Weihnachtsikone in der russisch-orthodoxen Kathedrale in Wien.
Weihnachtsikone in der russisch-orthodoxen Kathedrale in Wien.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Hochfest der Geburt des Herrn.
"Im Anfang war das Wort…" Der Beginn des Johannes-Evangeliums ist zweifellos einer der größten Texte der Weltliteratur. Der große deutsche Dichter Johann Wolfgang von Goethe hat den Text in seinem Theaterstück "Faust" thematisiert: Faust versucht in seiner Studierstube das Johannes-Evangelium zu übersetzen. Im Anfang war der "logos", heißt es im griechischen Text des Neuen Testaments. Wie soll er das übersetzen? Im Anfang war das "Wort". Ja, gewiss! Aber "logos" heißt auch "Sinn", heißt auch "Kraft". All das genügt Faust nicht und schließlich übersetzt er: "Im Anfang war die "Tat". Und er hat damit gar nicht so unrecht. Denn in der Sprache des Alten Testaments, im Hebräischen, steht der Ausdruck "dabar" sowohl für "Wort" als auch für "Tat". So lautet der erste Satz der Bibel: "Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde." Das ist "Wort und Tat" zugleich.
"Im Anfang war das Wort…" Der Evangelist Johannes lässt uns einen wunderbaren Höhenflug erleben, er schreibt ein Loblied auf die höchsten göttlichen Geheimnisse: "Das Licht leuchtete in der Finsternis. Und die Finsternis hat es nicht erfasst." Aber dann kehrt er auf den Boden der Wirklichkeit zurück und unterbricht das Loblied mit ganz konkreten historischen Ereignissen: "Ein Mann trat auf, Johannes war sein Name, von Gott gesandt, er sollte Zeugnis ablegen." Plötzlich ist es nicht mehr dieser Höhenflug, sondern es geht konkret um ein Zeugnis, um eine Geschichte, um etwas, das es zu glauben gilt.
Licht und Finsternis sind große Symbole, über die sich viel spekulieren lässt. Aber beim Zeugnis stellt sich die Frage: Wird es angenommen oder wird es abgelehnt? Dieses ganz Konkrete kommt in Goethes Faust mit der berühmten Frage des Gretchens zum Ausdruck, die sie Faust stellt: "Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?" Zum Weihnachtsfest – mit all den erhabenen Gefühlen, mit dem wunderschönen Gottesdienst, der Musik – eine überraschende Frage: Wie hast du’s mit der Religion? Faust weicht aus und antwortet:
Mein Liebchen, wer darf sagen: ich glaub' an Gott?
Wer darf ihn nennen? Und wer bekennen…
Nenn' es dann, wie du willst, Nenn's Glück!
Gefühl ist alles; Name ist Schall und Rauch…
Aber Faust gehört zu denen, die lieber nicht zu konkret werden. Und Gretchen entgegnet etwas naiv: "Ungefähr sagt das der Pfarrer auch, nur mit ein bisschen anderen Worten." Auch wir Priester denken oft ähnlich: Nur nicht zu konkret werden! Aber Weihnachten ist ungeheuer konkret, da geht es um ein geschichtliches Ereignis. Da geht es darum, dass Gott ganz konkret wird. Vom Licht reden, dass jeden Menschen erleuchtet, das können wir alle, das passt gut in ein allgemeines Weltbild. So wie viele sagen: Ich glaube an eine höhere Macht, die uns lenkt; oder noch einfacher: Irgendetwas Höheres muss es geben! Doch das Wort, der logos, bleibt nicht abstrakt, sondern wird "Fleisch", wird Mensch. Er "hat unter uns gewohnt", wörtlich heißt es: "Er hat sein Zelt unter uns aufgeschlagen", ganz konkret ist er da. Im Ersten Johannesbrief steht der wunderbare Satz: "Gott ist Liebe" (1 Joh 4,8). Auch das mag sehr abstrakt klingen. Aber kann Liebe abstrakt sein? Kann es abstrakt bleiben, wenn Gott uns so geliebt hat, dass er seinen Sohn gesandt hat? Liebe entsteht immer zwischen Personen, sie ist konkret. Sie fordert Gegenliebe, sie spricht uns an, sie ist Anspruch.
Gott hat es uns leicht gemacht zu lieben, er ist nicht als der Allmächtige gekommen, sondern als Kind. Und was fällt uns leichter, als ein Kind zu lieben? Gott ist als Kind zu uns gekommen, ganz konkret. Das Kind wartet darauf, dass wir mit Liebe antworten.