Deckenfresko „Triumph der Ecclesia über die Häresie“, Kath. Pfarrkirche St. Jakobus in Feusisberg, 1785. Allegorie der siegenden katholischen Kirche mit Darstellung von sieben historischen Persönlichkeiten als verdammte Häretiker.
Deckenfresko „Triumph der Ecclesia über die Häresie“, Kath. Pfarrkirche St. Jakobus in Feusisberg, 1785. Allegorie der siegenden katholischen Kirche mit Darstellung von sieben historischen Persönlichkeiten als verdammte Häretiker.
Wo wäre das Christentum ohne seine Ketzer, ohne Um- und Abwege seines theologischen Denkens?
Mit Unterstützung des steirischen Sonntagsblattes bringen wir im Sommer einen Überblick über die wichtigsten Abweichungen und Neuinterpretationen des Glaubens – wohl oft auch aus hehren Motiven.
Die Auseinandersetzung um die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft um Jesus begann schon unter den Jüngerinnen und Jüngern, die mit ihrem Meister durch Galiläa zogen: „Lehrer, wir sahen jemand Dämonen austreiben in deinem Namen; und wir wehrten ihm, weil er uns nicht nachfolgt.“ (Mk 9,38) Jesus selbst wurde später vor dem Hohen Rat seiner Glaubensgemeinschaft als Gotteslästerer verurteilt. (Mk 14,53–64)
„Häresie“ (hairesis) ist der griechische Gegenbegriff zu „Orthodoxie“, rechter Glaube, und bedeutet zunächst Wahl, Entschluss, Überzeugung.
Ursprünglich wird das Wort nicht abwertend verwendet, sondern neutral als Bezeichnung einer bestimmten philosophischen Schule, einer bewusst gewählten Meinung oder religiösen Richtung. Im Christentum bekommt es bald einen negativen Klang.
In den neutestamentlichen Schriften wird es bei Lukas zuerst von Gegnern gebraucht und mit Unruhestiftern verbunden (Apg 24,5; ins Deutsche übersetzt mit „Sekte der Nazoräer“).
Paulus verwendet „Häresie“ in Zusammenhang mit Zwistigkeiten und Parteiungen innerhalb von Gemeinden (Gal 5,20; 1 Kor 11,18f.). Sie können immerhin dazu beitragen, einen besseren Weg zu finden. Verderbliche Lehrmeinungen werden in 2 Petr 2,1 als „Häresie“ beschrieben, Tit 3,10 warnt vor einem „Häretiker“ im Sinn von Irrlehrer. Somit erhält das Wort negative Konnotationen und es gibt erste Ansätze zur Häretikerpolemik.
Häresie wird zum abwertenden und ausgrenzenden Begriff für unerwünschte Abweichungen von der frühen Lehre der jungen Kirche.
Das erste Buch über christliche Formen von Häresie schrieb wahrscheinlich Justin der Märtyrer Mitte des 2. Jahrhunderts in Rom. Irenäus von Lyon war der wichtigste frühe Kirchenvater, der den Kampf gegen Häresien aufnahm und um 180 „Gegen die Häresien“ verfasste.
Oft sind uns Aussagen sogenannter Häretiker nur über die Schriften ihrer Gegner greifbar. Ihre eigenen Spuren wurden beseitigt. In der Auseinandersetzung mit „Irrlehren“ entstanden auch Glaubensbekenntnisse als Zusammenfassungen der „wahren Lehre“.
Im lateinischen Mittelalter kam es zur fast beliebigen Ausweitung des Häresiebegriffs auf Ansichten und Verhaltensweisen, die die Kirche kritisch in Frage stellten, besonders in religiösen Bewegungen wie den Katharern und Waldensern im 12. Jahrhundert.
Aus der Verballhornung von „Katharer“ leitet sich „Ketzer“ als Synonym für „Häretiker“ ab. Um 1200 wurde zur Ketzerbekämpfung das Herrschaftsinstrument der Inquisition eingerichtet, zunächst für Geistliche, bald danach auch für Laien. Ungehorsam wurde zur Häresie, und Häresieverdacht konnte lebensgefährlich werden. Am Leitbild apostolischen Lebens orientierte Gruppen etwa wurden als Abweichler und Ketzerinnen diffamiert, verfolgt und vernichtet.
Am Ausgang des Mittelalters stand Martin Luther, der für manche bis heute als „Ketzer“ gilt. Mit Luther kam es zur Kirchenspaltung, als die weltlichen Herrscher den Bann aus Rom nicht mehr als politisch verbindlich ansahen. Die Allianz zwischen Papst und Kaiser hatte ihre Vormachtstellung verloren.
Der Buchdruck war erfunden. Der römische Index Librorum Prohibitorum, das Verzeichnis der verbotenen Bücher, deren Lektüre als schädlich und Sünde galt, erschien um 1600 zum ersten Mal. Herausgegeben wurde das Verzeichnis von der Congregatio Sancti Officii, der Römischen Inquisitionsbehörde, die zur Abwehr des Protestantismus im 16. Jahrhundert gegründet wurde.
Ketzergeschichte ist immer auch Machtgeschichte. Wer bestimmt, wer als orthodox und wer als ketzerisch gilt? Kirchenpolitische Macht hat „Abweichler“ und „Häretikerinnen“ marginalisiert, ausgestoßen (exkommuniziert), verfolgt oder gar vernichtet. Ketzergeschichte ist auch eine Passionsgeschichte: eine Geschichte von Leidenschaften und Leiden.
von em. Univ.-Prof. Dr. Josef Weismayer lehrte Dogmatische Theologie an der Uni Wien
Der Begriff „Ketzer“ ist negativ besetzt. Ketzer ist einer, der in einer religiösen Gemeinschaft als Störfaktor erfahren wird. In der Katholischen Kirche bezeichnen wir als Ketzer einen, der in Fragen des Glaubens oder des christlichen Lebens vom Glaubensverständnis oder der Lebenspraxis der Kirche abweicht. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Irrlehrern, von Häretikern.
Ketzer stiften Unruhe, so die Überschrift dieser Einheit. Ist Unruhestiften immer negativ?
In der langen Reihe der Ketzer, die man in der Kirchengeschichte aufzählen kann, darf man die Motivation der einzelnen nicht nur negativ einschätzen. Hinter den Thesen, die man als Irrlehre bezeichnet, stehen oft echte und berechtigte Fragen. Das gilt besonders (aber nicht nur) für die ersten Jahrhunderte. Wie verhält sich die Gottesoffenbarung in Jesus Christus zur Gottesoffenbarung in Israel? Wie ist Jesus zugleich Gott und Mensch?
Nachfragen können gängige Kurzformeln aufbrechen. Ketzer können ein tieferes Verstehen unseres Glaubens anstoßen, sie können heilsame Unruhestifter sein!
Es muss auch Häresien, Parteiungen geben unter euch, damit sich heraus-stellt, wer sich unter euch bewährt.
Paulus an die Gemeinde in Korinth,
1 Kor 11,19
Glaubt doch nicht, dass Ketzereien durch ein paar hergelaufene kleine Seelen entstehen. Nur große Menschen haben Ketzereien hervorgebracht.
Augustinus, 354–430
Alle die, welche einen Unschuldigen dem weltlichen Arm zum Tode überantworten, handeln genauso wie die Hohenpriester, Schriftgelehrten und Pharisäer, die Jesus dem Pilatus übergaben.
Jan Hus, um 1372–1415,
verbrannt am Konzil von Konstanz
Es gibt noch etwas unendlich Absurderes und Untauglicheres als den Brauch, einen anderen wegen seiner Grundsätze zu verbrennen: nämlich davon auszugehen, dass die Grundsätze des anderen überhaupt keine Rolle spielen.
Gilbert Keith Chesterton, 1874–1936
Wo sich wirklich zwei Prinzipien treffen, die sich nicht miteinander aussöhnen können, da erklärt jeder den Andern für einen Narren und Ketzer.
Ludwig Wittgenstein, 1889–1951
Häresie nennt man die nach Empfang der Taufe erfolgte beharrliche Leugnung einer kraft göttlichen und katholischen Glaubens zu glaubenden Wahrheit oder einen beharrlichen Zweifel an einer solchen Glaubenswahrheit.
Codex Iuris Canonici 1983, c. 751
Jeanne d’Arc oder Johanna von Orléans (*1412 in Lothringen, † 1431 in Rouen). Vor der Inquisition war sie angeklagt, sie habe auf Stimmen dämonischen Ursprungs gehört, anstößig Männerkleider getragen und sich der kämpfenden Kirche widersetzt, insgesamt 70 schwere Vergehen und Sünden wie Zauberei und Hexerei, Blasphemie, Hochmut und kirchenspalterisches Verhalten begangen.
Jeanne d‘Arc wurde 1920 heiliggesprochen.
Giordano Bruno (*1548 in Nola, † 17. Februar 1600 in Rom) war ein italienischer Priester, Dichter, Philosoph und Astronom. Er wurde durch die Inquisition der Ketzerei für schuldig befunden und zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt.
Am 12. März 2000 erklärte Papst Johannes Paul II. nach Beratung mit einer theologischen Kommission, die Hinrichtung sei nunmehr auch aus kirchlicher Sicht als Unrecht zu betrachten.
Beim 3. Konzil von Konstantinopel (680/681) wurde auch Papst Honorius I. († 638) mit dem Kirchenbann belegt. Honorius I. wurde feierlich verflucht, seine Schriften wurden verbrannt.
Albigenser: Alternative Bezeichnung für die Katharer, abgeleitet von der südfranzösischen Stadt Albi. Gegen die Albigenser wurde von 1209–1229 der so genannte Albigenser-Kreuzzug geführt, der als einer der verheerendsten Kriege des Mittelalters gilt.
Arianismus: Nach dem Presbyter Arius benannte Lehre, nach der der Sohn nicht wesensgleich mit dem Gott-Vater ist, sondern nur wesensähnlich und Geschöpf. Wurde beim 1. Ökumenischen Konzil in Nicäa (325) verurteilt.
Markioniten: Gemeinden, die Mitte des 2. Jahrhunderts entstanden, als Markion aus der römischen Gemeinde ausgeschlossen wurde. Markion unterschied den Gott Jesu Christi streng vom Schöpfergott des jüdischen Volkes.
Monophysitismus: Christologische Position, die im Gegensatz zum 4. Ökumenischen Konzil in Chalzedon (451) vertrat, dass Christus nur eine einzige Natur (physis) hat, nämlich die göttliche.
Katharer: Cathari (oder Albigenser) war die Bezeichnung für eine von der römischen Kirche zu Ketzern erklärte Bewegung von Laien. Bei cathari handelt sich um die latinisierte Form von griechisch katharoi, die Reinen. Sie selbst nannten sich boni homines, gute Menschen.
Simon der Magier aus Apg 8,15–25 gilt als Prototyp des Ketzers. Gemäß den Petrusakten (Schriften aus dem 2. Jahrhundert) maßte er sich an, Sohn Gottes zu sein, und kündigte an, zu seinem Vater im Himmel aufzufahren. Gott stürzte ihn in die Tiefe.
Waldenser: 1173 vom Lyoner Kaufmann Valdes gegründete Predigergemeinschaft. Seit dem 16. Jahrhundert ist sie protestantische Kirche und besteht als einzige der verfolgten mittelalterlichen Glaubensgemeinschaften noch heute.
weitere Informationen zu
E-Mail-Adresse: redaktion@dersonntag.at