Das Staunen über die Schönheit der Natur, über das Erhabene einer faszinierenden Landschaft oder über das Wunder des Lebens kann den Menschen näher zu Gott führen.
Das Staunen über die Schönheit der Natur, über das Erhabene einer faszinierenden Landschaft oder über das Wunder des Lebens kann den Menschen näher zu Gott führen.
Auf den ersten Blick erscheint die Wüste tot. Doch überall finden sich Widerstandsnester des Lebens. Aus ihnen lässt sich die Liebe Gottes herausschmecken. Die Natur wird durchsichtig auf Gott.
atome und sonnen
galaxien und monde
moleküle und mücken
karussell und kreisel
der ganze kosmos
zurückgekrümmter raum
dreht sich letztlich
um sich selbst
einzig der mensch
im lieben und beten
kreist um ein zentrum
ganz außer sich
Andreas Knapp
Beim Anblick eines Grashalms, Echter-Verlag Würzburg, S. 11
Wir erleben etwas als besonders schön, wenn darin Vertrautes und Fremdes zugleich aufscheint. Hierin liegt auch der Zauber der Wüste: Wir kennen Landschaftsformen wie Ebenen, Hügel und Gebirge. Als Kinder haben wir mit Steinen und mit Sand gespielt.
In der Wüste faszinieren uns die fremdartige Kombination dieser vertrauten Elemente und die unermesslichen Dimensionen ihrer Darbietung: Felder mit Steinen besät, so weit das Auge reicht; Felsen, von Hitze und Frost zu bizarren Gestalten modelliert.
Und dann die faszinierenden Dünenlandschaften: Jede Düne stellt ein Kunstwerk dar, von Wind und Sand nach unsichtbaren Gesetzen geformt. Der rastlose Wind webt ständig neue Muster in den Sand: Kringel, gezackte Felder, wie ein Puzzle ineinandergefügt, Rippen und Streifen – unendliche Vielfalt auf dem ewig gleichen Sand.
Auf den ersten Blick erscheint der größte Teil der Wüste tot, eine Mondlandschaft, in der das Leben keinen Platz hat.
Doch bei näherem Hinschauen können wir Spuren des Lebens entdecken. Zwischen den Dünen etwa gedeihen manchmal Gräser oder Sträucher. Mit aufmerksamem Blick kann man im Sand Spuren von Mäusen und Eidechsen erkennen.
Und man lernt in diesem lebensbedrohlichen Umfeld die kleinsten Spuren von Leben schätzen: Zwischen Felsen wiegen sich Grashalme im leichten Morgenwind. Sie sind so schwach, ungeschützt, zerbrechlich – und leisten doch dem großen Tod der Wüste tapfer Widerstand.
Die Samenkörner der Saharapflanzen haben sich an das trockene Klima hervorragend angepasst: In der Samenschale befinden sich keimungshemmende Stoffe, die verhindern, dass ein nur kurzer Regen schon die Keimung auslöst. Das wäre ja auch fatal, denn die noch zarten Pflänzchen würden schnell vertrocknen.
Erst ein lang anhaltender, oft sintflutartiger Regen wäscht diese keimungshemmenden Stoffe aus der Samenschale heraus. Jetzt hat das wachsende Pflänzchen eine echte Chance, denn der Boden oder der Sand sind mit so viel Wasser getränkt, dass ein neuer Reproduktionszyklus möglich ist.
Überall in der toten Wüste finden sich Widerstandsnester des Lebens. Man entdeckt sie erst bei längerem Hinschauen. Aber sie sind da. Das Leben ist unermüdlich, erfinderisch, phantasievoll – einfach nicht totzukriegen. In der Wüste begegnen wir dem Erfindergeist des Lebens.
Das Staunen über die Schönheit der Natur, über das Erhabene einer faszinierenden Landschaft oder über das Wunder des Lebens kann den Menschen näher zu Gott führen.
Wenn Gott die Welt aus Liebe erschaffen hat, warum sollte man dann diese Liebe nicht herausschmecken können? Durch alle Dinge, durch Sonne und Mond, Baum und Blume strahlt die Gegenwart Gottes auf!
Die Natur wird „symbolisch“, das heißt durchsichtig auf Gott – so wie eine geschenkte Rose ein Ausdruck von Freundschaft ist, eben: durch die Blume gesagt. Wer nicht an Liebe glaubt, dem wird die Rose nichts sagen. Wer die Welt aber mit den Augen des Glaubens lesen kann, für den können Blumen sprechen.
Natürlich kann man die Schönheit der Welt auch sehen und sich an ihr freuen, ohne an einen Schöpfer zu denken – so wie man ein Kunstwerk bewundern kann, ohne sich für den Künstler zu interessieren.
Der Gläubige aber freut sich nicht nur am Kunstwerk. Er will darüber hinaus auch den Künstler kennenlernen, um ihn zu loben, ihm zu danken und ihn zu ehren.
Dankbarkeit und Staunen können also Ausgangspunkt religiöser Erfahrungen und Reflexionen sein. „Es gibt Menschen, die kommen zur Religion, weil sie einen herrlichen Frühlingsmorgen erleben, und sie möchten ihr Gefühl der Dankbarkeit irgendwie adressieren und finden, der Kirschbaum selbst sei keine hinreichende Adresse dafür“ (Robert Spaemann).
Glück lehrt beten. Aber der Mensch staunt nicht nur, sondern er erschrickt auch, wie zerbrechlich alles ist. Er bangt um sich und die Welt. Und er klagt in der Hoffnung, dass sein Schrei nicht ins Leere geht. So gilt auch: Not lehrt Beten.
Die religiöse Erfahrung gründet darauf, dass der Mensch über sein Ich hinausblicken und die Grenzen seines Selbst überschreiten kann.
Schon vor vielen Jahrtausenden begann der Mensch, über Sinn und Unsinn der Welt nachzudenken. Seither macht er sich – wohl als einziges Wesen unter den Sonnen – seine Gedanken über Mond und Sterne, Leben und Tod, Sein und Zeit, All und Nichts.
Der Mensch staunt vor der Welt, die ihn gleichzeitig fasziniert und ängstigt. Er fragt sich, warum es überhaupt etwas gibt und nicht einfach nichts. „Nicht wie die Welt ist, ist das Mystische, sondern dass sie ist“ (Ludwig Wittgenstein).
Religion entzündet sich also primär nicht an einzelnen Wundern, sondern im Staunen darüber, dass die Welt ein einziges Wunder ist.
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