Auf König David werden viele Psalmen zurückgeführt.
Auf König David werden viele Psalmen zurückgeführt.
Warum die Psalmen Israels zum wichtigsten Gebetbuch der Christen geworden sind: Universitäts-Professor Frank Crüsemann im „Sonntag“-Gespräch.
Wie können wir mit dem Gottesvolk des Bundes, dem Judentum – und mit allen Nationen – Gott loben?
Crüsemann: Das tut die Christenheit von ihren ersten Anfängen an – indem sie die Psalmen Israels übernommen und zu ihrem wichtigsten Gebetbuch gemacht hat. Im Neuen Testament sind die Psalmen das am zweitmeisten zitierte Buch (ca. 370 mal). Es gibt keinen christlichen Gottesdienst ohne sie.
Und die persönliche Frömmigkeit ist zutiefst durch sie geprägt. Man denke an Psalm 23: „Der Herr ist mein Hirte“. Oder an Psalm 121: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen…“. Man denke an Lobpsalmen wie den 103: „Lobe den Herrn meine Seele, … der dir all deine Sünden vergibt“ oder an Bußpsalmen wie den 130: „Wenn du Herr Sünden anrechnen willst…“ Man denke an die Rolle von Psalm 139 für das Gottesbild: „Von allen Seiten umgibst du mich“.
Dazu kommen die vielen Nachdichtungen im Gesangbuch. Und nirgends wird deutlicher als in den Psalmen formuliert, dass sich Israel mit der gesamten Schöpfung und mit allen Völkern ohne Ansicht ihrer Religion in ein unendliches Lob Gottes einbezogen sieht. Wir loben also Gott mit Israel, aber wissen wir immer, was wir da tun?
Inwiefern ist das Alte Testament – auch mit seinen Gebeten und seinem Gotteslob – der Wahrheitsraum für das Neue Testament?
Crüsemann: In diesen Gebeten fehlt auch für unser Gefühl nichts im Umgang mit Gott und doch ist dabei in keiner Form von Jesus Christus die Rede. Was bedeutet das? Und was folgt daraus? Für mich sind sie das vielleicht wichtigste Beispiel für das, was ich den Wahrheitsraum des Neuen Testamentes nenne. Sie sind lange vor Jesus entstanden, von ihm ist nirgends die Rede und doch – alles was christliche Gotteserfahrung ausmacht, ist hier bereits formuliert.
Wir haben diese Sprache übernommen, genau wie schon das Neue Testament. Gerade auch die angeblich abweichenden Bilder von Jesus als Messias finden sich schon hier. Man denke nur an die Schilderung seines Todes am Kreuz in den Evangelien – sie besteht aus einer einzigen Kette von Psalmenzitaten.
Wie beten und lesen wir Christinnen und Christen die Psalmen als Gebete Israels und auch als unsere Gebete?
Crüsemann: Wie oft aber ist diese Herkunft von Israel verschwiegen worden! Und die Tatsache, dass das Judentum bis heute die gleichen Texte betet und sie seine Frömmigkeit und seine Feste zutiefst bestimmen, wird nach wie vor nicht selten verdrängt. Welch perverser Aufwand musste jahrhundertelang betrieben werden, um mit diesen Gebeten Israels Gott zu loben und gleichzeitig das Judentum als ungläubig und verworfen anzusehen.
Und welche Ängste müssen hinter solcher Verdrängung stehen. Ob wir nicht nur mit den gleichen Texten, sondern wirklich einmal gemeinsam mit dem Judentum Gott feiern werden, steht dahin. Die lange Geschichte christlicher Judenfeindschaft ist nicht so schnell zu überwinden und sie flackert ja auch immer wieder auf. Aber wir können anfangen uns dessen, was wir da tun, immer mehr bewusst zu werden. Und dafür dankbar sein.
Em. Univ. Prof. Frank Crüssemann ist ein deutscher Alttestamentler.
Von 1980 bis 2004 lehrte er an der Kirchlichen Hochschule Bethel (D).
Schwerpunkt Beten auf erzdioezese-wien.at