Worms, Lutherdenkmal: Petrus Valdes, Sitzfigur von Ernst Rischel, 1868,
Worms, Lutherdenkmal: Petrus Valdes, Sitzfigur von Ernst Rischel, 1868,
In diesem Fall machten sich Laien auf, mit ihrem apostolischen Leben das Ideal der Urkirche zu erneuern.
Eine Gruppe der im 12. Jahrhundert entstandenen Armutsbewegungen waren die Waldenser. Valdes zählte zu den vornehmen Kaufleuten der Stadt Lyon, ihm gehörten u. a. zwei Backstuben. Um 1175 entschloss er sich zu einem Leben als Jünger Jesu. Anlass dafür war ein Lied über das Leben des heiligen Alexios, das ein fahrender Sänger auf dem Markt vortrug:
Ein reicher junger Mann gibt seine Karriere auf, wird Bettler und vollbringt Wunder. Valdes sorgte für den Unterhalt seiner Frau und seiner Töchter, bevor er sie verließ.
Er verkaufte seinen Besitz, gab das Geld den Armen und wurde Wanderprediger. In Lyon und Umgebung fand er bald begeisterte Zuhörerinnen und Zuhörer.
Valdes und diejenigen, die sich ihm anschlossen, wurden auch „Arme von Lyon“ genannt. Beim Dritten Laterankonzil 1179 wurde ihre Lebensform bestätigt, im Unterschied zur Verdammung der Katharer am selben Konzil.
Die Waldenser bekamen die Zusage, in Armut leben und zudem predigen zu dürfen, wenn es die jeweils lokalen Kirchenmänner erlaubten.
Als der Bischof von Lyon die von seinem Vorgänger gegebene Zusage zurückzog, widersetzte sich Valdes mit dem biblischen Wort: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg 5,29).
Der Bischof verstand das als Ungehorsam, er verbot Valdes und seiner Gruppe Predigt und Sakramente und wies sie aus Lyon aus. Am Konzil von Verona 1184 wurde dann gegen die Waldenser verfügt, dass sie mit dem Kirchenbann belegt würden, wenn sie ohne Erlaubnis predigten.
Die Waldenser gewannen im Lauf der nächsten Jahrzehnte viele Anhänger und Anhängerinnen in Südfrankreich, Oberitalien und den deutschsprachigen Gebieten, so auch im Donauraum. Die Zahl der österreichischen Waldenser um 1315 wird auf 80.000 geschätzt.
Gegen die Waldenser wurde zunächst mit Predigt und Polemik, später mit Inquisition und Verfolgung vorgegangen. In Hartberg in der Oststeiermark gab es im Februar 1401 einen Inquisitionsprozess, bei dem drei Waldenserinnen der weltlichen Obrigkeit zur Verbrennung übergeben wurden: „die Wendel, die Els Persteyner und die Peters.“
Als einzige der verurteilten Ketzerbewegungen überstanden die Waldenser das Mittelalter, in entlegenen Gegenden und unteren Gesellschaftsschichten. 1532 schlossen sie sich der schweizerischen Reformation an. Die größten waldensischen Gemeinden gibt es heute in Italien, Argentinien und Uruguay.
Mitbürger und Freunde. Ich habe nicht, wie ihr glauben möget, den Verstand verloren, sondern ich räche mich an meinen Feinden, die mich so zu ihrem Sklaven gemacht haben, dass ich mehr an den Gelderwerb als an Gott gedacht habe …
Ich weiß, dass mich viele verurteilen, da ich all das in der Öffentlichkeit gemacht habe. Aber ich habe das sowohl meinetwegen als auch euretwegen getan; meinetwegen, um denen, die mich reich sahen, zu zeigen, dass mir an Geld nichts mehr gelegen ist, euretwegen, damit ihr lernt, euch auf Gott zu verlassen und nicht auf Reichtum zu hoffen.
Valdes (um 1140 – nach 1206) zugeschrieben
Die verborgenen Geheimnisse des Glaubens sollen nicht allen Menschen an allen Orten erklärt werden. Denn solchermaßen ist die Tiefe der göttlichen Schrift, dass nicht nur der Verstand der Einfachen und Ungebildeten, sondern sogar derjenige der Klugen und Gelehrten bei dem Versuch, sie zu verstehen, keineswegs völlig ausreicht.
Papst Innozenz III. (Pontifikat 1198–1216)
Auf Veranlassung Gottes, der niemals resigniert angesichts der Sünden des Menschen, öffnen sich neue Wege, um unsere Geschwisterlichkeit zu leben; dem können wir uns nicht entziehen.
Ich bitte euch von Seiten der katholischen Kirche um Vergebung für all jene unchristlichen, ja unmenschlichen Handlungen und Einstellungen, die wir in der Geschichte, (vermeintlich) im Namen Christi, gegen euch gerichtet haben. Im Namen Christi, vergebt uns!.
Papst Franziskus bei seinem Besuch in der Waldenserkirche in Turin im Juni 2015
von em. Univ.-Prof. Dr. Josef Weismayer lehrte Dogmatische Theologie an der Uni Wien
Macht und Reichtum der Kirche haben das Hochmittelalter geprägt. Das provozierte anderseits die Besinnung auf das biblische Ideal der „armen Kirche“.
Der für diese Bewegung inspirierende Bibeltext war die Aussendungsrede Jesu für die Apostel bei Mt 10. Armut und Verkündigung waren die Schwerpunkte dieser „vita apostolica“.
Man kann für das 12. und 13. Jahrhundert von einer großen Armutsbewegung in der Kirche sprechen. In den sogenannten Bettelorden (Franziskaner, Dominikaner, Karmeliten, Serviten) hat sich diese Strömung auch in institutioneller Form manifestiert.
Valdes, ein reicher Kaufmann aus Lyon, verspürte die Berufung zu einem Leben in Armut und als Verkündiger. Die Lebensform dieser „Armen von Lyon“ wurde vom 3. Laterankonzil 1179 anerkannt, auch die Predigt wurde ihnen erlaubt, aber die „Glaubenspredigt“ im engeren Sinn war an die Erlaubnis des zuständigen Bischofs gebunden. Daraus entstanden Konflikte, weil sich die Anhänger nicht an diese Bedingung gebunden fühlten.
Man hat in diesen Auseinandersetzungen oft die Waldenser und die Katharer in einen Topf geworfen, aber die Waldenser bekannten sich zum Glauben der Kirche. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts hat sich die Gemeinschaft aber der Genfer Reformation angeschlossen.
Die Waldenser konnten sich trotz Verfolgung vor allem im nordwestlichen Italien, in Savoyen und im Piemont halten. Im Zug der politischen Einigung Italiens zu Ende des 19. Jahrhunderts konnten sie sich als christliche Kirche auch in größerem Rahmen entfalten.
Leuchter mit Umschrift Lux lucet in tenebris „Das Licht leuchtet in der Finsternis“
Fundament des Glaubens war für Valdes allein die Bibel. Das Ergriffensein vom Evangelium charakterisierte den Gründer und seine Bewegung. Die Laien wurden von der Kraft des biblischen Wortes bewegt und suchten aus dem Geist des armen Jesus zu leben.
Valdes hatte als Erster zwei Geistliche beauftragt, Teile der Bibel aus dem Lateinischen in die provenzalische Volkssprache zu übersetzen. Das ließ er sich einiges kosten. Er gab dann seinen Besitz auf, ging selbst auf die Straßen und fing zu predigen an.
Zentrales Element der religiösen Bewegung von Valdes war die Wortverkündigung. Die Prediger und Predigerinnen wurden sorgfältig auf das Predigen vorbereitet. Sie kannten große Teile des Neuen Testaments auswendig; manche auch Teile des Alten Testaments, wie die Psalmen oder das Buch Hiob.
Nach ihrer Ausbildung galten sie in den deutschsprachigen Ländern als magistra bzw. magister und wurden wie die Jünger Jesu zu zweit ausgesandt (Mk 6,7). Das Predigtrecht galt für Männer und Frauen gleichermaßen. Genannt wurden sie „Brüder“ und „Schwestern“.
Valdes wollte keinen Bruch mit der Kirche, sondern Reform. Dass er in der Kirche auf Widerstand stieß, war für ihn selbst unerwartet. Er versuchte, auf Lücken einzugehen, die die Kirche im Leben des Volkes offen ließ.
Für Rom waren die Waldenser bald Abtrünnige. Apostolisch konnten sie nicht sein, wenn sie göttliches Gericht gegen den kirchlichen Richterspruch des Predigtverbots für Laien anriefen. Nach der Verurteilung wandte sich die waldensische Bewegung zunehmend gegen die Kirche.
Ein Irrtum der Kirche bestand nach Auffassung der Waldenser darin, dass sie apostolische Vollmacht beanspruchte, ohne selbst ein apostolisches Leben zu führen. Wenn die Kirche verbot, Gottes Wort zu verkünden, sei sie selbst vom Evangelium abgefallen.
Das Handbuch des so genannten „Passauer Anonymus“ aus dem 13. Jahrhundert betont, dass es unter Waldensern keine Hierarchie gebe. Alle in der Gemeinde seien gleichberechtigt und hätten gemeinsamen Besitz.
Ihr Leben war durch eigenes Handwerk finanziert. Schlichte Kleidung und bloße Füße in Sandalen waren Kennzeichen der Prediger und Predigerinnen. Diese äußerliche Erkennbarkeit wurde unter dem Druck der Verfolgung aufgegeben.
Der Anonymus meinte, Waldenser könnten gerade deshalb entdeckt werden, weil sie besser als ihre Nächsten seien.
Die Ernsthaftigkeit und glaubhafte Lebensführung der Waldenser überzeugte viele Christinnen und Christen. Es kam zu stabilen Gemeinden über Generationen hinweg. Die Waldenser sprachen vor allem einfache Menschen in Stadt und Land an, Handwerker, Kleinbauern, Mägde und Knechte, Hirten und städtische Arme.
Der Ausschluss von den Sakramenten durch die Kirche forderte geradezu dazu heraus, die Sorge um die Sakramente in die eigene Hand zu nehmen. Missstände im katholischen Klerus hinderten Menschen auch daran, bei ihm Zuflucht zu suchen.
Als Ersatz kam etwa die Beichte vor Laien (wieder) auf – der Auftrag vom Binden und Lösen aus dem Evangelium. Die Waldenser feierten auch Abendmahl in entlegenen Gegenden.
Für die Waldenser wurde der Klerus schlichtweg überflüssig. Das unermüdliche Wirken und die vorbildhafte Lebensweise der Predigerinnen und Prediger ließ die Waldenserbewegung bis in die Reformationszeit überdauern und lebendig bleiben – und darüber hinaus.
Tempio Valdese, Torre Pellice, südwestlich von Turin Turin. Hierher war Papst Franziskus im Juni 2015 eingeladen.
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