„Der Tod ist tot, das Leben lebt! Diese Oster-Erfahrung ist für das Christentum zentral."
„Der Tod ist tot, das Leben lebt! Diese Oster-Erfahrung ist für das Christentum zentral."
Warum es ohne Ostern kein Christentum gibt: Dogmatik-Professor Jan-Heiner Tück über die Auferstehung Jesu und die Unvereinbarkeit von Auferstehungshoffnung und Reinkarnationslehre.
SONNTAG: Welche Bedeutung hat das leere Grab für den Osterglauben?
Jan-Heiner Tück: Man hat lange Zeit das leere Grab als Beweis für die Auferstehung angeführt, aber das leere Grab als historisches Faktum ist deutungsbedürftig. Ich bin der Auffassung, dass das leere Grab ein sprechendes Zeichen für die Auferweckung des Gekreuzigten ist, aber kein Beweis im strikten Sinn.
Die Auferstehungsbotschaft hätte sich im Kontext des damaligen Judentums zwar keinen Tag halten können, wenn das Grab tatsächlich voll gewesen wäre. Aber man muss andere Belange hinzuziehen, um die Auferweckung Jesu angemessen zu verstehen. Da ist die völlig überraschende Wende im Jüngerverhalten, die auf Erscheinungen des Auferstandenen zurückgeht.
Man muss sich vor Augen führen, dass die Jünger nach der Katastrophe des Kreuzes zutiefst enttäuscht waren. Sie hatten alle Erwartungen in diesen Jesus gesetzt, waren ihm gefolgt und hatten alles hinter sich gelassen. Und dann ist dieser Jesus gekreuzigt worden. Für Juden ist die Kreuzigung mit dem Fluch Gottes gleichzusetzen: „Verflucht ist, wer am Kreuz hängt.“ (Dtn 21,23)
SONNTAG: Was ist dann die Oster-Erfahrung?
Jan-Heiner Tück: Wenn man diesen absoluten Tiefpunkt der Erfahrung der Jünger ernstnimmt und dann sieht, wie sich die Versprengten plötzlich neu versammeln, wie eine neue hoffnungsvolle Dynamik auftaucht, wie sie etwa in der Emmaus-Perikope bei Lukas sehr eindrücklich beschrieben ist, dann haben Sie ein ganz deutliches Indiz dafür, dass von Gott her an diesem Gekreuzigten ein den Tod wendendes Zeichen gesetzt wird, dann haben Sie die Oster-Erfahrung:
Der Tod ist tot, das Leben lebt! Und die ist für das Christentum absolut zentral. Ohne Ostern kein Christentum, könnte man sagen.
SONNTAG: Warum ist Ostern kein Ereignis an sich, sondern für uns?
Jan-Heiner Tück: Ostern ist an die Gestalt Jesu, den auferweckten Gekreuzigten, rückgebunden. Um Ostern zu verstehen, ist es wichtig, den Zusammenhang von Leben, Tod und Aufweckung zu beachten.
Im Leben Jesu zeigt sich der Anbruch des Reiches Gottes. Jesus verkündet nicht nur das Nahekommen des Heils, er beglaubigt seine Worte durch Taten, er geht den Verlorenen und Sündern nach, heilt Kranke, sagt Schuldigen die Vergebung zu.
SONNTAG: Jesus also als der, der „für uns“ gelebt hat?
Jan-Heiner Tück: Jesus ist – mit dem Neutestamentler Heinz Schürmann gesprochen – der pro-existente Mensch – der Mensch, der ganz für andere da ist, und der dieses Für-Andere-Dasein am Ende auch im Sterben bewährt.
Im Deutewort beim Brechen des Brotes kommt dies beim letzten Abendmahl verdichtet zum Ausdruck: „Dies ist mein Leib für euch.“ Mit dem Tod des Boten wäre nun aber auch seine Botschaft tödlich getroffen worden, wenn Gott ihn nicht aus dem Tod errettet und damit seine Botschaft vom Anbruch des Reiches Gottes bestätigt hätte.
Jesus ist der „Erste der Entschlafenen“, der Anteil am neuen Leben erhält, das keinen Tod mehr kennt. Er ist – wie die Apostelgeschichte sagt – der „Anführer zum ewigen Leben“ (Apg 3,15). Durch die Taufe sind wir anfanghaft schon in diese Auferstehungswirklichkeit Jesu Christi hineingenommen.
Obwohl wir auf den Tod erst zugehen, sind wir sakramental mit Christus doch schon gestorben, um mit ihm zu einem neuen Leben aufzuerstehen, das keinen Tod mehr kennt. Dieses Leben in Fülle, das eine Gabe Gottes ist, kann keine Biotechnologie produzieren, mag sie auch noch so effiziente Maßnahmen zur Lebensverlängerung entwickeln.
SONNTAG: Reinkarnation heißt wörtlich „Wiedereinfleischung“. Was macht die Faszination dieser Lehre im Westen aus?
Jan-Heiner Tück: Ich möchte drei Faktoren nennen:
Alle Spielarten der Wiedergeburtslehre widersprechen erstens der materialistischen Sicht, dass mit dem Tod das menschliche Bewusstsein endgültig ausgelöscht wird.
Es gibt eine Hoffnung über den Tod hinaus – und das ist, wie Goethe bereits bemerkte, allemal tröstlich.
Zugleich steht zweitens mit dem Karma-Gedanken ein Gesetz im Hintergrund, welches das Tun des Menschen mit einer automatisch wirksamen Vergeltung verknüpft.
Der oft als ungerecht empfundene Unterschied der menschlichen Schicksale wird dadurch ebenso erklärbar wie die bedrängende Frage, warum es den Guten schlecht, den Bösen aber gut geht. Jeder ist selbst für sein Schicksal verantwortlich, das er durch seine Taten verdient hat. Die einen haben für Versäumnisse und Sünden zu büßen, die sie in einem früheren Leben auf sich geladen haben; andere profitieren von Verdiensten, die sie in vormaligen Existenzen erworben haben.
Diese Vergeltungslogik, die jede Form von Gnade vermissen lässt, scheint im Denken und Fühlen vieler Zeitgenossen durchaus Anklang zu finden.
SONNTAG: Viele meinen also, mehrere Chancen in mehreren Leben zu bekommen...
Jan-Heiner Tück: Über die moralische Idee eines sühnenden Ausgleichs hinaus sind westliche Spielarten der Reinkarnation für viele schließlich drittens auch deshalb attraktiv, weil sie von einem dynamischen Lern- und Entwicklungsprozess ausgehen, der sich über viele Inkarnationen erstrecken kann und letztlich zur Vollendung führt – eine Vorstellung, die mit der gesellschaftlich verbreiteten Fortschritts- und Leistungsmentalität gut zusammengeht. Man ist selbst der Ingenieur seines Heils und braucht sich im Letzten nichts geben zu lassen.
SONNTAG: Warum sind dann Auferstehung und Reinkarnation unvereinbar?
Jan-Heiner Tück: Auch hier möchte ich drei Differenzen nennen, sie betreffen
(1) das Zeitverständnis,
(2) das Menschenbild und
(3) die konkrete Ausgestaltung des Vervollkommnungsgedankens:
Die Reinkarnationsvorstellung denkt Zeit nach dem Modell des Zyklus oder der Spirale. Für die christliche Geschichtssicht sind demgegenüber die Momente der Einmaligkeit, der Befristung und der Unwiederbringlichkeit wesentlich.
Wie Gott sich zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt der Geschichte, dem Kairos des Heils, in der Person Jesu geoffenbart hat, so ist jedem Menschen eine bestimmte Lebensspanne gegeben, in der er seine Begabungen entfalten oder auch vergeuden kann.
Die Betonung der Einmaligkeit einer jeden Biographie, die durch den Tod besiegelt wird, widerspricht dem Motiv der Wiederholbarkeit, die dem Begriff der „Re“-Inkarnation eingeschrieben ist. Was geschehen ist, ist geschehen und kann nicht in einem späteren Leben durch moralische Besserung rückgängig gemacht oder aufgehoben werden. Der Tod, dessen Skandalcharakter in der Wiedergeburtslehre verharmlost wird, markiert das definitive „Ende des menschlichen Pilgerstandes“.
SONNTAG: Wie sieht es hinsichtlich des Menschenbildes aus?
Jan-Heiner Tück: Hinzu kommt, dass der anthropologische Dualismus der Wiedergeburtslehre mit dem Menschenbild der jüdisch-christlichen Überlieferung nicht in Einklang zu bringen ist.
Statt die Identität der Person in einen sich durchhaltenden Träger, die Seele, und wechselnde Ausdrucksmedien, die Leiber, auseinanderzureißen, besteht der Glaube darauf, dass der Leib als Medium der Kommunikation konstitutiv zur Identität der Person gehört.
Aus christlicher Sicht ist es inakzeptabel, den Leib zu einer austauschbaren Hülle abzuwerten und damit die einmalige Freiheitsgeschichte einer Person zu einer vorläufigen Etappe im Kreislauf der Wiedergeburten herabzuwürdigen. Die Leib- und Geschichtsverachtung, die mit der Reinkarnationsvorstellung verbunden ist, gilt es zurückzuweisen. Die Identität der menschlichen Person ist an Leib und Geschichte gebunden.
SONNTAG: Und der Modus der Vervollkommnung?
Jan-Heiner Tück: Der dritte Differenzpunkt betrifft die Vorstellung, sich selbst durch moralische Leistungen verbessern und vervollkommnen zu können. Dabei ist es unstrittig, dass menschliches Leben faktisch immer vervollkommnungsbedürftig ist. Die Frage ist nur, wie die Vervollkommnung konkret erreicht wird.
Die Auffassung, was man in diesem Leben nicht geschafft habe, was misslungen und bruchstückhaft geblieben sei, das könne man im nächsten anders und besser machen, entspricht sicher einer evolutionistisch getönten Vorstellung, die beiseite schiebt, dass die Lebenszeit einer Frist unterliegt.
SONNTAG: Das klingt doch sehr nach westlicher Fortschrittsgläubigkeit...
Jan-Heiner Tück: Die westliche Adaption der Wiederverkörperung lässt sich durchaus als Metamorphose des neuzeitlichen Fortschrittsgedankens lesen: Es wird schon besser werden, wenn wir uns nur genügend anstrengen. Das Christentum setzt mit seinem Glauben an die zuvorkommende Gnade Gottes allerdings deutlich andere Akzente.
Erlösung von Sünde und Schuld ist danach nicht das Produkt menschlicher Leistung, sondern zunächst und vor allem unverdiente Gnade Gottes.
Diese Gnade anzunehmen und in einer konkreten Existenz Fleisch werden zu lassen, dazu reicht ein Leben aus. Wer sich auf das Gnadenangebot Gottes einlässt, ist befreit von dem Zwang, sich selbst erlösen zu müssen.
seit 2010 Lehrstuhl für Dogmatik und Dogmengeschichte, Theologische Fakultät, Universität Wien.
Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien
Ostern - Jesus ist auferstanden!
Mit 40 Rezepten durch die Fastenzeit
Fastenzeit - die Vorbereitungszeit auf Ostern