Größerer Stellenwert der Heiligen Schrift: Vor jeder Sitzung des Konzils wurde das Evangeliar feierlich inthronisiert.
Größerer Stellenwert der Heiligen Schrift: Vor jeder Sitzung des Konzils wurde das Evangeliar feierlich inthronisiert.
Andreas Redtenbacher über die Veränderungen der Moderne und den Umgang der Kirche mit ihnen.
Konzile haben eigene historische Ursprünge und spezifische Vorgeschichten. Die des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) wuchs aus vielfältigen Entwicklungssträngen zusammen:
Die gesellschaftlichen Bedingungen hatten sich in der Moderne gewaltig und in immer rascherem Tempo verändert, die Welt rückte zusammen und in ihr war die Kirche in eine Abwehr- und Verteidigungshaltung hineingeraten, die in zahlreichen Ländern zu einer unfruchtbaren pastoralen Sterilität führte. Zugleich aber war eine von ihren Quellen her erneuerte Theologie gewachsen, die zum Durchbruch drängte. Und vor allem hatte die Liturgische Bewegung des 19. und 20. Jh. den Boden von innen her für eine umfassende Erneuerung der Kirche bereitet, die dann in der Liturgiereform des Konzils sichtbar wurde.
In all dem ging es – mit den Worten des Konzilspapstes Johannes XXIII. – um das "aggiornamento" (= auf den Tag bringen, Verheutigung) der Kirche. Das "aggiornamento" musste aber in erster Linie ein "ressourcement" (= Wiederaufgreifen der ursprünglichen Quellen) sein, sollte es nicht an der Oberfläche bleiben.
Als erstes von 16 Dokumenten verabschiedeten die Konzilsväter am 4. Dezember 1963 die Liturgiekonstitition "Sacrosanctum Concilium" (SC). In ihr gelangte die "Volksliturgische Bewegung" mit Pius Parsch zum Durchbruch. Die meisten Konzilsväter kannten seine Schriften, in denen er als Grundanliegen die "aktive Teilhnahme" des ganzen Volkes Gottes an der Liturgie forderte. SC entfaltet dieses Hauptanliegen und gibt dem Gottesdienst zugleich ein umfassendes theologisches Fundament, das die "aktive Teilnahme" begründet.
Liturgie wird neu gesehen als "Handeln Gottes" am Menschen, als "Gottes Dienst" am Menschen, in dem Christus der erste Liturge ist und uns Anteil schenkt an seinem Paschamysterium. Sie ist Vollzug des Heilshandelns Gottes und daher auch wesentlich selbst Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen.
Darum wird auch der Heiligen Schrift, die die Heilsgeschichte bezeugt, nun ein größerer Stellenwert gegeben. Gottesdienst sollte als erste Quelle des Glaubens wieder mitvollziehbar und verständlich sein: Handlungen, Zeichen und Symbole sollten klarer und von edler Einfachheit sein, um das Heilige, das sie bezeichnen, besser zum Leuchten zu bringen, der Muttersprache und der Anpassung an die Eigenart der Kulturen (Inkulturation) sollte Raum gegeben werden, und schließlich sollten die Anliegen der Liturgischen Bewegung als Dauerauftrag stets neu beachtet werden.
Die heute unter 50-Jährigen erkennen kaum mehr den Unterschied und den geistlichen Reichtum, den die Liturgiereform neu in das Leben der Gemeinden hineingetragen hat. Trotz dieses als "aggiornamento" sichtbar gewordenen Unterschieds war die Konzilsreform aber in erster Linie "ressourcement": das Wiederaufgreifen einer ursprünglicheren und aus den alten liturgischen Quellen her erneuerten Liturgiegestalt.
Es gibt darum keinen Bruch zwischen der Liturgie, wie sie im Anschluss an das Konzil von Trient geordnet wurde, und der Liturgiegestalt von heute. Viele Anliegen der letzten Liturgiereform waren auch schon Anliegen des Konzils von Trient vor 400 Jahren: eine größere Klarheit und Durchschaubarkeit des Ritus, der von mittelalterlichem Wildwuchs und Missbrauch befreit wurde. Vor allem die starke Betonung der liturgischen Belehrung des Volkes um des Verstehens und des Mitvollzugs willen – ein Anliegen, dessen sich SC als "liturgische Bildung" und "Mystagogie" stark bewusst und das heute aktueller denn je ist.
Die Geschichte Feier der Eucharistie und der Heiligen Messe