Dorothee Mann: „Das Gebet verändert zunächst einmal uns..."
Dorothee Mann: „Das Gebet verändert zunächst einmal uns..."
Welche „Kraft" das Bitt- und das Dankgebet haben: Dorothee Mann im Gespräch.
Was tun wir, wenn wir beten?
Mann: Wir treten in die Gegenwart Gottes. Wir öffnen unser kleines, enges Ego auf eine größere Wirklichkeit hin. Wir lassen uns von dieser anderen Wirklichkeit ansprechen, aufschließen und in Bewegung bringen. Wir vertrauen im Gebet uns und unsere Welt dieser Wirklichkeit an, der Wirklichkeit Gottes, die in Jesus von Nazareth Gestalt angenommen und sich uns als Güte und Liebe geoffenbart hat.
Was „bewirkt" das Gebet?
Mann: Es verändert zunächst einmal uns und unser Verhältnis zur Wirklichkeit. Nehmen wir z.B. das Tischgebet. Es verwandelt erstens uns selbst: aus gleichgültigen werden dankbare Menschen. Sodann verwandelt es unser Verhältnis zu den Dingen: Aus Naturprodukten und Produkten der Lebensmittelindustrie werden Geschenke des himmlischen Vaters, werden Zeichen seiner Fürsorge. Das Tischgebet verändert nicht die Speisen; sie schmecken nach dem Gebet nicht anders, sondern es verändert und formt uns Menschen, unser Bewusstsein, unsere Wahrnehmung.
Warum steht uns in der Praxis das Bitt-Gebet oft näher als das Dankgebet?
Mann: Weil wir meistens mehr mit unseren Nöten und mit den Menschen, um die wir uns sorgen, beschäftigt sind, als mit Gott. Dabei täte es gerade uns in Westeuropa gut, mehr aus der Dankbarkeit zu leben. Wir nehmen vieles von dem, was gelingt und funktioniert, als selbstverständlich hin, was es nicht ist. Wer bedankt sich schon, dass eine Konferenz kollegial und konstruktiv verlief?
Dass das Team dabei einen gemeinsamen Schritt weitergekommen ist, scheint normal; ist es aber nicht. Es ginge uns wahrscheinlich psychisch besser, wenn wir wieder wahrnehmen, was alles nicht selbstverständlich ist und dass das, was gelingt und glückt, dem manifesten Wirken des Geistes Gottes zuzuschreiben ist. Die Juden danken dafür, dass morgens die Sonne aufgeht, sie Licht und Wärme bringt. Auch sie wissen, dass das erklärbare, verlässliche Naturabläufe sind. Aber sind sie deshalb selbstverständlich? Ich denke nicht. Es sind alles gute Gaben, mit denen Gott uns trägt, umfängt, uns sein Erbarmen und seine Hilfe schenkt. Wir nehmen, benutzen, konsumieren diese Gaben meist gedankenlos, undankbar. Danken kommt ja von Denken.
Zur (Zeit-)Not des Betens: Wie können Alltag und Gebet verbunden werden?
Mann: Indem wir beides nicht trennen, sondern den Alltag in die Gegenwart Gottes versetzen bzw. den Alltag aus Gottes Schöpferhand entgegennehmen. Das ist ein Akt menschlicher Freiheit und personaler Interpretation. Ich kann inmitten der Arbeit, im Großstadtrummel, in einem Konfliktgespräch die innere Antenne ausfahren und fragen: „Na, was sagst Du dazu?“ Oder ein kurzes, inniges Stoßgebet zum Himmel schicken oder ein fröhliches Dankeschön, wenn etwas besonders gelungen ist.