Am 1. Oktober gedenkt die Kirche Therese von Lisieux.
Am 1. Oktober gedenkt die Kirche Therese von Lisieux.
Gefühle der Gottesferne, Angstzustände, Depressionen: Damit würde man eher keine Heilige und Kirchenlehrerin in Verbindung bringen. Karmelitin Therese von Lisieux durchlebte all dies und blieb ihrem Gott treu. Von Angelika Prauß.
Sie nennt sich "Therese vom Kinde Jesu" und wird die "kleine" Therese genannt. Was nach Verniedlichung und einer weniger bedeutenden Version ihrer berühmten Namensschwester aus Avila klingt, wird Therese von Lisieux nicht gerecht. In einigen Dingen ist die französische Karmelitin heutigen Zeitgenossen vielleicht näher als erwartet. Wie viele Menschen litt auch Therese an Depressionen und Angstzuständen; zugleich hatte sie einen großen Drang nach Selbstverwirklichung. Dass sie diesen ausgerechnet selbstbewusst im strengen Karmelitenorden auslebte, lässt aufhorchen. Mit nur 24 Jahren starb sie vor 125 Jahren, am 30. September 1897, an Tuberkulose.
Als Marie-Francoise-Therese Martin wurde sie als jüngstes von neun Mädchen der Familie in der Normandie geboren. Nur vier Jahre später starb ihre Mutter. Therese erlebte eine behütete Kindheit mit Privatunterricht. Dennoch interessierte sie sich schon mit 14 für ein Leben im Karmeliter-Orden. Zwei Jahre später zog sie ungewöhnlich früh ins Kloster und nannte sich "Therese vom Kinde Jesu".
So beharrlich und zielstrebig sie auf ihr Ordensleben hinwirkte, so ernüchternd muss der Alltag dort für sie gewesen sein. Denn Therese kam bei ihren Mitschwestern nicht gut an. Zudem war sie ständigen Demütigungen ihrer Oberin ausgesetzt, die den vermeintlichen Stolz von Therese zu brechen versuchte, die in der strengen Klausur eigenständige Studien verfolgte.
Ihren Glaubens- und Ordensweg sah sie als Weg der absoluten, vertrauensvollen Hingabe an den barmherzigen Gott. Sie suchte nach der Heiligung des alltäglichen Lebens und setzte auf die kleinen Glaubensgesten im Alltag - ihr "kleiner Weg" der Liebe, in dem sie Gott "auch mitten unter den Kochtöpfen" fand.
Zugleich fühlte sie sich in der Klausur von Gott immer häufiger verlassen und erlebte die Hölle der Gottesferne. Therese bekam Depressionen und litt immer häufiger unter panischen Angstzuständen. Dennoch blieb sie weiterhin ihrem "kleinen Weg" treu. Hatte sich Jesus am Kreuz nicht ähnlich verlassen gefühlt?
Heute weiß die Transpersonale Psychologie, dass Menschen in schweren psychischen Krisen oft sehr sensibel für besondere spirituelle Erfahrungen sind. Psychische Erkrankungen wie Depressionen können demnach ein Einfallstor für ungewöhnliche Erfahrungen sein, in der das "Ich" aus seiner Alltagsfixierung geworfen wird. Mit ihren Erfahrungen ist Therese von Lisieux nicht alleine - auch andere Heilige und Mystiker wie Johannes vom Kreuz haben nach besonderen Erlebnissen der Versenkung ihr Leben ganz Gott gewidmet.
Wie sehr die 1925 heilig gesprochene und vor bald genau 25 Jahren - am 19. Oktober 1997 - in den Stand einer Kirchenlehrerin erhobene Karmelitin vor ihrem Tod unter dem Gefühl der Gottesferne und Leere gelitten hat, zeigt das Tagebuch, das sie in ihrem letzten Lebensjahr geschrieben hat. Die kompromisslosen Schilderungen ihrer Gottsuche erschreckten ihre Mitschwestern.
Deshalb bearbeiteten und entschärften sie das Buch vor dessen Veröffentlichung 1899 unter dem Titel "Geschichte einer Seele"; später wurde die auf Wunsch von Rom von einem Karmelitenpater bereinigte Originalfassung publiziert. Ihre von der christlichen Mystik geprägte Autobiografie erreichte sofort Millionenauflagen und inspirierte unzählige Menschen auf ihrem Glaubens- und Lebensweg.
So wählte etwa Mutter Teresa ihren Ordensnamen nach der französischen Karmelitin; und wie diese sollte auch die in Indien wirkende Ordensfrau und Ordensgründerin das Gefühl der Gottesferne erleben. Auch Thereses Leidensfrömmigkeit - wonach eigenes körperliches und seelisches Leiden das Leiden Christi lindert - hat Mutter Teresa übernommen. Eine weitere prominente Glaubenspersönlichkeit in der Wegspur der "kleinen" Therese ist die 1942 in Auschwitz ermordete Karmelitin Edith Stein.
Der Wiener Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn zählt Therese zu seinen "Lieblingsheiligen" und gehörte zu den engagiertesten Proponenten ihrer Erhebung zur Kirchenlehrerin. Mit ihrer Nähe zur Not der Nichtglaubenden und ihrer Option des "kleinen Weges" sieht er sie als ein Vorbild für die suchenden Menschen von heute.
Der frühere Speyrer Weihbischof Ernst Gutting wiederum formulierte deren Vermächtnis einmal so: Inspiriert von ihr könnten sich die Christen von einer "moralischen Leistungsgesellschaft" wandeln "in eine von Gottes Liebe geprägte mystische Gemeinschaft". Ihre Botschaft, die auch 125 Jahre nach ihrem Tod noch gilt: Nur die Liebe zählt.