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18.06.2019 · Glaube · Beichte

Warum Habgier uns alle betrifft

Wenn ein Mensch nichts Bereicherndes in seinem Leben hat, dann bereichert er sich an Materiellem.

Die Habgier ist einer der stärksten emotionalen Antreiber im Menschen. Das Gefährliche an ihr: Sie lähmt den Verstand.

 

Warum das so ist und wie man ihr entgegensteuern kann, erklärt die Psychologin und Buchautorin Beate Weingardt im SONNTAG-Interview.

Die Habgier  (lateinisch avaritia) auch ekannt als Habsucht, Begierde, Begehrlichkeit, ist der unbeherrschte Wunsch, Vermögen oder Gegenstände mit theoretischem Wert zu besitzen. Dies geschieht in der Absicht, den Gegenstand für sich selbst zu behalten und ist weit entfernt vom Gebot des grundlegenden Überlebens und von Annehmlichkeiten.

 

Habgier bezeichnet also das Streben nach Reichtum, Status und Macht.

Motivation dafür kann ein Zustand innerer Leere sein.


Ihr Gegenstück ist die Großzügigkeit.

 


 

 

Ich kenne Knausrigkeit z. B. bei Trinkgeldern, obwohl mich mehr Großzügigkeit nicht arm machen würde, und die Schnäppchenfalle schnappt auch bei mir hin und wieder zu: Ich will etwas unbedingt besonders günstig kaufen, egal, wie der billige Preis zustande kommt, und kaufe dann u. U. auch Dinge, die ich aktuell gar nicht benötige, nur weil sie preisgünstig sind“, erzählt Beate Weingardt über ihre persönliche Erfahrung mit der Habgier.

 

In ihrer Schilderung können sich wohl viele von uns wiederfinden. Wie kommt es zur Habgier und warum hat sie uns so schnell im Griff?

 

Darüber haben wir mit der deutschen Theologin und Diplompsychologin gesprochen. Beate Weingardt hat in Heidelberg über das Thema „Der Prozess des Vergebens“ eine Doktorarbeit geschrieben und ist Referentin in der Erwachsenenbildung sowie Autorin zahlreicher Bücher.

 

In ihrer psychotherapeutischen Arbeit hat sie es immer wieder mit Problemen durch Habgier z. B. bei familiären Erbstreitigkeiten zu tun.

 
Was kennzeichnet die Habgier? Ab wann kann man von Habgier sprechen?


Beate Weingardt: Das erste Kennzeichen ist, dass man die Frage „Wozu möchte ich etwas haben?“ bei der Habgier nicht mehr stellt.

 

Das zweite Kennzeichen ist, dass man deutlich mehr Besitz anstrebt, als man verbrauchen kann. Der Besitz geht dann weit über das hinaus, was man eigentlich für ein komfortables Leben mit einer gewissen Sicherheit benötigt.

 

Was macht die Gier mit uns, wenn sie uns packt?


Da haben Sie ein Muster-Beispiel in Ihrem Land mit dem Herrn Strache im „Ibiza-Video“: Es war ja auch eine Gier, die er da an den Tag legte. Er hatte die Gier, die Wahl zu gewinnen.

 

Der Videoausschnitt zeigt ganz deutlich, dass die Gier immer den Verstand lähmt, der sagt: „Moment mal, halt, da gibt’s ja Grenzen, was machst du hier?“

 

Der Verstand wird durch die Gier, egal, ob jetzt Erfolgsgier, materielle Gier oder sexuelle Gier, immer lahmgelegt. Das ist das Gefährliche an der Gier. Sehr gut zu sehen ist, dass bei Herrn Strache im Video der Verstand immer wieder aufblitzt und Warnsignale sendet. Die Gier, die Aussicht auf Wahlgewinn, bringt den Verstand aber immer wieder zum Schweigen.

 

Grenzen einzuhalten setzt Vernunft voraus und das wird durch den starken emotionalen Antreiber der Gier quasi außer Kraft gesetzt. Im Ibiza-Video hat die Gier alles andere an Bedenken und Grenzeinhaltungsüberlegungen übertönt. Ich halte Herrn Strache nicht für zutiefst verkommen – der ist ganz normaler Durchschnitt.

 

Heißt das, dass das jedem passieren kann?

 

Ja. Gier ist ein starker Antreiber und kann jederzeit – da muss nicht einmal Alkohol im Spiel sein – den Verstand außer Kraft setzen. Die Habgier ist ein ganz starker Antreiber im Menschen.

 

In Europa lebten wir früher in einer großen Unsicherheit. Wir wussten nie, wann die nächste Mangelsituation oder Bedrohung wie Hunger, Armut oder eine Seuche über uns hereinbricht. Da haben die am ehesten überlebt, die etwas an Vorräten angelegt hatten. Das ist ganz tief in uns drinnen.

 

Habgier will auch das Bedürfnis nach Sicherheit befriedigen. Die, die vorausdachten und sich Vorräte anlegten, hatten einfach bessere Überlebenschancen. Wer von der Hand in den Mund lebte und nichts anhäufte, der konnte unter Umständen der erste sein, der auf der Strecke blieb.

 

Das ist tief im Menschen drinnen und daran appelliert auch unsere Konsumgesellschaft immer wieder: „Schaff dir einen Polster an! Du kannst nie genug haben!“


Im Christentum gibt es aber immer wieder die Aufforderung, keinen Besitz anzuhäufen und auf Gott zu vertrauen. Wie sehen Sie diesen Balanceakt?


Da sprechen Sie eine der fundamentalen Spannungen an, die der Christ aushalten muss. Ich würde eher sagen: Vertrau Gott, tu aber auch das Deine, dass du nicht gleich von jeder Notlage weggefegt werden kannst.

 

Der Glaube an Gott gibt uns eine andere Identitätsgrundlage. In unserer Gesellschaft ist die Identitätsgrundlage Erfolg und Erfolg misst sich bei uns im materiellem Erfolg. Die Beziehung zu Gott liefert da einen anderen Rahmen.

 

Erfolg ist aus biblischer Sicht, dass man Leben teilt. Dass man die eigenen Talente mit anderen Menschen teilt und nicht für sich selbst anhäuft.


Habgierige Menschen sind irgendwann einsam, weil sie Angst haben etwas abgeben zu müssen. Geiz ist die Kehrseite: Ich will von dem, was ich mir angehäuft habe, nichts abgeben. Habgierige müssen sich von anderen fern halten und das tun sie meistens auch.

 

Als Christ willst du aber in Verbundenheit und in Gemeinschaft mit anderen leben, weil das das Leben sinnvoll und erfüllt macht. Das schließt diese Fixierung „Hauptsache, ich hab’ viel“ aus.


Warum werden Menschen habgierig?


Es hat damit zu tun: Was füllt mich innerlich aus? Was habe ich an Bereicherungen in meinem Dasein? Wenn ein Mensch nichts Bereicherndes in seinem Leben hat, dann bereichert er sich an Materiellem. Je mehr Sie sonst Bereicherndes haben wie z. B. Beziehungen oder ein Hobby, dass Sie ausfüllt oder eine Arbeit, die Ihnen viel Freude macht, desto mehr tritt die Gier in den Hintergrund.

 

Ich beobachte auch, dass Menschen mit schlechtem Selbstwertgefühl, dieses steigern, indem sie sagen: „Schau mal, wie viel ich hab’!“ Das gibt Status, das gibt Anerkennung. Man vergleicht sich mit anderen und steht besser da. Das ist für viele Leute ein Baustein, ihr Selbstwertgefühl zu erhöhen.

 

Welche Folgesünden erwachsen aus der Habgier?


Unheimlich viele! Habgier ist wie ein Baum mit tiefen Wurzeln, der ganz viele Äste hat. Folgesünden der Habgier sind z. B. Unbarmherzigkeit und die Bereitschaft zu Lug und Trug, um die Reichtümer zu vermehren. Ich habe als Psychotherapeutin beim Thema Vergebung sehr viel zu tun mit Erbstreitigkeiten, wo in Familien die Habgier so durchbricht, dass dem alles andere wie Fairness und Verbundenheit geopfert wird.


Wie können wir frei werden von der Habgier oder uns davor schützen?


Frei werden wäre zu hoch gegriffen, aber man kann sagen: Schaffe dir in deinem Leben Bereicherungen, die dich ein Stück weit unabhängiger werden lassen, von Sätzen wie „Hast du was, dann bist du was“.

 

Überlegen Sie:

Was halte ich für wichtig und wertvoll in meinem Leben?

Wo empfinde ich ein tiefes Glück?

 

Da wird man immer auf die Themen Verbundenheit, Gemeinschaft und Glück teilen kommen. Das setzt Nachdenken voraus. Um das Nachdenken kommen Sie nicht herum und das ist, glaube ich, heute das große Problem.

 

Hilft der Glaube an Gott gegen Habgier?


Ja, aus mehreren Gründen: Menschen, die an Gott glauben, sind keine Einzelgänger, sie suchen immer Gemeinschaft und verbinden sich mit Menschen, die andere Werte leben. Wir brauchen diese Unterstützung. Allein gegen den Strom zu schwimmen ist viel schwerer.

 

Martin Buber hat mal gesagt: Erfolg ist keiner der Namen Gottes. Es ist nicht mein Besitz, der mich wertvoll macht. Als Christ macht mich wertvoll, dass ich da bin, dass ich mit anderen Menschen versuche, ein Stück von Gottes Barmherzigkeit auf dieser Erde umzusetzen.

 

Jesus hat gesagt: Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes, dann wird euch alles andere zufallen und wenn es euch nicht zufällt, dann ist es auch nicht immer die Tragödie. Jesus zeigt uns eine andere Rangordnung dessen, was im Leben zählt. 


Expertin:

Beate Weingardt
ist Psychotherapeutin, Erwachsenenbildnerin und evangelische Theologin.

 

Buchhinweis:

Beate Weingardt

„Was die Seele bewegt, bewegt auch den Körper:

Psychosomatische Signale verstehen – bewusster leben“ erschienen.

SCM-Verlag

ISBN: 978-3-417-26640-5

 

 

erstellt von: Der SONNTAG / Agathe Lauber-Gansterer
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Weitere Informationen:

Matthias Beck über die

Wurzelsünde Habgier:

Habgier bedeutet „Ich will alles haben.“ Dahinter steckt im Grunde: „Ich will nichts abgeben. Der Arme auf der Straße ist ja selber schuld an seinem Schicksal. Wieso soll ich, wo ich mein Geld so schwer verdient habe, davon etwas abgeben?“

 

Die gegenteilige Tugend wäre die Großzügigkeit. Gott ist großzügig, Gott verschenkt sich. Gott schenkt uns viele Gaben.

 

Der Geizige will alles festhalten. Ich denke, das ist heute eines der größten Probleme: Immer mehr Geld verdienen, im Internet immer mehr Daten sammeln, um immer mehr Macht zu haben. Das ist auch eine Form von Habgier. Das kann bis hin zu einer Sucht führen.

 

Dahinter steckt schon eine richtige Sehnsucht, dass ich mehr haben will. Aber die eigentliche, richtige Sehnsucht wäre, mehr zu sein und nicht mehr zu haben.

 

Der Mensch, der innerlich angebunden ist, ist im Grunde mit dem zufrieden, was Gott ihm schenkt. So war es im Paradies. Gott schenkt ja alles.

 

Doch der Mensch will mehr haben. Er hat Angst, dass Gott es nicht gut mit ihm meint, also muss er es raffen und will alles haben. Dahinter steckt im letzten das Denken, dass nach dem Leben auf dieser Erde eh alles vorbei ist und es keine Ewigkeit gibt, ein Stück Transzendenzverlust, der auch mit einem Vertrauensverlust Gott gegenüber zusammenhängt.

 

Glück kann man nicht machen und auch nicht kaufen. Ich kann das Glück nicht direkt anziehen, aber ich kann so leben, dass es sich einstellt. Ich kann richtig leben und dann wird es sich einstellen wie ein Geschenk, aber ich kann es nicht an mich reißen wie den Apfel vom Baum der Erkenntnis.

 

Man kann mit allem Geld den Herzschlag nicht machen. Man kann Gesundheit nicht machen. Wir können froh sein, wenn wir gesund sind, wenn alles funktioniert. Aber das meiste funktioniert von selbst.

 

Wie finde ich die Fülle des Lebens? Dazu kann dass Christentum eine Anleitung geben.

 

Experte


Ao. Univ.-Prof. Dr. Dr. Matthias Beck
lehrt Theologische Ethik mit Schwerpunkt Medizinethik an der Uni Wien.


 

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Die Gemeinschaft Cenacolo lädt alle zu einem besonderen Krippenspiel ein  – einer lebendigen Darstellung der Geburt Jesu mit selbstgebauten Kulissen, handgefertigten Kostümen und zwei echten Eseln.

 

Festmonat Dezember: Zwischen Kirschzweigen und Konsumrausch

Advent- der Inbegriff von Spannung zwischen Sehnsucht nach Innerlichkeit und angespannter Betriebsamkeit. Heiligenfeste bieten Kontrapunkte,

mit freundlicher Genehmigung der Rumänisch-Orthodoxen Kirche in Wien

Nikolaus ohne Drohfinger – warum der Heilige mehr kann als Sackerl verteilen

Ein Heiliger, der die Hand reicht – auch anderen Konfessionen und Religionen, wird er doch in der Ostkirche ebenso verehrt wie im Westen.

Papst mahnt: Synodaler Weg braucht mehr innerdeutschen Dialog

Papst Leo XIV. sieht den Reformprozess der deutschen Kirche noch nicht am Ziel. Beim Rückflug aus dem Libanon mahnte er mehr innerdeutschen Dialog an – und warnte vor Machtgefällen, die Stimmen vieler Gläubiger zum Verstummen bringen könnten. Vielfalt in der Synodalität sei kein Bruch, sondern Stärke.

Grünwidl: Kirche und Medien teilen Verantwortung für Wahrheit

Kirche und Medien tragen gemeinsam Verantwortung für Wahrheit, betonte der designierte Wiener Erzbischof Josef Grünwidl bei der Adventbegegnung mit ORF-Mitarbeitern.

Bürgermeister Ludwig: Bibelerzählung von Sturm am See „Anleitung für Politiker“

Herausforderungen mit kühlem Kopf zu meistern und die Nerven nicht wegzuschmeißen, könne man von der Bibel lernen, so der Wiener Bürgermeister bei der „Nacht der Stille“ im Stephansdom.

Votivkirche: Palästina-Banner entfernt

Spezialkletterer entfernten palästinensische Fahnen von den Türmen der Votivkirche in Wien. Die Erzdiözese prüft rechtliche Schritte.

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