.... bedeutet doch das Ja zu einem Weg ein Nein zu allen anderen Möglichkeiten.
.... bedeutet doch das Ja zu einem Weg ein Nein zu allen anderen Möglichkeiten.
Interview mit Psychotherapeutin Brigitte Ettl über Entscheidungskriterien und den Verzicht in der Fastenzeit.
In der Fastenzeit wird oft eine Wahl – für oder gegen etwas – getroffen. Fassen wir zu viele Vorsätze?
Ettl: Die Vorsätze für einen Verzicht auf bestimmte Verhaltensweisen wie beispielsweise Fernsehen oder auf Genussmittel wie Alkohol oder Schokolade sind für mich Ausdruck dafür, dass wir im Allgemeinen zu wenige Entscheidungen treffen.
Da viele von uns sich aus materiellen Gründen nur wenige Wünsche versagen müssen, muss dem Verzicht eine bewusste Entscheidung vorausgehen.
Üblicherweise bestimmt jedoch die Devise „Ich will alles und das möglichst sofort“ unseren Alltag und wir genießen ein Leben in Fülle. Und wir sind dankbar für den Anstoß zur Trendwende in der Fastenzeit.
Was sind die Kriterien für eine gute Wahl, für eine gute Entscheidung?
Ettl: In einem ersten Schritt ist es wichtig, alle Möglichkeiten zu sammeln – meist stehen uns mehr Wege offen, als uns bewusst ist.
Dabei können auch Gespräche mit anderen Menschen hilfreich sein und den „Sternenhimmel der Möglichkeiten“ sichtbar machen.
Dann ist es hilfreich inne zu halten – Zeitdruck ist ein schlechter Begleiter für gute Entscheidungen.
Jetzt gilt es, die einzelnen Varianten nach bestimmten Kriterien zu überprüfen:
Wichtig erscheint mir, dass ich auch nach getroffener Entscheidung kein absolutes Hochgefühl erwarte – bedeutet doch das Ja zu einem Weg ein Nein zu allen anderen Möglichkeiten, die ja auch gute Seiten gehabt hätten, und damit auch Abschied.
Die heutige Jugend-Generation gilt als entscheidungsschwach. Stimmt das?
Ettl: Die österreichischen Jugendlichen haben heute in der Ausbildungsphase eine enorme Fülle an Wahlmöglichkeiten. Das Angebot an Ausbildungen wird immer größer. Auslandsaufenthalte über mehrere Monate sind für viele der erste Schritt in die Selbständigkeit und erweitern noch zusätzlich die Chancen.
Der Einstieg in den Beruf ist dann schon wesentlich schwieriger. Immer mehr Unternehmen stellen nur befristete Praktikumsplätze zur Verfügung, es dauert oft lange, bis man einen richtigen Arbeitsvertrag – also ein beidseitig verbindliches Ja bekommt.
Damit werden auch private Entscheidungen schwieriger – wie kann ich mich auf Fixkosten für eine Wohnung einlassen, wenn ich nicht weiß, ob ich in drei Monaten noch einen Job habe?
Wie kann ich mich auf eine verantwortungsbewusste Partnerschaft einlassen, wenn ich nicht weiß, ob ich nicht in Kürze für Monate ins Ausland gehen muss?
Ist Unverbindlichkeit ein Kennzeichen unserer Zeit?
Ettl: Wir haben heute alle wesentlich mehr Wahlmöglichkeiten als frühere Generationen, es gibt wenig allgemein gültige Spielregeln, an die ich mich halten muss.
Ich kann meine Religion und die Art der Ausübung wählen, ich kann meine private Lebensform frei wählen, durch die Notwendigkeit ständiger Weiterbildung kann ich mich auch beruflich bis zur Pensionierung immer wieder verändern.
Diese unzähligen Wahl-Situationen reduzieren die Bedeutung der einzelnen Entscheidung, da es ja kaum mehr ein „lebenslängliches“ Ja gibt. Auf der anderen Seite geht damit auch der Blick für das Wesentliche, für mein Werte-Fundament verloren, das mir an all den Wegkreuzungen eine stabile Orientierungshilfe bieten kann.
Dr. jur. Brigitte Ettl
hat am Wiener Schwedenplatz eine Praxis für Psychotherapie, Wirtschaftscoaching und Mediation.
Tel: 0676/431 40 74
oder Internet: www.brigitte-ettl.at