Dr. Richard Tatzreiter, Regens des Wiener Priesterseminars (www.wienerpriesterseminar.at).
Dr. Richard Tatzreiter, Regens des Wiener Priesterseminars (www.wienerpriesterseminar.at).
Interview mit Richard Tatzreiter, Regens des Wiener Priesterseminars, über die Aufgaben, die Papst Franziskus auch an die (auszubildenden) Priester stellt.
Papst Franziskus verlangt von den Seelsorgern, „mitten in das Drama der Menschen einzutreten und ihren Gesichtspunkt zu verstehen“ ("Amoris laetitia" , Nr. 312). Werden die Priesterseminaristen in ihrer Ausbildung dazu befähigt?
Tatzreiter: Was Papst Franziskus da zur Verantwortung der Seelsorger sagt, hat seinen tiefsten Grund im Geheimnis unseres christlichen Glaubens: Gott ist tatsächlich selbst in das Drama der Menschen eingetreten in der Person Jesu Christi – seine Menschwerdung ist programmatisch für die ganze Kirche, die sich deshalb als Gemeinschaft „mit der Menschheit und ihrer Geschichte wirklich engstens verbunden erfährt“ (Gaudium et spes, 1).
Sich als Christ wirklich für die Menschen und ihre Lebenssituation zu interessieren und an ihr teilzunehmen, beginnt daher nicht erst in der Priesterausbildung!
Diese setzt vielmehr dieses christliche und pastorale Grundverständnis voraus. Dieses wird dann zusammen mit den entsprechenden Fähigkeiten auf dem Ausbildungsweg zum priesterlichen Dienst auf verschiedene Weise gefördert und entfaltet.
Ob und wie das bei den einzelnen Seminaristen gelingt, zeigt sich nicht nur in der Hausgemeinschaft und den Kursen des Priesterseminars, sondern schon zuvor in der Gruppe im Propädeutikum (erstes Jahr) mit Sozialpraktikum und Bibelschule im Heiligen Land, dann im Theologiestudium an der Universität, in den Bezugspfarren, im Externjahr, in der Lehrtätigkeit im Religionsunterricht, im pastoralen Praktikum...
Die Priester haben die Aufgabe „… die betroffenen Menschen auf dem Weg der Unterscheidung zu begleiten …“ (AL 300). Hat die Ausbildung der Begleitung den Stellenwert, den sie verdient?
Tatzreiter: Menschen auf ihrem Lebens- und Glaubensweg begleiten kann nur, wer selbst kompetente Begleitung erfahren hat und kontinuierlich in Anspruch nimmt. Darauf legen wir als Vorsteher größten Wert.
Im eigenen, geistlich geführten Leben, im geistlichen Gespräch, in der Teilnahme am kirchlichen Leben und am konkreten Schicksal von Menschen lässt sich lernen, was Begleitung und Unterscheidung bedeutet.
Letztlich steht jeder Priester, der als solcher „Diener des Lebens“ ist, selbst unter dem göttlichen Führungsanspruch: „Du zeigst mir den Weg zum Leben“ (Ps 16,11).
Wie übt man als Alumne den gleichsam würdigenden Blick (vgl. AL 128) angesichts einer möglichen „kalten Schreibtisch-Moral“ (AL 312) ein?
Tatzreiter: So wichtig es ist, sich als Seminarist und Theologiestudent mit den Grundsätzen und Spielregeln christlicher Morallehre, mit Sozialethik und Kirchenrecht, mit unserer Gesellschaft akademisch auseinanderzusetzen und sich umfassendes Wissen darüber anzueignen, so geht doch die Kompetenz, das konkrete menschliche Leben zu verstehen und im Licht des Glaubens zu begleiten noch darüber hinaus.
Am Schreibtisch kann man vieles lernen, aber bei Weitem nicht alles!
Theorie und Praxis – beides ist für die Ausübung des priesterlichen Dienstes notwendig, wie ein Professor einmal gemeint hat: „Grau ist alle Theorie, aber gräulich alle Praxis ohne sie!“
Den „würdigenden Blick“ müssen wir als Christen allerdings ein Leben lang einüben, um im Mitmenschen Christus zu entdecken – das gilt auch und besonders für jene, die die Verantwortung übernehmen sollen, als priesterliche Diener Jesu in seiner Spur Anwälte für die menschliche Würde zu sein.
Was Papst Franziskus in "Amoris laetitia" von den Priestern erwartet (Nr. 300 und Nr. 312).
Die Priester haben die Aufgabe, die betroffenen Menschen entsprechend der Lehre der Kirche und der Richtlinien des Bischofs auf dem Weg der Unterscheidung zu begleiten.
In diesem Prozess wird es hilfreich sein, durch Momente des Nachdenkens und der Reue eine Erforschung des Gewissens vorzunehmen.
Die wiederverheirateten Geschiedenen sollten sich fragen, wie sie sich ihren Kindern gegenüber verhalten haben, seit ihre eheliche Verbindung in die Krise geriet; ob es Versöhnungsversuche gegeben hat; wie die Lage des verlassenen Partners ist; welche Folgen die neue Beziehung auf den Rest der Familie und die Gemeinschaft der Gläubigen hat; welches Beispiel sie den jungen Menschen gibt, die sich auf die Ehe vorbereiten...“
Es handelt sich um einen Weg der Begleitung und der Unterscheidung, der „diese Gläubigen darauf aus[richtet], sich ihrer Situation vor Gott bewusst zu werden.
Das Gespräch mit dem Priester im Forum internum trägt zur Bildung einer rechten Beurteilung dessen bei, was die Möglichkeit einer volleren Teilnahme am Leben der Kirche behindert, und kann helfen, Wege zu finden, diese zu begünstigen und wachsen zu lassen.“
(Aus: "Amoris laetitia" Nr. 300)
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Das verleiht uns einen Rahmen und ein Klima, die uns davon abhalten, im Reden über die heikelsten Themen eine kalte Schreibtisch-Moral zu entfalten, und uns vielmehr in den Zusammenhang einer pastoralen Unterscheidung voll barmherziger Liebe versetzen...
(Aus: "Amoris laetitia", Nr. 312)
Der vollständige Text zum Download:
www.dersonntag.at/amoris_laetitia
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