Kardinal Innitzer, der sich in letzter Sekunde retten konnte, vor seinem zerschnittenen Portrait.
Kardinal Innitzer, der sich in letzter Sekunde retten konnte, vor seinem zerschnittenen Portrait.
Beim Rosenkranzfest am 7. Oktober 1938 bekundeten 7.000 Jugendliche und Kardinal Theodor Innitzer ihren geistigen Widerstand gegen den Nationalsozialismus.
Im September 1938 war die Wiener katholische Jugend über das offizielle „Wiener Diözesanblatt" zum traditionellen Rosenkranzfest eingeladen worden. Schon diese Ankündigung signalisierte einen Akt des Widerstandes und wurde vom totalitären NS-System als Herausforderung empfunden. 7.000 junge Menschen erschienen am 7. Oktober im Stephansdom und hörten die Predigt Kardinal Innitzers, die vom Eingeständnis seines Irrtums und seiner Enttäuschung über das Verhalten der Nationalsozialisten geprägt war.
Kardinal Theodor Innitzer vor seinem nach der Rosenkranzfeier am 8. Oktober 1938 von NS-Leuten zerstochenen Porträt. Kardinal Innitzer predigte in Abänderung des gedruckten Programms nicht vorne beim Altar, sondern bestieg wegen der unerwartet hohen Anzahl von Jugendlichen die berühmte Pilgramkanzel. Seine Ansprache gipfelte in den Worten: „Einer ist euer Führer, euer Führer ist Christus, wenn ihr Ihm die Treue haltet, werdet ihr niemals verloren gehen."
Die Jugendlichen versammelten sich nach der Andacht spontan vor dem Erzbischöflichen Palais, um nachdrücklich ihre Solidarität mit Kirche und Kardinal zu bekunden. Tausende ließen Innitzer hochleben. Sprechchöre mit Rufen wie „Wir wollen unseren Bischof sehen!" wurden angestimmt – eine „Provokation" in den Augen der NSDAP-Funktionäre, die natürlich die Anspielung auf die Hitler-Parolen merkte. Kardinal Innitzer winkte zögernd aus einem Fenster im ersten Stock an der Ecke der Rotenturmstraße und gab dann mit beiden Armen deutliche Zeichen, dass die Jugendlichen nach Hause gehen sollten.
„Hitler-Jugend" und Gestapo verhafteten von dieser Kundgebung weg Jugendliche, einige kamen später sogar ins KZ. Am folgenden Tag, dem 8. Oktober, schlug das Regime dann mit voller Härte zurück. „Spontan", tatsächlich aber gut organisiert, stürmte die „Hitler-Jugend" (HJ) – Schlägertrupps, bestehend aus 17- bis 25-jährigen – das Erzbischöfliche Palais und das Curhaus am Stephansplatz 3.
Kardinal Innitzer konnte sich im letzten Moment in Sicherheit bringen, das Palais wurde verwüstet. Das Christus-Bild, das die „Hitler-Jungen" mit ihren Dolchen zerfetzten, hängt heute im Konsistorialsaal des Palais. Im Curhaus fiel der HJ der Domkurat Johannes Krawarik in die Hände. Er wurde aus dem Fenster geworfen; dass er dabei nicht getötet wurde, hatte er einem Sandhaufen zu verdanken. Mehr als eine Stunde wurde ihm ein Arzt verweigert. Er zog sich so schwere Verletzungen zu, dass er bis Februar 1939 im Spital bleiben musste.
Die Polizei sah dem Treiben der HJ untätig zu, der Nazi-Polizeipräsident saß im Kaffeehaus und schaute auf die Uhr, ob die mit der Partei vereinbarte Zeitspanne für das wüste Treiben schon abgelaufen war.
Eine Woche später fand eine Massenkundgebung der Nationalsozialisten mit 200.000 Menschen auf dem Wiener Heldenplatz statt. Sie war explizit gegen die Katholische Kirche gerichtet. Der Wiener Gauleiter Josef Bürckel wetterte gegen Kardinal Innitzer, wobei die Masse johlte. Nazis zogen darauf mit Pfuirufen am Erzbischöflichen Palais vorbei. Auf Spruchbändern war etwa zu lesen: „Die Pfaffen an den Galgen", „Innitzer nach Dachau", „Innitzer und Jud, eine Brut".