1903 wurde Pius X. Papst. 1907 erschien die Enzyklika mit der er gegen den von ihm so genannten „Modernismus“ vorging. Loisy wurde im März 1908 exkommuniziert.
1903 wurde Pius X. Papst. 1907 erschien die Enzyklika mit der er gegen den von ihm so genannten „Modernismus“ vorging. Loisy wurde im März 1908 exkommuniziert.
Seine Rechtfertigung der katholischen Kirche trug ihm selbst die Exkommunikation ein.
Der schmächtige und begabte Bauernsohn Alfred Loisy stammte aus der Haute-Marne in Frankreich. Schon während seines Studiums befriedigte ihn die zu seiner Zeit übliche neuscholastische Theologie nicht, und er lernte Hebräisch. Er studierte am neugegründeten Institut Catholique in Paris und wurde dort Professor für Bibelwissenschaften. Außerdem studierte er Assyrologie und Ägyptologie.
Die Index-Kongregation in Rom, die den Index der verbotenen Bücher erstellte, nahm Loisy ins Visier, als 1892 seine Hiob-Übersetzung mit Einleitung erschienen war. Die Gutachter befanden, dass er zu jenen Bibelauslegern in Deutschland, Frankreich und England zählte, die ihrer Ansicht nach einen „Krieg“ gegen die Heilige Schrift führten und die Autorität von Schrift und Lehramt untergruben.
1894 musste Loisy seine Professur aufgeben und wurde Hausgeistlicher in einem dominikanischen Mädchenpensionat in Neuilly-sur-Seine. Als Religionslehrer stellte sich ihm dort die Frage nach Aktualisierung und lebenspraktischer Relevanz der christlichen Lehren neu.
Loisys berühmtestes Werk erschien 1902. Mit Evangelium und Kirche verteidigte er die „notwendige Institution“ der katholischen Kirche und zeigte die Notwendigkeit der Entwicklung der christlichen Lehre im Lauf der Geschichte auf. Damit löste er heftige Diskussionen aus.
1903 wurde Pius X. Papst. Vor Weihnachten wurden fünf Werke Loisys auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt. Aussagen von Loisy wurden 1907 im Dekret Lamentabili verurteilt. Außerdem erschien 1907 die Enzyklika des Papstes, mit der er gegen den von ihm so genannten „Modernismus“ vorging.
Loisy wurde im März 1908 exkommuniziert. Der Ausgeschlossene ging später nicht einmal mehr zu Begräbnissen naher Verwandter, um einen Skandal zu vermeiden.
Loisy übernahm 1909 einen Lehrstuhl für Religionsgeschichte am renommierten Collège de France. Er befasste sich weiter mit den altorientalischen Religionen, dem Judentum und dem frühen Christentum.
1915 beklagte er das Versagen der Kirchen im Krieg, 1937 schrieb er über die humanitären Herausforderungen durch den Nationalsozialismus.
Loisy war zeit seines Lebens ein asketischer Gelehrter. Nach seiner Emeritierung zog er in seine ländliche Heimat zurück, züchtete Hühner und verfasste weitere Werke, die allesamt auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt wurden.
1940 starb er während der deutschen Invasion in Frankreich – der dritten, die er erlebte.
Die armen alten Glaubensgeheimnisse, über welche die Lehrer der Jahrhunderte Blut und Wasser geschwitzt haben, erregen nicht das mindeste neugierige Interesse in den jungen Köpfen. … Was hier gilt, ist das Gefühl des Guten.
Alfred Loisy als Religionslehrer in einem Mädchenpensionat
Es ist beispielsweise sicher, dass Jesus nicht im Voraus die Verfassung der Kirche wie eines auf Erden begründeten und zur Fortdauer auf eine lange Reihe von Jahrhunderten bestimmten Staates geregelt hat.
Aber etwas, das … seiner authentischen Lehre noch viel ferner liegt, ist die Idee einer unsichtbaren Gemeinde, gebildet für alle Zeiten durch jene, die in ihrem Herzen den Glauben an die Güte Gottes trugen.
Man hat gezeigt, dass sich im Evangelium Jesu schon ein Ansatz sozialer Gliederung vorfand und dass auch das Reich Gesellschaftsform annehmen sollte. Jesus hatte das Reich angekündigt, und dafür ist die Kirche gekommen. Sie kam, indem sie ihre schon im Evangelium erkennbare Form verbreiterte.
Alfred Loisy in Evangelium und Kirche
[Loisy] ist das Idol und das Haupt einer Schule, deren Kühnheit von Tag zu Tag wächst … Alle hier vorgestellten Häresien können seit mehreren Jahren ungestraft um sich greifen … Die guten Katholiken sind verwirrt …
Ich räume ein, dass niemals in der Kirche Gottes die Gefahr so ins Äußerste ging. Um sie abzuwenden, scheint mir eine simple Aufnahme dieses Werkes in den Index der verbotenen Bücher viel zu wenig zu sein.
Louis Billot, SJ., in seinem Gutachten zu Evangelium und Kirche
von em. Univ.-Prof. Dr. Josef Weismayer lehrte Dogmatische Theologie an der Uni Wien
Alfred Loisy (1857-1940) konnte sich nicht für die neuscholastische Theologie erwärmen, er war von der Bibel fasziniert, schon als Student hat er Hebräisch
gelernt, um die alttestamentlichen Schriften im Original lesen zu können. Es ging um die Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift.
War sie auch in ihren geschichtlichen und naturwissenschaftlichen Aussagen irrtumsfrei? Das 2. Vatikanische Konzil hat in seinem Lehrdokument über die göttliche Offenbarung erklärt, dass in der Heiligen Schrift Gott „durch Menschen nach Menschenart“ gesprochen habe.
Die inspirierten Verfasser der heiligen Bücher haben „sicher, getreu und ohne Irrtum die Wahrheit gelehrt, die Gott um unseres Heiles willen aufgezeichnet haben wollte“.
Das war der Zugang von Loisy. Aber bis zu der Sicht des 2. Vaticanums war noch ein langer Weg.
Die 1902 erschienene Schrift „L‘ Évangile et l’Église“ löste eine heftige Diskussion in der katholischen Kirche aus. Loisy betonte, dass sich im Evangelium nicht schon eine „Verfassung“ der Kirche finde, aber er stellte sich auch gegen die Vorstellung, die Kirche sei eine unsichtbare Gemeinde aller, die in ihrem Herzen den Glauben an die Güte Gottes tragen, wie dies der evangelische Theologe Adolf von Harnack lehrte.
Zur Zeit Pius X. sah das Lehramt in den Thesen Loisys und anderer die Gefahr des „Modernismus“. Im Dekret „Lamentabili“ (Juli 1907) und in der Enzyklika „Pascendi“ (September 1907) wurden „Irrtümer“ verurteilt.
Loisy verweigerte die Unterschrift und wurde schließlich 1908 exkommuniziert. Er beendete seine akademische Laufbahn als Religionshistoriker und zog sich in seinem Ruhestand in seine ländliche Heimat zurück, mit Gartenarbeit und Hühnerzucht beschäftigt. Er starb 1940 mitten in den Wirren der deutschen Invasion in Frankreich.
Es gab keinen Dialog, sondern nur versteinerte Positionen. Es brauchte Jahrzehnte, bis die Kirche die berechtigten Anliegen erkannte und sich zu eigen machte. Loisy war kein „Erzketzer“, aber ein letztlich heilsamer Unruhestifter des Glaubens.
Alfred Loisy, (1857–1940).
Der Exeget Alfred Loisy war einer der Hauptvertreter des theologischen Modernismus in Frankreich. Mit der Veröffentlichung seines Werks L’Évangile et l’Église (Evangelium und Kirche) 1902 löste Loisy die größte kirchenpolitisch-historisch-theologische Debatte in der katholischen Kirche nach dem 1. Vatikanischen Konzil aus. Sie sollte auch die folgenden Jahrzehnte prägen.
Loisys Werk war eine Verteidigung der römisch-katholischen Kirche. Nach Meinung mancher Zeitgenossen hätte sie katholischer nicht sein können. Loisy berief sich auf das alte Prinzip der Tradition. Für ihn bedeutete sie die jeweilige Interpretation der Offenbarung durch die Kirche im Laufe der Geschichte. Loisys Rechtfertigung der Kirche stand im Gegensatz zu einem Glauben, dass der Heiland persönlich die hierarchisch gegliederte Kirche gegründet und die Sakramente eingesetzt hätte.
Auch in der Bibelauslegung widersprach Loisy der herkömmlichen Auffassung von der absoluten Wahrheit der Heiligen Schrift. Loisy sah ihre Wahrheit auf ihre geschichtlichen Kontexte bezogen. Biblische Texte gingen aus göttlich-menschlicher Zusammenarbeit zu einer bestimmten Zeit hervor. Das sei bei der Interpretation zu berücksichtigen.
Die Behauptung, dass die ersten Kapitel der Genesis nicht wörtlich-historisch zu lesen seien, bedeutete für die Glaubenshüter eine unverzeihliche Provokation. Loisy hingegen dachte, die Kirche würde die historisch-kritische Methode in der Exegese begeistert aufnehmen, weil sie viel klarer als die neuscholastische Theologie das Wesen des Glaubens ausdrücken könnte.
Im Gespräch mit zeitgenössischer Philosophie und Geschichtswissenschaft suchten Theologen wie Loisy um 1900 nach Antworten auf die Moderne. Der Papst reagierte mit Abwehr. Absicht des Dekrets Lamentabili war es, die u. a. von Loisy entfachte Diskussion in Frankreich zu unterbinden.
Die Enzyklika Pascendi dominici gregis beschrieb, was die Kirche unter „Modernismus“ verstand. Kennzeichen dieser Geistesströmung seien falsche intellektuelle Neugier und Hochmut. Die Enzyklika richtete sich gegen historisch-kritische Methoden und gegen jegliche Kritik an der Neuscholastik.
Die beiden römischen Dokumente bilden den Höhepunkt des Antimodernismus. Die neuen Perspektiven zur Jahrhundertwende wurden von der Kirche als Irrlehren, Bedrohung und Zerstörung von Kirche und Glauben rigoros zurückgewiesen. Die Notwendigkeit oder Chance dieser Perspektiven wurde übersehen oder nicht verstanden. Der vom Papst so genannte „Modernismus“ galt nicht als einzelne Häresie, sondern als häretisches „Sammelbecken aller Irrtümer“.
1910 verordnete der Papst allen Amtsträgern und Theologen den „Antimodernisteneid“. Neben Alfred Loisy galt der irisch-englische Konvertit George Tyrrell (1861–1909) als Erzketzer des Modernismus. Verdächtig war im Grunde jeder „moderne Mensch“, der sich nicht mehr allein von der Kirche als Hüterin der Wahrheit leiten ließ, sondern auch von eigener Erfahrung, von autonomer Moral und vom Wissen um Geschichtlichkeit.
Die Anregungen des Modernismus wirkten bei allen Einschränkungen weiter. In Frankreich bildete sich die so genannte Nouvelle théologie, neue Theologie, heraus. Im 2. Vatikanischen Konzil bestimmte die Kirche ihr Verhältnis zur Welt neu und forderte dazu auf, die „Zeichen der Zeit“ zu lesen.
Nach dem Konzil wurden der Index der verbotenen Bücher und der Antimodernisteneid abgeschafft.
weitere Informationen zu
E-Mail-Adresse: redaktion@dersonntag.at