Die Salvatorianerin Sr. Dr. Melanie Wolfers sprach am 22. Mai beim Katholischen Akademikerverband (KAV) in Wien zum Thema: „Im Anfang war das Wort. Sind wir heute sprachlos geworden?”
Die Salvatorianerin Sr. Dr. Melanie Wolfers sprach am 22. Mai beim Katholischen Akademikerverband (KAV) in Wien zum Thema: „Im Anfang war das Wort. Sind wir heute sprachlos geworden?”
Warum die religiöse Rede auch heutige Erfahrungen braucht und warum wir so oft „aus dem Häuschen” sind. Sr. Melanie Wolfers SDS im Gespräch.
Sind wir für das Wesentliche sprachlos geworden – und das trotz der beinahe Rund-um-die-Uhr-Kommunikation in unserer Gesellschaft?
Sr. Melanie Wolfers SDS: Was ist das Wesentliche? Auf diese Frage wird jeder eine andere Antwort geben. Wichtig ist zuallererst, dass wir uns überhaupt diese Frage stellen. Und das hat ganz viel damit zu tun, dass wir aufmerksam sind. Dass wir fähig sind, innere Vorgänge wahrzunehmen. Dass wir spüren, was etwa die Begegnung mit einem Menschen oder ein Ereignis in uns auslösen und uns fragen, welche Botschaft darin liegt. Unsere Gesellschaft fördert diese Achtsamkeit auf das Leise nicht.
Im Gegenteil: Die Fülle an Kommunikationsmedien verführt uns, zuviel im Außen zu leben. Wir sind sozusagen oft „aus dem Häuschen”, wir sind außerhalb von uns selbst. Wir sind aber selten bei uns selbst daheim. Medienfasten – etwa am Sonntag nicht ins Internet zu gehen – kann eine Weise sein, dieser Tendenz entgegenzusteuern. Der Weg zu Gott ist immer auch ein Weg zu mir selbst, ein Weg des Stillwerdens. Zugleich lässt mich dieser Weg sensibel werden für den anderen, für das, was ihn bewegt und was er braucht. Wenn unsere Hörfähigkeit für Wesentliches wächst, dann werden wir auch Worte dafür finden.
Wie nahe dran ist die traditionelle religiöse Rede beim Leben der Menschen? Oder sind wir mittlerweile schon weit von ihnen entfernt?
Sr. Melanie Wolfers SDS: Ich arbeite in der Seelsorge vor allem mit jungen Menschen. Hier nehme ich eine ganz große Kluft wahr zwischen den Lebenserfahrungen und dem „Zungenschlag” der jungen Leute und der Sprache in Verkündigung und Liturgie.
Wie kann dann diese Kluft überwunden werden?
Sr. Melanie Wolfers SDS: Ein erster Punkt ist, dass wir auf diese Kluft aufmerksam werden und sie uns eingestehen. Mir hilft, wenn ich bei einem Gottesdienst versuche, mit „fremden Ohren” zu hören, also mit Ohren von Freunden, die mit Kirche und Glauben nicht vertraut sind. Dann fällt mir auf, dass manches kaum verständlich ist. So wurde etwa in einem Gottesdienst vom „Verdienst” der Heiligen gesprochen. Leicht schmunzelnd fragte ich mich: In welche Gehaltsklasse fallen Heilige? Oder denken Sie an altertümliche Redewendungen mancher Gebete in der Liturgie … Beim Zuhören mit fremden Ohren werden wir auf die kirchliche Binnensprache aufmerksam, die sich oft nur mit viel Vorerfahrung und persönlicher Übersetzungsarbeit erschließt. Um die Kluft zu überwinden, gilt es dann, wie Paulus auf die „Marktplätze” zu gehen.
Wer kann dann zu einer neuen, verständlichen Sprache beitragen?
Sr. Melanie Wolfers SDS: Nur wenn wir in Bildern heutiger Lebenswelten von Gott sprechen, werden wir sprachlich eine Brücke schlagen zwischen den Menschen und Gott. Und darauf kommt es an! Da können wir ganz viel von Dichtern lernen. Kurt Marti sagte einmal: „Vielleicht hält sich Gott einige Dichter.” Denn die Lyrik ist keine Sprache der exakten Definition, sondern eine Sprache, die Räume öffnet für eigene Erfahrungen, für Bilder, die im eigenen Inneren wachgerufen werden. Dann wird eine Brücke geschlagen zwischen dem Gehörten und dem, was meine Existenz ausmacht. Eine solche Sprache ist auch erfahrungsbezogener. Und das halte ich für ganz wichtig: Dass die Erfahrungen der Menschen – ihre Glücksgefühle und bohrenden Fragen, ihre Glaubenserfahrungen und spirituellen Wünsche – stärker integriert werden. Die religiöse Sprache in Liturgie und Verkündigung kann nicht einfach die Aufgabe von einigen Spezialisten sein. Eine reiche religiöse Sprache lebt davon, dass sie vom gesamten Volk Gottes, von Frauen und Männern in den verschiedensten Lebensformen, geprägt wird.
Wie kann der Glaube heute so vermittelt werden, dass er auch verstanden wird?
Sr. Melanie Wolfers SDS: Ein wichtiges Element scheint mir die eigene innere Haltung zu sein. Kulturelle Umbrüche wie etwa die wachsende Entchristlichung stellen uns vor eine spirituelle Grundfrage: „Glaube ich, dass Gott ein Gott der Geschichte ist, der uns in dieser Zeit entgegenkommt? Sehe ich die Gegenwart primär unter einem negativen Vorzeichen? Oder vertraue ich darauf, dass Gottes Geist mir etwas zu sagen hat in den Menschen, denen ich begegne, sowie in den kulturellen und wissenschaftlichen Entwicklungen?” Dazu gehört dann auch, dass wir den Glauben neu durchdenken und verantworten im Horizont unseres naturwissenschaftlich geprägten Weltbildes.