Zu den Stärken des Gebetraums gehört, dass er ein Ort ist, in dem wir in Gemeinschaft verletzlich und ehrlich mit Gott sein können. Auf diese Weise können wir des anderen Last mittragen, so Pete Greig.
Zu den Stärken des Gebetraums gehört, dass er ein Ort ist, in dem wir in Gemeinschaft verletzlich und ehrlich mit Gott sein können. Auf diese Weise können wir des anderen Last mittragen, so Pete Greig.
Pete Greig, Gründer der 24-7-Prayer-Bewegung, erklärt, warum er ein schlechter Beter ist, wie Punker beten, warum er ein schlechter Nichtchrist war und was sich in einem Lieferwagen in Delhi abspielt. Das ausführliche SONNTAG-Interview hat Chefredakteur Michael Prüller geführt.
Was sagen Sie, wenn man Sie nach Ihrem Beruf fragt?
Pete Greig: Ich bin ein Vikar, das ist in der anglikanischen Kirche ein Pfarrgeistlicher. Ich leite die weltweite 24-7-Prayer-Bewegung, ich bin Seelsorger in einer lokalen Kirche, Guildford, im Süden von London, und bis vor kurzem war ich auch Gebetsleiter in einer sehr großen anglikanischen Kirche, Holy Trinity Brompton.
Was ist 24-7 Prayer eigentlich – eine Bewegung, eine geistliche Familie, eine weltweite Gebetsgruppe?
Pete Greig: 24-7 Prayer ist eine internationale, interkonfessionelle Bewegung des Gebetes, der Mission und der sozialen Gerechtigkeit.
Wir sind in mehr als der Hälfte aller Länder der Erde tätig. Wir beten ohne Unterlass rund um die Uhr, bei Tag und bei Nacht. Und wir haben ein Netzwerk von missionarischen und monastischen Initiativen auf vier Erdteilen.
Was ist das Herz der Bewegung? Wie manifestiert sie sich?
Pete Greig: Menschen bilden einen Gebetsraum. Hier in Österreich, besonders mit der mit uns verbundenen Loretto-Gemeinschaft, beten sie normalerweise in Gegenwart des konsekrierten Sakraments.
In nichtkatholischem Umfeld beten sie vielleicht in Universitäten oder in Kirchengebäuden, in Nachtclubs, in Orten aller Art. Wir haben Gebetsräume in der US-Marineakademie, in einer Brauerei in Missouri, in einem Jazz-Club in Stockholm, in einem Lieferwagen in den Slums von New Delhi in Indien.
Die Menschen organisieren das Gebet meistens in Ein-Stunden-Schichten. Manchmal ist es ein ganz einfaches Gebet, manchmal ein sehr kreatives. Und das geht eine Woche lang so oder auch ein Monat oder länger.
In einem Gebetsraum in London ist das Gebet seit drei Jahren nicht unterbrochen worden.
Was macht 24-7 Prayer anders? Beten hat es ja schon immer gegeben.
Pete Greig: Ja, das stimmt. Beten ist nichts Neues. Die Kirche ist aus einem 24-7-Gebet entstanden, in Jerusalem. 24-7 Prayer ist etwas, was der Heilige Geist gewirkt hat. Es war sicherlich nicht meine Idee.
Wäre jemand vor 15 Jahren zu mir gekommen und hätte gesagt: Gründen wir eine Gebetsgemeinschaft, hätte ich gesagt: Was für eine blöde Idee.
Wir haben einfach mit einem Gebetsraum in einer Kirche in einem Lagerhaus an der Südküste Englands begonnen – einfach weil wir wussten, dass das Gebet der Schlüssel für alles weitere im Leben des Christen ist, und dass wir schlecht im Beten sind.
Das war im September 1999 – und dann ist es viral geworden. Und wir haben die ersten fünf Jahre dauernd gedacht, dass das jetzt bald wieder aufhören wird und wir mit dem Rest unseres Lebens beginnen werden.
Aber heute feiern wir den 15. Geburtstag, und die Bewegung wächst schneller als je zuvor.
Was ist das Geheimnis des Wachstums von 24-7 Prayer?
Pete Greig: Die Menschen sind hungrig nach Gott. Viele Christen wollen eine echte Beziehung zu Jesus. Wir leben in einer Ära des Säkularismus, es ist so leicht, die Kirche zu verlassen.
Aber wenn man bleibt, will man das Wahre. Auch unter Nichtchristen erleben wir ein riesiges Interesse am Gebet.
Wir begegnen überall Menschen, die nicht wollen, dass ihnen gepredigt wird, aber die wollen, dass man mit ihnen und für sie betet.
Viele Menschen, die unsere Gebetsräume benutzen, bezeichnen sich nicht einmal als Christen. Ein Ort des Wachstums sind auch Schulen, viele Gebetsräume sind in Schulen, und nicht nur in kirchlichen. In staatlichen Schulen heißt das „Lernerfahrungen außerhalb des Lehrplans“.
Atheistische Lehrer sagen, das ist ein guter Weg, um durch eigene Erfahrungen etwas über Religion zu lernen. Und es passieren oft wunderbare Dinge. Ich denke, weil es Gott gibt, und wir sehr mächtig sein können, wenn wir zu ihm sprechen.
Welche Regeln gibt es bei 24-7 Prayer?
Pete Greig: So wenige wie möglich, weil wir international sind und weil wir interkonfessionell sind. In einem katholischen Kontext bin ich ganz klar: Tu, was dein Priester sagt!
Vielfach sind die Beter sehr kreativ. Wie kann man das Gebet nur auf Worte beschränken? Viele spielen dazu jede Art von Musik, laut, leise, sogar nichtreligiöse Musik.
Und – obwohl wir das nie Leuten nahegelegt haben: Viele Gebetsräume haben Graffiti an den Wänden. Es bewegt mich sehr, in einen Raum zu kommen und die Schreie der Herzen an der Wand zu lesen. Überall treffen wir gebrochene Menschen, mit schweren Nöten.
In der Gegenwart Gottes können wir verletzlich sein und ehrlich mit unseren Schwächen umgehen. Zu den Stärken des Gebetraums gehört, dass er ein Ort ist, in dem wir in Gemeinschaft verletzlich und ehrlich mit Gott sein können. Auf diese Weise können wir des anderen Last mittragen.
Und die Gebetserhörungen, die Wunder, die wir miterleben! Unterschiedliche Gebetsräume können verschiedene Anliegen haben – die Flüchtlingskrise, der Menschenhandel usw. – aber das Wichtigste ist, dass der Gebetsraum ein Ort der Kontemplation und der Anbetung ist.
Wo wir darum beten, dass die Welt sich ändert für das kommende Reich Gottes. Ein Ort, wo man spürt, dass Gott anwesend ist und real und dass wir bei ihm sein können.
Kardinal Schönborns Bischofsmotto ist ja: „Ich aber habe euch Freunde genannt“ – und Gebetsräume sind Orte dieser Freundschaft mit Gott.
Menschen verschiedener Konfessionen beten bei Ihnen ohne Scheu gemeinsam.
Pete Greig: Wir haben ja 99 Prozent Übereinstimmung. Natürlich gibt es Unterschiede zwischen den verschiedenen Arten der Christen, aber an die meisten Dinge glauben wir gemeinsam, und wir lieben denselben Gott.
Außerdem glaube ich, dass diese Generation immer weniger an dieser Art von Stammeskriegen innerhalb der Kirche interessiert ist. Wir sehen einander an, und statt festzustellen, was mit den anderen nicht stimmt, stellen wir fest, wo sie recht haben und was wir von ihnen lernen können.
Unsere Gebetsnacht im Stephansdom beginnt der Chor mit dem Veni Creator Spiritus (Komm Schöpfer Geist, Anm.)
Für mich als Charismatiker ist das ein sehr vertrautes Gebet, auch wenn ich es normalerweise nicht auf Latein und mit einem Chor singe. Aber ich liebe es, dass wir dieses Gebet durch seine wunderbare Musik hier zelebrieren, die Michelangelo zu seinem großartigen Deckengemälde in der Sixtinischen Kapelle inspiriert hat.
Ich glaube, es bereichert die verschiedenen christlichen Traditionen, gemeinsam zu beten und voneinander zu lernen. Ich bin unglaublich beeindruckt von Kardinal Schönborn und von der Loretto-Bewegung und anderen christlichen Freunden und Traditionen hier in Österreich. Ich will die Unterschiede nicht klein machen, und sie sind wichtig, aber die Gemeinsamkeiten sind um vieles größer.
Und wenn wir nicht im Gebet zusammenfinden können, dann können wir niemals irgendwo anders zusammenfinden. Das Gebet ist eines der Dinge, die uns allen gemeinsam sind.
In Ihrem Buch „Red Moon Rising“ sagen Sie, dass Sie niemals jemanden überreden mussten, einen Gebetsraum zu gründen. Stimmt das?
Pete Greig: Tatsächlich habe ich immer wieder versucht, Menschen zu überreden, mit einem Gebetsraum aufzuhören, weil sie mir erschöpft vorkamen oder ich den Eindruck hatte, dass sie sich zu sehr anstrengen.
Ich sage oft: Warum nimmst du es nicht leichter? Du bist nicht Gott, Gott ist Gott, entspann dich! Aber wir haben wirklich kein Marketing-Budget bei 24-7 Prayer, und wir überreden niemanden.
Wir finden einfach Leute, die beten wollen – und wir glauben, dass es unser Charisma ist, zu versuchen, ihnen dabei zu helfen.
Ist 24-7 Prayer in seiner auf das Beten fokussierten Art und seiner Attraktion für alle Konfessionen eine Art von dezentralem Taizé?
Pete Greig: Taizé ist die großartigste Erneuerungsbewegung, sie ist ökumenisch und wirklich auf das Gebet hin zentriert, auf die Begegnung mit Gott und auf die Pilgerschaft. Ich glaube nicht, dass wir uns mit Taizé vergleichen können. Ich weiß auch gar nicht, was wir eigentlich sind.
Ich weiß nur: Wir haben angefangen zu beten, weil wir auf der Suche nach Gott waren. Und dann hat Gott geniest, der Virus hat sich verbreitet und verbreitet sich immer noch.
Wie beten Sie selbst?
Pete Greig: Da kann ich eine theologische Antwort geben – und die Antwort, die Sie hören wollen.
Wir verbringen eine Stunde im Gebet, um für die restlichen 23 Stunden selber ein Ort des Gebets zu werden.
So dass ich instinktiv bete, wenn ich etwa im Fernsehen etwas über die Flüchtlinge sehe. So kann ich mit Ihnen reden und in Ihnen Jesus sehen, weil ich heute schon ganz bewusst eine Zeitlang mit Jesus verbracht habe. Auf diese Weise versuche ich, 24 Stunden lang im Gebet zu sein.
Ich bete jede Früh mit Schriftlesung, und ich habe auch eine Liste von Leuten, für die ich jeden Tag bete. Zu Mittag bete ich, wie unsere ganze Gemeinschaft, das Vaterunser. Eine Tradition, die möglicherweise bis in die Zeit Christi zurückreicht.
Am Abend habe ich eine ignatianische Gebetsstunde, und dann natürlich Zeit in Gebetsräumen, Gebetstage, Einkehrtage. Es fällt mir immer noch schwer zu beten. Ich bin kein von Natur aus kein Beter. Von Natur aus bin ich Pragmatist und Aktivist.
Wie fängt jemand am besten an, wenn Beten für ihn neu ist?
Pete Greig: Zuerst müssen wir lernen, in der Muttersprache unserer eigenen Psychologie und unserer eigenen Umstände zu beten.
Viel zu viele Menschen versuchen so zu beten wie alle anderen. Aber weil Gott uns alle unterschiedlich gemacht hat, muss jeder von uns lernen, wie ihn Gott gemacht hat.
Wenn man introvertiert ist und in eine Pfingstler-Kirche kommt, und jemand sagt: Lasst uns beten!, und alle fangen an, laut auszurufen – dann hat man das Gefühl, ein schlechter Beter zu sein. Dabei ist man bloß introvertiert.
Oder wenn man ausgesprochen extrovertiert ist, jemand, der allein in einem Raum nicht einmal denken kann, weil er mit jemandem reden muss, um zu wissen, was er denkt: Wenn so jemand in einer Kirche ist, wo alle ganz still beten, dann findet er das Beten extrem schwer.
Man muss lernen, so zu beten wie man ist.
Ich erinnere mich an einen Punk, der kam, um Jesus kennenzulernen. Er hatte diese verrückten Dreadlocks und Batik-Overalls und Sicherheitsnadeln in der Nase. Sein Name ist Ruben und ich versuchte ihn zu Jesus zu führen und ließ ihn bei mir zuhause wohnen.
Dort hat er versucht, beten zu lernen. Er hatte keine Ahnung von all dem großartigen Christenzeugs – alles, was er hatte, war eine Bibel. Und ich erinnere mich noch gut, wie ich nachhause komme und den Schlüssel ins Schlüsselloch stecke und schon den Blues hören kann, John Lee Hooker, der mir da mit Wucht entgegenschallt: boom-boom, blamm-blamm. Und als ich die Türe aufmache, sitzt da Ruben auf der Sofalehne, der Blues dröhnt aus den Boxen, und er rappt einen Psalm zu dieser Musik. Niemand hatte ihm je erklärt, dass er das tun oder nicht tun sollte.
Und ich glaube, solche Dinge sind eine Freude für Gott. ER sagt: Sing mir ein neues Lied! ER liebt Innovation.
Sind sie in einer betenden Familie aufgewachsen?
Pete Greig: Ja. Wir haben gemeinsam zu den Mahlzeiten gebetet, und ich habe mit meiner Mutter oder meinem Vater ein Abendgebet gesprochen. Mein Vater war ein alter Mann, 1910 geboren, 35 Jahre älter als meine Mutter – aber ich habe ihn oft gesehen, wie er in der Nacht neben seinem Bett kniet und leise betet. Als Kind fragt man sich natürlich, was er da tut und was er sagt.
Als ich 17 war, habe ich dann meinen christlichen Glauben aufgegeben. Dann habe ich aber eine sehr deprimierende Erfahrung gemacht: Ich war sehr schlecht darin gewesen, Christ zu sein – aber ich war genauso schlecht darin, ein Nichtchrist zu sein!
Dabei hatte ich immer gedacht, ich würde einmal ein hervorragender Nichtchrist sein, dass ich sündigen würde auf Teufel komm raus. Und dann musste ich entdecken, dass ich eigentlich ganz vernünftig gelebt habe.
Und dann habe ich wirklich meinen eigenen Glauben entdeckt…
Immer wieder erleben wir, dass charismatischen Führern neuer Bewegungen der Erfolg zu Kopf steigt und sie vom Weg abkommen. Wie bleiben Sie selbst demütig?
Pete Greig: Erstens mache ich mir klar, dass es nicht mein Verdienst ist, dass Gott Gebete erhört. Wunderbare Dinge geschehen, weil Gott wirklich ist und Menschen zu ihm sprechen.
Das Zweite ist: Als 24-7 Prayer immer größer wurde, wollten irgendwie alle mit mir einen Kaffee trinken gehen. Eine Zeit lang wurde ich immer einsamer, weil ich ständig neue Leute getroffen habe und meine wirklichen Freunde kaum sah.
Und darum bin jetzt sehr diszipliniert, wenn es darum geht, Zeit mit meinen engen Freunden zu verbringen, die unbeeindruckt sind und wissen, was für ein Idiot ich bin.
Und die tatsächlich gelangweilt sind, wenn ich anfange, zu viel über 24-7 zu reden – weil sie über Fußball reden wollen oder über Musik oder solche Sachen. Und das sind dieselben Leute, zu denen ich gehe, wenn ich entmutigt bin oder niedergeschlagen verbringe, und denen ich beichte, wenn ich gesündigt habe. Ganz normale Freunde, auch außerhalb von 24-7 Prayer.
Und dann gab es eine Zeit, ein Jahr nach Gründung von 24-7 Prayer, als meine Frau schwer krank wurde und viele Male beinahe gestorben wäre. Davor hatte ich gedacht, meine Gebete könnten die Welt retten – und dann habe ich plötzlich erlebt, dass meine Gebete nicht einmal meine Frau retten können.
Ich musste mit unseren zwei sehr kleinen Kindern zurande kommen, und Erfolg hat für mich damals schon bedeutet, in der Früh die Hosen anziehen zu können. Alles andere war ein Bonus.
Ich musste lernen, mit diesem Paradoxon zu leben: Auf der einen Seite habe ich die aufregendste Mailbox der Welt – so viele unglaubliche Geschichten von Gebetserhörungen, die sich manchmal lesen wie Wunder aus dem Neuen Testament.
Und auf der anderen Seite sehe ich meine Frau, wie sie epileptische Anfälle hat, und ich Gott bitte: Hilf doch! Und es funktioniert nicht. So musste ich lernen, mit Glaube und Enttäuschung zugleich zu leben. Daraus habe ich aber auch gelernt: Führen kann man nur aus der Verletzlichkeit heraus.
Eine der Ermutigungen damals war die: Vor der Krankheit meiner Frau kamen lauter Leute, um mit mir zu reden, und sie waren diese Art Bla-bla-bla-wie-bin-ich gut-Leute. Dann kamen sehr bald die Menschen, die gebrochen waren und krank und entmutigt – und ich war dankbar für diesen Wandel.
Außerdem: 24-7 Prayer ist sehr dezentralisiert. Viele Leute in der Bewegung wissen gar nicht, wer ich bin.
Wenn Gebete nicht immer erhört werden: Was ist dann die eigentliche Frucht des Gebetes?
Pete Greig: Zu wissen, dass wir geliebt sind.
Kardinal Schönborn via Sykpe aus Rom beim 24-7 Abend:
Pete Greig: Die Menschen sind hungrig nach Gott. Viele Christen wollen eine echte Beziehung zu Jesus.
"24-7 Gebet" was ist das eigentlich?
24-7 Prayer: 24 Stunden, 7 Tage lang beten. Wer macht das, wie geht das und was kann es mir bringen?
"24-7 Prayer" - Internationaler Kongress in Wien
Die "24-7 Prayer Familie" kommt dieses Jahr auf Einladung von Kardinal Schönborn nach Wien zu Gebet, Vorträgen und Workshops.
Und wenn wir nicht im Gebet zusammenfinden können, dann können wir niemals irgendwo anders zusammenfinden. Das Gebet ist eines der Dinge, die uns allen gemeinsam sind.
Weitere Informationen zu "Der SONNTAG" die Zeitung der Erzdiözese Wien