Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Hochfest Maria Empfängnis am 8. Dezember 2013.
Heute geht es ausnahmsweise nicht um das Evangelium des Tages, sondern um einen Abschnitt aus dem Alten Testament, aus dem Buch Genesis, ganz am Anfang der Bibel. Die Geschichte von Adam und Eva wird auch das "Urevangelium" genannt. Ich lade dazu ein, diesen berühmten Text ein wenig zu bedenken. Er enthält drei wichtige Botschaften.
Die Geschichte vom "Sündenfall" erzählt in bildlicher Form, wieso es in der Welt so "drunter und drüber" geht, warum es so viel Hass und Streit gibt, und wo es in all dem doch immer noch einen Hoffnungsschimmer gibt.
Die Bibel beginnt ganz positiv: "Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde." Nach jeder Etappe des Schöpfungswerkes (dargestellt in den "Sechs Tagen" der Erschaffung von allem) heißt es: "Und Gott sah, dass es gut war." Nach der Erschaffung des Menschen heißt es sogar: "Und Gott sah, dass alles sehr gut war." Die erste Botschaft der Bibel heißt also: Die Welt ist gut. Sie ist von Gott gewollt und geliebt. Daher ist es auch gut, auf der Welt zu sein. Das zeigt die Bibel am ersten Menschenpaar: Sie leben in Harmonie mit sich selbst, miteinander und mit Gott. Bildlich gesagt: Sie waren nackt und schämten sich nicht deswegen. Die Welt war (noch) in Ordnung.
Woher kommt es dann, dass so vieles in unserer Welt in Unordnung ist? Woher kommt das Böse? Woher Leid und Tod? Die zweite Botschaft der Bibel lautet: Etwas ist daneben gegangen. Nicht weil Gott die Welt schlecht konstruiert hätte, sondern weil er seinen Geschöpfen die Freiheit gegeben hat. Gott ist dieses Risiko eingegangen, weil er mit seinen Geschöpfen Freundschaft haben wollte. Mit Marionetten geht das nicht. Liebe und Freundschaft gibt es nur zwischen freien Wesen. Aber wo Freiheit ist, da gibt es auch Missbrauch der Freiheit. Liebe kann angenommen oder abgelehnt werden. Freundschaft braucht Vertrauen und Gemeinsamkeit.
Was ist daneben gegangen? Wieder spricht die Bibel in Bildern. Die Schlange hat in das Herz des Menschen Misstrauen gesät: Gott will euch gar nicht gut! Er will euch dumm und klein halten! Wenn ihr von dem Baum esst, werdet ihr wie Gott sein. Das taten sie, aber sie wurden nicht wie Gott, sondern bloß nackte Menschenkinder. Von jetzt an – und bis heute – geht ein Riss durch den Menschen. Die Harmonie zwischen Leib und Seele ist gestört, die Triebe treiben uns um, das Verhältnis von Mann und Frau ist bei weitem nicht so harmonisch, wie wir es uns wünschen. Die Welt liegt im Argen, im Kleinen wie im Großen. Wo wir hinschauen: Konflikte, Kummer, Krieg. Und überall steht am Ende der Tod.
Doch hier setzt die dritte Botschaft der Bibel an. Die Not ist offensichtlich, aber sie hat nicht das letzte Wort. Der Tod ist unausweichlich, aber er ist nicht der letzte Sieger. Wie sagen wir meist nach einem schmerzlichen Todesfall? "Das Leben geht weiter." Die Bibel sagt mehr: "Das Leben bleibt siegreich." Sie verharmlost die Dinge nicht. In ihrer bildlichen Sprache sagt sie es klar und deutlich: Das Leben bleibt ein Kampf. Die Schlange, Symbol des Bösen und des Todes, kämpft gegen die Frau, die neues Leben gebiert. Es geht nicht ohne Wunden ab. Aber die Frau bleibt Siegerin. Eva, das heißt Leben, ist "die Mutter aller Lebendigen".
Heute ist das Fest Maria Empfängnis. Neun Monate vor Maria Geburt (8. September) feiert die Kirche den Lebensanfang Marias. Sie wird Jesus gebären. Sie wird die Mutter Christi sein. Ihr Sohn wird diesen Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Leben und Tod, endgültig entscheiden. Für immer bleibt das große Geschenk Gottes, das Leben, stärker als Not und Tod.
Nachdem Adam von Baum gegessen hatte, rief Gott, der Herr, ihm zu und sprach: Wo bist du? Er antwortete: Ich habe dich im Garten kommen hören; da geriet ich in Furcht, weil ich nackt bin, und versteckte mich. Darauf fragte er: Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du von dem Baum gegessen, von dem zu essen ich dir verboten habe? Adam antwortete: Die Frau, die du mir beigesellt hast, sie hat mir von dem Baum gegeben, und so habe ich gegessen. Gott, der Herr, sprach zu der Frau: Was hast du da getan? Die Frau antwortete: Die Schlange hat mich verführt, und so habe ich gegessen. Da sprach Gott, der Herr, zur Schlange: Weil du das getan hast, bist du verflucht unter allem Vieh und allen Tieren des Feldes. Auf dem Bauch sollst du kriechen und Staub fressen alle Tage deines Lebens. Feindschaft setze ich zwischen dich und die Frau, zwischen deinen Nachwuchs und ihren Nachwuchs. Er trifft dich am Kopf, und du triffst ihn an der Ferse. Adam nannte seine Frau Eva - Leben -, denn sie wurde die Mutter aller Lebendigen.