Der Glaube ermutigt uns, den lichten Augenblick zu bejahen
Der Glaube ermutigt uns, den lichten Augenblick zu bejahen
Man soll den Tag auch vor dem Abend loben. Im Zeichen der Freude steht der vierte Fastensonntag.
Jeder Morgen bietet die Chance, sich bewusst für einen offenen, bejahenden Blick zu entscheiden und mit dieser Perspektive in den Tag zu gehen.
Ein freundschaftlicher Blick lässt unser Leben freundlicher erscheinen und macht hellsichtig für das Gute in Menschen und Ereignissen.
In einem Gedicht von Andreas Knapp namens
„Laudes“ heißt es:
wenn nach Schreckstunden des Dunkels
der Morgen die Augen
aufschlägt
geh ihm singend entgegen
erwache ins Lob
und das Lob weckt dir die Welt
dass sie dir singe
Aus: Andreas Knapp, Brennender als Feuer. Geistliche Gedichte © Echter Verlag Würzburg, 7. Auflage 2014, S. 35
Sich vorbehaltlos zu freuen, fällt manchmal nicht leicht. Da erzählt ein Vater: „Ich stehe am Bett meiner Kinder, lausche den ruhigen Atemzügen und rieche ihren vertrauten Duft. Wie unglaublich schön ist das! Ein Gänsehautgefühl von Glück und Liebe. Aber wie aus dem Nichts breiten sich düstere Fantasien aus, was ihnen alles zustoßen könnte.“
Es ist paradox: Einerseits wünschen wir Menschen uns mehr Freude. Aber andererseits melden sich gerade in Augenblicken großen Glücks oft Befürchtungen zu Wort und schmälern die Freude. Woher kommt das?
Weil sich in Augenblicken heller Freude häufig auch unsere Verletzlichkeit in
Erinnerung ruft. Weil wir in Momenten puren Glücks, in denen einfach alles stimmt, die Zerbrechlichkeit oft umso stärker spüren: Ich kann diesen Augenblick – den Song, der mich an etwas Schönes erinnert, oder das frohe Fest mit Freunden – nicht festhalten. Die Menschen, die mir viel bedeuten, sind fragil. So wie ich selbst und alles, was ich aufgebaut habe.
Die Angst vor der Verwundbarkeit also macht unser Herz eng. Sie bringt uns dazu, dass wir unserem Glück nicht trauen. Die Angst etwa, dass die Freude nicht lange währt - entsprechend der mahnenden Redewendung „Du sollst den Tag nicht vor dem Abend loben“, denn wer weiß, was noch alles kommt …
Unglücksfantasien, die das Hirn in Glücksmomenten wie von selbst produziert, entpuppen sich angesichts unserer Verwundbarkeit als ein nachvollziehbarer Schutzmechanismus: Um nicht ahnungslos von Enttäuschungen oder Verlust überrumpelt zu werden, spielen wir in der Vorstellung Unglücksszenarien durch.
Um nicht aus heiterem Himmel vom Schmerz überrollt zu werden, trüben wir durch düstere Fantasien vorsorglich die Freude ein – in der Hoffnung, dadurch mit dem möglichen Umschwung besser klarzukommen.
Doch mit diesem unbewussten Selbstschutz stellt man sich in mehrfacher Hinsicht ein Bein. Zum einen: Wenn wir unsere Fähigkeit zur Freude vergraben, präparieren wir uns gerade nicht für Verluste oder Enttäuschungen! Im Gegenteil, wir schwächen unsere seelische Widerstandskraft. Jedes Mal aber, wenn wir der Freude erlauben, dass sie unser Herz weit macht, stärken wir unsere Fähigkeit, mit den kleinen und großen Widrigkeiten umzugehen. Und wir kultivieren die Kraft der Hoffnung.
Ein Zweites: Gedanken und Angstfantasien machen uns oft etwas vor. Humorvoll und pointiert beobachtet Mark Twain: „Ich habe einige schreckliche Dinge in meinem Leben durchgemacht, von denen einige tatsächlich passiert sind.“ Wer seine Aufmerksamkeit bevorzugt auf den möglichen SuperGAU richtet, lässt sich nicht nur das Glück des Augenblicks rauben, sondern er leidet hier und jetzt. Und muss oft im Rückblick feststellen: Ich habe mich grundlos verrückt gemacht und unter Katastrophen gelitten, die nie eingetreten sind.
Und schließlich: Wenn tatsächlich etwas Befürchtetes eintreten sollte, dann werden wir um all die wunderbaren Augenblicke trauern, die wir nicht aus vollem Herzen genossen haben und die nun unwiderruflich vorübergegangen sind.
Wir haben unser Leben nicht in der Hand! Ob wir einen Menschen über alle Maßen lieben oder einen vergänglichen Augenblick feiern – in all diesen Momenten machen wir uns verwundbar. Aus diesem Grund kann Freude ein leises inneres Beben auslösen. Manchmal bekommt man sogar eine Gänsehaut, denn: Dieser Augenblick ist alles andere als selbstverständlich!
Wie wir dieses innere Beben deuten und wie wir mit ihm umgehen, hat weitreichende Konsequenzen. Daher lohnt es sich, darüber nachzudenken: Neige ich dazu, es als Warnschuss zu interpretieren, der mahnt: „Freu dich nicht zu früh! Das ist nicht das wahre Leben!“
Oder verstehe ich den Schauder als eine Einladung, dankbar zu sein: für den Menschen an meiner Seite, für das berauschende Gipfelerlebnis nach einem anstrengenden Aufstieg oder einfach für den gegenwärtigen Augenblick?
Wenn ich in mich selbst hineinhorche, dann geht mir auf, dass sich in mir verschiedene dieser Stimmen zu Wort melden. In diesem Wahrnehmen liegt eine große Chance, denn nun kann ich mich fragen: „Wem will ich (mehr) Glauben schenken: meiner Angst, die mir das Heute stiehlt, indem sie mich das Morgen fürchten lehrt? Oder meinem dankbaren Vertrauen, dass sich mir hier und jetzt das Leben in seiner Schönheit zeigt?“ Dankbarkeit bewirkt, dass man den Tag auch vor dem Abend lobt.
Wenn auf dem inneren Marktplatz mal wieder die verschiedenen Stimmen durcheinanderschreien, lädt der christliche Glaube ein, dass wir jenen Stimmen Gehör schenken, die uns innerlich weit machen und unsere Freude stärken.
Der Glaube ermutigt uns, den lichten Augenblick zu bejahen dank des Vertrauens, dass dieses Ja wirklichkeitsgemäßer ist als wenn wir nur schwarzsehen. Denn im Blick auf Jesus Christus dürfen wir darauf hoffen, dass sich die ganze Welt einem schöpferischen göttlichen Geheimnis verdankt. Es ist gut, in dieser Welt zu sein.