"... Oder ich strecke die Arme waagrecht aus, um frei zu sein für den Tag und das, was er bringt.“
"... Oder ich strecke die Arme waagrecht aus, um frei zu sein für den Tag und das, was er bringt.“
Im Mittelalter war Gebet leibhaftiger. Es lohnt sich auch heute, die leibliche Dimension des Betens wieder zu entdecken.
Unleiblich‘ beten ist gar nicht möglich, sagt Karl-Heinz Steinmetz, Theologe und Experte für christliche Spiritualität. „Beten hat immer eine leibliche Komponente.
Es ist unausweichlich, dass ich auch mit dem Leib bete.“ Den Leib könne der Mensch beim Beten nicht einfach abgeben oder ignorieren. Denn den Leib, so Steinmetz, hat man nicht. „Leib bin ich. Was sonst? Zunächst einmal finde ich mich als Leib vor.“ Leib und Seele seien untrennbar, und das werde auch beim Beten offensichtlich.
„Leibhaftes Beten macht das Beten unverkrampfter und authentischer. Das Leibliche ist dabei keine Technik, keine Zusatzwirkung. Das Beten wird durch bewusste Leiblichkeit einfach menschlicher; rein verkopftes Gebet finde ich hingegen irgendwie unmenschlich.“
Karl-Heinz Steinmetz, der das Institut für Traditionelle Europäische Medizin leitet, hat es sich zur Aufgabe gemacht, die leibliche Dimension in der christlichen Gebetstradition wieder zu entdecken und zu fördern. Diese sei durchaus stark ausgeprägt gewesen, vor allem im Mittelalter. „Mittelalterliches Beten war viel leibhaftiger“, erklärt Steinmetz.
Er verweist auf den Heiligen Dominikus, von dem Bilder überliefert sind, die ihn in unterschiedlichen Gebärden vor dem Kreuz zeigen: Dominikus streckt die Hände nach oben aus, öffnet die Arme über dem Kopf, hält die Hände zur Schale geformt dem Gekreuzigten entgegen. Er kniet vor dem Kreuz, sitzt davor mit einem Buch vor sich auf dem Tisch oder liegt ausgestreckt auf dem Boden.
(siehe auch: Gebetsweisen des hl. Domenikus)
Durch die Reformation kam es dann zur großen Umstellung und zu einer neuen Intellektualität, nach dem Grundsatz ‚Glaube kommt vom Hören‘. „Kurz nach der Reformation wurden die Kirchenbänke erfunden. Und seitdem gibt es nur noch das Sitzen und Stehen, sowie in der katholischen Liturgie auch das Knien. Die anderen Gebetsweisen sind zunehmend weggefallen.“
Wer sich allerdings aufmerksam auf die Suche nach dem Leiblichen in der katholischen Liturgie und dem Beten mache, finde auch heute noch Spuren davon. „In der katholischen Tradition haben wir die leibliche Dimension von Beten nie ganz verloren“, betont Steinmetz. „Katholiken sind es zum Beispiel gewohnt, bei Prozessionen feierlich zu schreiten.“
Am Karfreitag gibt es außerdem die große prostratio, bei der sich der Priester nach dem Einzug in die Kirche flach auf den Boden wirft. Im Mittelalter war diese Leibgebärde allerdings noch demokratisch: „Früher haben sich am Karfreitag alle Kirchenbesucher auf den Boden geworfen“, sagt Steinmetz.
„Und in der Messfeier wurde bei der Stelle ‚Erhebet die Herzen‘ im Kanon ein Glockensignal gegeben; alle Gläubigen haben die Hände nach oben geführt und auch die Fersen etwas angehoben, und sind dann wieder in den normalen Stand zurückgekehrt.“
Heute hat leibliches Beten vor allem in charismatischen Gruppen seinen Platz, und ist in anderen Kulturkreisen, wie in Afrika, Lateinamerika oder Asien, deutlich ausgeprägter als bei uns. „Im afrikanischen Christentum zum Beispiel ist es üblich, dass Menschen sich unmittelbar leiblich ausdrücken. Und auch anderswo – bei einem Gottesdienst in St. Petersburg etwa – habe ich erlebt, wie Personen neben mir ihre Emotionalität ganz unmittelbar leiblich ausgedrückt haben: mit einem Kniefall unter Tränen“, erzählt Steinmetz.
„Wir müssen sicherlich die Christen in Afrika oder Lateinamerika nicht kopieren, denn ihre Ausdrucksformen haben ja auch kulturelle Hintergründe“, sagt Karl-Heinz Steinmetz. „Ich würde eine Wiederentdeckung des Leiblichen nicht übertreiben. Wir müssen jetzt gewiss nicht alle im Gottesdienst ständig herumtanzen.“
Es sei allerdings lohnenswert, sich der leiblichen Dimension beim Beten bewusst zu werden und behutsam das wieder zu entdecken, was schon immer Teil der christlichen Tradition ist. „Ich würde das eher in Kleingruppen anbahnen. Ohne Zwang und Druck.“
Für viele sei es ein Aha-Erlebnis, dass das Einbeziehen des Leibes nicht nur fernöstlich, im Yoga oder Qigong, zu finden ist. So wie für einen begeisterten Teilnehmer an einem von Karl-Heinz Steinmetz angeleiteten Workshop zum leiblichen Beten, der meinte: „Das hab ich ja gar nicht gewusst, dass es das gibt. Das ist ja direkt maßgeschneidert für mich!“
Schwester Christiane Reichl vom Curhaus Bad Kreuzen in Oberösterreich schöpft aus dem Leibgebet Kraft für ihre Arbeit als Geistliche Leiterin im Curhaus. „Gebet ist für mich etwas Ganzheitliches. Der Leib ist dabei Ausdruck dessen, was die Seele empfindet. Ich bin ja kein Holzklotz, sondern will mit allen Sinnen aufmerksam da sein.“
Jeden Morgen, oft auch abends nimmt sich die Marienschwester Zeit für die Übungen, bei denen sie zum Beispiel ihre Arme nach oben ausstreckt „in Kelchform und das was von oben, vom Himmel, kommt, einlasse.
Oder ich strecke die Arme waagrecht aus, um frei zu sein für den Tag und das, was er bringt.“
Auch im Gottesdienst sind ihr die leiblichen Gebärden wichtig: „In der Liturgie ist das aufrechte Stehen für mich ein Ausdruck der Auferstehung, von Ostern.
Das Knien drückt aus, dass ich weiß, ich bin Mensch und bin vor Gott, der größer ist als ich. Und das Verbeugen ist Zeichen der Ehrerbietung.“
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