"Alles war Geschenk, alles war Gnade!"- aus der Meditation Pauls VI "Gedanken über den Tod"
"Alles war Geschenk, alles war Gnade!"- aus der Meditation Pauls VI "Gedanken über den Tod"
Am Sonntag, dem 6. August jährt sich der Todestag von Papst Paul VI. zum 45. Mal.
Castelgandolfo, 6. August 1978. Es ist Sonntagabend und ein schwüler drückender Tag geht zu Ende. Still, und von der großen Öffentlichkeit unbemerkt stirbt Papst Paul VI am Fest der Verklärung des Herrn. In einer privaten Aufzeichnung, die posthum unter dem Titel ‚Gedanken über den Tod‘ veröffentlicht wird, schreibt er: “Ja, mir wäre es recht, im Licht zu sterben. Gewöhnlich hat das Ende des irdischen Lebens, wenn es nicht von Krankheit verdunkelt ist, eine bestimmte Klarheit: die der schönen, angenehmen, nostalgischen und klaren Erinnerungen, die uns jetzt sagen, dass sie unwiderruflich vorüber sind und dass ihre verzweifelten Versprechungen Illusion sind. Hier fällt Licht auf die Enttäuschungen eines Lebens, das auf vergängliche Güter und trügerische Hoffnungen gegründet war. …. Was mich betrifft, möchte ich endlich eine zusammenfassende und weise Kenntnis der Welt und des Lebens haben. Ich meine, dass eine solche Erkenntnis sich in Dank ausdrücken müsste: Alles war Geschenk, alles war Gnade“.
Die Reaktion auf seinen Tod ist weltweit eine respektvolle Betroffenheit. Die meisten Kommentatoren tun sich zunächst nicht leicht, das Wirken dieses einsamen Intellektuellen auf dem Stuhl Petri recht zu bewerten. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern und Nachfolgern war Giovanni Battista Montini zwar klarer Kandidat für die Nachfolge Johannes XXIII, aber nie ein „Papst der Herzen“.
Seine starken Gesten und teils radikalen Weichenstellungen haben die Katholische Kirche aber aus jener unheilvollen Verpuppung befreit, in der sie spätestens seit dem 19. Jahrhundert gefangen war.
Man versteht das wirken Montinis nicht, wenn man seine radikale Kirche zu Christus und der Kirche ausblendet. In seiner Meditation "Gedanken über den Tod" bekennt er: Ich darf sagen, dass ich sie immer geliebt habe. Diese Liebe hat mich meinem engherzigen und wilden Egoismus entrissen und mich in ihren Dienst gestellt. Und durch sie habe ich, wie mir scheint, gelebt, und durch nichts anderes. Aber ich möchte, dass die Kirche das weiß. Und dass ich die Kraft hätte, ihr das zu sagen in jener Vertraulichkeit des Herzens, zu der man nur im letzten Moment des Lebens den Mut aufbringt. Ich möchte schließlich, dass sie alles begreift, was zu ihrer Geschichte gehört, zu dem Plan, den Gott von ihr hat, zu ihrer endzeitlichen Bestimmung .
Paul VI ist es, der mit der Tiara eine längst unerträgliche Überhöhung des Papstamtes ablegt. Damit nicht genug, beseitigt das aristokratische Hofzeremoniell im Vatikan und setzt auf Schlichtheit und Einfachheit. Er reformiert die Kurie zu einer effizienten Dienstleistungsbehörde für die Weltkirche, macht das gefürchtete „Hl. Offizium“ zur Glaubenskongregation, beseitigt den „Index der verbotenen Bücher“ und streicht ersatzlos alte aus der Zeit gefallene Privilegien.
Er führt das Konzil, das sein Vorgänger überraschend begonnen hat, entschlossen und sicher zu einem guten Abschluss und geht persönlich an die sofortige Umsetzung der Konzilsbeschlüsse. Seine erste, programmatische Enzyklika „Ecclesiam suam“ ist ein unmissverständliches Bekenntnis zum gleichberechtigten Dialog unter allen christlichen Kirchen, aber auch anderen Religionen und Weltanschauungen, weil der Dialog in seiner Sicht dem innersten Wesen und der Sendung der Kirche entspricht. Damit bestätigt er noch einmal die beiden Grundsatzdokumente des Konzils „Lumen Gentium“ und „Gaudium et Spes“.
Wenn heute Papst Franziskus der Kirche das Thema“ Synodalität“ vorgibt, knüpft er direkt an der Institution Bischofssynode an, die Paul VI in dieser Form begründet hat. Sein Ziel ist es, das weltweite Bischofskollegium stark in die anstehenden Reform- und Entscheidungsprozesse einzubinden. Dass er gleichzeitig dabei die Stellung des Papstes ausgesprochen stärkt, sodass die Synode kaum Eigenstand gewinnt, ist zu einem guten Teil Zugeständnis an die restaurativen Gruppen, die schon vor dem Konzil jede Veränderung als Zusammenbruch interpretiert haben. Das Festhalten an der unbedingten päpstlichen Vorrangstellung entspricht aber wohl auch Pauls eigenem Bild von seinem Amt.
Er ist der erste Papst, der alle Kontinente bereist und das Netz päpstlichen Vertretungen weltweit ausbaut. Als Pilger und nicht als Staatsoberhaupt besucht er bereits 1964 als erster Nachfolger Petri Israel und trifft dort zunächst erstmals seit Jahrhunderten unglückseliger Verwerfungen das Ehrenoberhaupt der Orthodoxie Patriarch Athenagoras, was bald zur gegenseitigen Aufhebung des Bannes von 1054 führen wird. Die Pilgerreise ins Hl. Land bahnt auch den Weg für ein grundlegend neu definiertes Verhältnis zwischen der Kirche und dem Volk Israel. Den epochalen Wandel im Verhältnis zwischen Juden und Christen, den erstmals Pauls Vorgänger, Johannes, in einer informellen Weise angestoßen hat, bringt Paul auf einen unumkehrbaren Weg.
Seit seiner Jugendzeit treiben Montini soziale und sozialpolitische Fragen um. In der Enzyklika Populorum Progressio lässt er mit der klaren Aussage aufhorchen: Er erinnert an die katholische Überzeugung, dass Privateigentum kein unbedingtes und unbeschränktes Recht ist, sondern der Gerechtigkeit und der Solidarität untergeordnet bleibt. Er spricht von der „Hypothek“, die auf jedem Privateigentum liegt und lenkt die Aufmerksamkeit auf ungerechten Strukturen in den vom Kolonialismus geprägten Entwicklungsländern. Der Skandal der ungerechten Verteilung, des Hungers nach Brot aber auch nach Bildung schreit für Montini zum Himmel. In einem viel zu wenig beachteten Abschnitt verurteilt Paul VI prinzipiell gewaltsame Aufstände, außer im „Fall einer eindeutigen und lange dauernden Gewaltherrschaft, die die Grundrechte der Person schwer verletzt und dem Gemeinwohl des Landes ernsten Schaden zufügt“.
Paul VI ist es auch, der ein eisernes Tabu vatikanischer Diplomatie bricht. Er setzt auf Dialog mit den kommunistischen Machthabern Osteuropas, um ihnen, für die Christen in diesen Ländern, möglichst viel bürgerliche Sicherheit und Freiheit abzuringen. Er handelt sich mit seiner „Ostpolitik“ viel Kritik und Opposition von innerhalb und außerhalb der Kirche ein, die da und dort bis heute anhält.
Mit Paul VI untrennbar verbunden ist die mutige und umfassende Erneuerung der Liturgie, auf der Spur der liturgischen Bewegung des 19. Und 20. Jahrhunderts, angestoßen von ersten auf dem Konzil verabschiedeten Dokument „Sacrosanctum Concilium. Paul VI ist von der nüchternen, benediktinischen Spiritualität geprägt. So trägt die vermutlich umfassendste und gründlichste Liturgiereform in der Geschichte der katholischen Kirche wesentlich seine Handschrift. Sie eröffnet allen Gläubigen erstmals seit über eineinhalb Jahrtausenden den unmittelbaren Zugang zur Hl. Schrift und zu den liturgischen Texten, die nun vom ganzen Volk Gottes wie zu Pfingsten in „allen Sprachen“ gefeiert wird. Dazu nimmt er aber auch seine ganze päpstliche Vollmacht in Anspruch und setzt die von Pius V. nach dem tridentinischen Konzil „für immer und unwiderruflich“ herausgegeben liturgischen Bücher außer Kraft. Der Widerspruch ist heftig. Sogar Kardinäle wittern Häresie. Der Widerstand dagegen hält bei einer Gruppe von Katholiken auch innerhalb der Kirche bis heute an. Seine Nachfolger haben mit mäßigem Erfolg versucht, diese liturgische Zäsur zu harmonieren. Es wird jedoch klar ersichtlich: Die Liturgiereform und das Konzil lassen sich nicht rückgängig machen, sie sind endgültige Meilensteine in der Entwicklung der Kirche.
Angesichts der großen Verdienste Pauls VI. gehört es zu seiner persönlichen Tragik, dass er im kollektiven Gedächtnis auf ein Thema reduziert wird. Nach seiner Enzyklika „Humane Vitae“, in der er sich u.a. gegen die grundsätzliche Trennung von Sexualität und Familienplanung durch künstliche Verhütungsmittel ausspricht, erntet er heftige Kritik, Opposition und offenen Hohn und das obwohl er gleichzeitig den Begriff der „verantworteten Elternschaft“ prägt. Letzteres findet keine Beachtung. Als „Pillen-Paul“ macht man ihn etwa im deutschen Sprachraum lächerlich. In gewissem Sinn bezeichnet dieses Lehrschreiben auch eine Zäsur in seinem Pontifikat. Selbst Bischofskonferenzen gehen auf vorsichtige Distanz zur päpstlichen Erklärung. Der Papst wird zunehmend einsam. Dazu kommt eine chronische, schmerzhafte Arthritis, die an seinen Kräften zehrt.
Einige wenige Freunde sind ihm geblieben: Jacques Maritain etwa oder Jean Guitton. Letzterer schreibt ein bewegendes Buch mit dem Titel. „Gespräch mit Paul VI“, die den, von manchen als „traurigen Paul“ bezeichneten Konzilspapst als weitsichtigen, weltzugewandten und vor allem großen Intellektuellen offenbaren.
Der wohl schwerste Schlag für Montini ist die Entführung seines alten Freundes, des Politikers Aldo Moro im Frühjahr 1978, die nach 54 Tagen mit der Ermordung des früheren Ministerpräsidenten endet. Paul VI. hatte versucht, öffentlich und auf informellem Weg, die Freilassung Moros zu erreichen - vergeblich. Beim Requiem für seinen Freund in der Lateranbasilika formuliert er für einen Papst ungewöhnlich persönliche Worte, die er klagend an Gott richtet:
„Und nun wollen sich unsere Lippen, die wie durch ein gewaltiges Hindernis verschlossen sind, ähnlich dem großen Stein, der vor den Eingang des Grabes Christi gerollt wurde, öffnen, um das "De profundis“, den Schrei, der ist, und das Weinen des unaussprechlichen Schmerzes auszudrücken, mit dem die gegenwärtige Tragödie unsere Stimme erstickt. - Herr, höre uns! Und wer kann unsere Klage hören, wenn nicht Du, o Gott des Lebens und des Todes? Du hast unser Flehen um die Sicherheit Aldo Moros, dieses guten, sanftmütigen, klugen, unschuldigen Mannes und Freundes, nicht erhört; aber Du, Herr, hast seinen unsterblichen Geist nicht verlassen, der vom Glauben an Christus geprägt ist, der die Auferstehung und das Leben ist. Für ihn, für ihn. Herr, erhöre uns!"
Gott, Vater der Barmherzigkeit, gib, dass die Gemeinschaft, die selbst in der Finsternis des Todes noch zwischen den aus dem irdischen Dasein Entschlafenen und uns, die wir noch an diesem Tag der unaufhaltsam untergehenden Sonne leben, besteht, nicht unterbrochen wird. Das Programm unseres erlösten Wesens ist nicht vergeblich: Unser Fleisch wird auferstehen, unser Leben wird ewig sein! Oh, möge unser Glaube bereits dieser verheißenen Wirklichkeit entsprechen. Aldo und alle in Christus Lebenden, gesegnet im unendlichen Gott, wir werden sie wiedersehen! Herr, erhöre uns!
Von der Erschütterung über den gewaltsamen Tod des Wegbegleiters aus Studentenzeiten wird sich Paul VI. nicht mehr erholen. Dennoch hört er bis wenige Tage vor seinem Tod nicht auf, sein diszipliniertes Arbeitspensum aufrechtzuerhalten. Am Sonntag, 6. August 1978, dem Fest der Verklärung Christi kann ihn sein Sekretär Pasquale Macchi überreden, sich auszuruhen. Am Abend feiert Macchi die Messe in Anwesenheit des Papstes. Dieser nimmt wach und aufmerksam an der Eucharistie teil. Kurz danach kommt der plötzliche Zusammenbruch. Um 21.40 stirbt er, nachdem er selber ein letztes Mal das "Vater unser" angestimmt hat.
In seinem geistlichen Testament hatte seinen Tod mit folgenden, fast poetisch anmutenden Worten antizipiert: „Ich richte meinen Blick im Lichte Christi, das allein alles erhellt, und darum mit demütigem und heiterem Vertrauen auf das Geheimnis des Todes und das, was ihm folgt. Ich spüre die Wahrheit, die von diesem Geheimnis her immer auf mein jetziges Leben ausgestrahlt hat, und preise den Sieger über den Tod dafür, dass er die Finsternis zerstreut hat und das Licht aufleuchten ließ.“
Am 14. Oktober 2018 nahm Papst Franziskus Paul VI. in das Verzeichnis der Heiligen auf. Seinen Gedenktag wird am 29. Mai gefeiert.