Prof. Zulehner: Sakramente ,weder lax noch rigoros' spenden

Erleben wir gegenwärtig eine Wiederkehr der Rituale?

Zulehner: Wenn wir die spirituellen Pilger von heute untersuchen, stoßen wir in deren Leben immer wiederholt auf Rituale; manche Rituale ordnen das Leben, andere wiederum führen zur Verwandlung des Lebens. Verbreitet sind Heilungsrituale, wie Salbung oder Handauflegung. Die Rituale sind ein Teil einer spirituellen Dynamik, die wir in unseren säkularen Kulturen, vor allem in den Großstädten, beobachten. Rituale finden mehr als Lehrbücher des Glaubens eine hohe Akzeptanz. Viele Menschen nehmen fest an, dass Rituale für ihr Leben heilsam sind.

Wie soll die Kirche mit dieser Sehnsucht nach Ritual(en) umgehen?

Zulehner: Rituale sind in unserer Kultur vor allem bei den christlichen Kirchen angesiedelt; sie scheinen eine Art Monopol für Rituale gerade an den entscheidenden Stellen des Leben wie Geburt, Heirat und Tod zu haben. Darum kommen ganz unterschiedliche Leute bei diesen für sie wichtigen Übergängen des Lebens zur Kirche und bitten um ein kirchliches Ritual. Aus ihrer Sicht geht es vorrangig um ein Ritual, weniger um ein Sakrament: Denn ihre Bitte kommt mehr aus der Tiefe ihrer Lebenserfahrung und weniger aus reflektiertem christlichen Glauben, der persönliches Eigentum der Menschen geworden ist.

Was tun mit dieser Erwartung der Menschen, die ein Ritual wünschen, die Kirche aber ein Sakrament des Glaubens feiern möchte?

Zulehner: Das ist eine der wichtigsten Fragen, die sehr behutsam und mit viel Fingerspitzengefühl diskutiert gehört, weil nicht von Haus aus ein notwendiger Widerspruch besteht zwischen dem, was die Menschen als Ritual wünschen, und dem, was wir uns als kirchliche Gemeinschaft unter einem Sakrament vorstellen. Was der Mensch sucht und was theologisch gesprochen Gott für den Menschen sucht, das liegt nicht immer auf der gleichen Ebene. Die Aufgabe der Seelsorge besteht darin, dass diese Suche Gottes nach dem Menschen nicht übergangen wird und lediglich ein Suchen des Menschen nach Geborgenheit und Schutz bedient wird. Wenn es uns gelingt, dass Menschen erkennen, dass die Vollgestalt des Menschseins das Verwachsen mit Christus und damit das Eintauchen in Gottes Geheimnis ist, und auf dem Weg solch menschlich-gläubigen Reifens einen Schritt vorankommen, ist seelsorglich viel gewonnen.

Wie kann eine Verlebendigung des Taufbewusstseins aussehen? Getaufte sind ja streng genommen nicht mehr potentielle Kirchenbesucher, sondern schon Kirchenbewohner...

Zulehner: Wir kommen aus einer Zeit der Kirche, in der wir eigentlich gar nicht sehr viel über aktive Gläubige nachgedacht haben. Das Zweite Vatikanische Konzil hat diese eher oberflächliche Sicht der Kirche im Spiegel der Tradition vertieft. Wir haben begreifen gelernt, dass, wenn Gott einen Menschen in die Kirche ruft und dieser Mensch dann auch durch die sakramentalen Feiern der Taufe, der Firmung und der Eucharistie in die Kirche eingegliedert ist, dass dieser Mensch das Leben und Wirken dieser Kirche auch aktiv mitträgt. Diese Sicht der Kirche durch das Konzil ist relativ neu und sie ist meines Erachtens noch nicht einmal in unserer eigenen Kirche in dieser Deutlichkeit vorhanden. Dass die Menschen durch die Sakramente christusförmig werden, in die Gemeinschaft der christusförmigen Menschen, also in die Kirche als dem Leib Christi, hineinwachsen, und dann dazu beitragen sollen, dass sie zusammen mit den anderen Christen Licht der Welt und Salz der Erde sind: Dieses Bewusstsein ist in dieser Deutlichkeit nur bei einem kleinen Teil der Kirchenglieder ausgereift. D. h. wir haben viele Katholiken und darunter sind einige Christen.

Wie kann dann die Qualität der sakramentalen Initiation gesichert werden?

Zulehner: Da gibt es ziemlich gegenläufige praktische pastorale Positionen. Die einen sagen, wir fragen lieber gleich nicht lange: Wenn sie bitten, dann feiere ich mit den Menschen diese Sakramente. Dies ist eine sehr weitmaschige, manche sagen dazu auch laxe Position. Vertreter der rigorosen Position hingegen sagen: Nein, wir können nicht so groß- und freizügig mit den Sakramenten umgehen. Vertreter der rigoristischen Position haben auch eine gewisse Neigung zu einer pastoralen Gewalttätigkeit. Sie legen die Latte sehr hoch und erwarten, dass die Leute drüberspringen. Und wer über diese hochgelegte Latte des sakramentalen Konzepts nicht drüberspringt, dem verweigert man die Spendung bzw. Feier der Sakramente.

Wie könnte in diesem Fall der goldene Weg aussehen?

Zulehner: Ich bin überzeugt, dass der Weg nur dazwischen liegen kann. Zum einen, dass wir einen tiefen Respekt vor dem haben, was die Menschen suchen und wünschen, und es auch feinfühlig zu verstehen versuchen. Zum anderen, dass wir mit ihnen gemeinsam einen Weg einschlagen, der offen ist für das christliche Verständnis dieser kirchlichen Feiern im Blick auf die Sakramente, d. h. dass man hineinwächst in die Gestalt Christi und in die Gemeinschaft der Kirche. Dieses seelsorgliche Prinzip müsste dann so lauten: Ich hoffe, dass wir in der Vorbereitung ein Stück vorankommen, und ich habe die Hoffnung, dass die Feier dann selber so wirkmächtig ist, dass sie den Menschen ein Stück tiefer in das Geheimnis Christi hineinführt.

Sie schrieben vor Jahren: "Die Übernahme des persönlichen Glaubens hat einen Zeitpunkt, den Gott bestimmt und nicht die Pastoral. Wie kann die Pastoral der Initiationssakramente auf diesem Weg ein Begleiter sein?

Zulehner: Unsere Aufgabe ist es heute, wenn persönlicher Glaube nicht mehr selbstverständlich ist (War er es je?), dass wir glaubensförderlich wirken. Wir sollten mit Paulus die Freiheit haben zu sagen: Wir ackern, wir begießen, aber wachsen lassen muss Gott. Wir sollten uns in unserer pastoralen Verantwortung nicht an die Stelle Gottes stellen. Dies würde uns auf der einen Seite einen gewissen Ernst verleihen, weil wir Mitarbeiter Gottes sind, und auf der anderen Seite aber eine hohe gelassene Freiheit schenken, indem wir sagen dürfen: aber das Entscheidende, auch in den sakramentalen Feiern der Kirche, geschieht durch Gott. Es liegt nicht in unserer Macht, was wirklich geschieht.

Stichwort Initiationssakramente: Achtjährige sind eucharistiefähig, hingegen erst Vierzehnjährige "firmfähig"...

Zulehner: Man kann das noch zuspitzen, wenn man auf die ostkirchlichen Traditionen schaut, die ja schon den Säugling taufen, firmen und ihm die Eucharistie reichen. Da ist dann nochmals die theologisch sensible Frage, wie wir das Tun Gottes am Menschen und das freie Tun des Menschen in eine Balance bringen. Wir in unseren westlichen Kulturen setzen mehr auf die personale Freiheit, während die östliche Tradition mehr auf das zuvorkommende Handeln Gottes setzt. Das hat beispielsweise meinen Lehrer Karl Rahner dazu bewogen, zu sagen, vielleicht ist das eigentliche Thema der Tauffeier diese tanzende Freude und die liturgische Verwunderung, dass Gott sich wie ein Himmel über das Leben des ganzen Menschen spannt, ohne dass der Mensch dazu eine Vorleistung vollbringen muss. Wir im Westen hingegen sagen, das reicht für die Taufe nicht aus, wir müssen zusehen, dass sich jemand persönlich für Christus entscheidet und in die Gemeinschaft der Christen eintritt und dort aktiv wirkt nach Möglichkeit. Manchmal denke ich mir, dass unser westliches Modell unter dem Strich gesehen doch ziemlich angestrengt ist, während das östliche im Grunde mehr auf das Tun Gottes setzt. Wir sollten hier voneinander lernen und uns in der Mitte treffen.