Glauben auf die Sprünge, weil sie ihn mit der Wahrheitsfrage konfrontiert, indem sie Religionskritik treibt.
Andererseits kann man nur im Glauben erkennen, dass Gott Liebe ist (1 Joh 4,8.16). Das ist der tiefste Ansatz, zu denken. Es ist der Ansatz, dass das Leben nicht sinnlos ist, sondern Sinn macht – den man erkennen soll.
Ist das Judentum, das ganz stark auf Bildung setzt, ein Vorbild für das Christentum?
Söding: Das Christentum ist ohne das Judentum weder historisch noch theologisch zu erklären. Das gilt erst recht für die Bildung. Lesen und Studieren sind eng mit dem Hauptgebot der Gottesliebe verbunden (Deuteronomium 6). Die Schriftgelehrsamkeit hat Paulus vor seiner Bekehrung gelernt und nach seiner Berufung in die Kirche eingebracht. Judentum und Christentum sind Geschwisterreligionen, auch in Bildungsfragen.
Warum braucht das Wachstum im Glauben Bildung?
Söding: Glaube braucht überhaupt Wachstum, nach innen und nach außen. Glaube, der nicht wächst, stirbt ab. Der Glaube wächst an seinen Aufgaben; er wächst in den Erfahrungen des Lebens; er wächst aus der Aneignung und Fortschreibung der Überlieferung. Wer im Glauben wächst, bildet sein Gottes- und sein Weltbild besser aus, aber auch sein Selbstbild. Wenn das alles in Verbindung steht, kann man von einer Bildung im Glauben sprechen.
Wie kann man den eigenen Glauben „erlernen“ bzw. festigen?
Söding: Glauben kann man nicht „machen“; er ist ein Geschenk Gottes, sonst wäre er nicht so kostbar. Aber den Glauben kann man trainieren. Es gilt das alte Rezept: Übung macht den Meister. Beten lernt am besten durch Beten – so wie man Singen am besten durch Singen lernt.
Freilich: Eine Erfolgsgarantie gibt es nicht. Der Glaube kennt Krisen. Wer sie verdrängt, verbaut sich die Zukunft.
Ein Dienst der Kirche besteht darin, „jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt“ (1 Petrus-Brief 3,15). Wie können die Katholik/inn/en auskunftsfähig gemacht werden?
Söding: Wichtig ist zunächst einmal, dass sie sich selbst trauen, ihrem Glauben eine Stimme zu geben – und dass ihnen dieses Rederecht in der Kirche auch öffentlich zugestanden wird.
Seien wir ehrlich: Für die meisten ist ihr Glaube ein Tabu. Und in vielen Köpfen herrscht immer noch der Gegensatz zwischen der lehrenden und der lernenden Kirche. Das ist nicht nur überholt; es ist von Anfang an falsch. Entscheidend ist die Qualität der religiösen Erziehung: zuhause, in der Schule und in der Gemeinde.
zur Person
Univ.-Prof. Dr. Thomas Söding
lehrt Biblische Theologie an der Ruhruniversität Bochum.
Wie beten? Was beten? Und werden wir wir erhört?
Wie bete ich? Eine Anleitung in zehn Schritten
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